Nicht erst seit 1990 ist ja da und dort in Leipzig so eine Sehnsucht aufgekommen, die Stadt möge wieder an die glanzvollen Zeiten der Vergangenheit anknüpfen. Die Buchstadt schwebte als Fata Morgana am Horizont. Die Messestadt wurde auf Hochglanz poliert. Und auch die Pelzstadt war nicht vergessen. Einst war der Leipziger Brühl der wichtigste Welthandelsplatz für Pelze. Bis 1933.

Auch wenn die berühmten Handelshäuser am Brühl und an der Nikolaistraße erst mit den Bomben von 1943 und 1944 in Flammen aufgingen. Aber Handel hat immer mit Menschen zu tun, mit Kaufleuten, die international gut vernetzt sind, mit ungehinderten Warenströmen und einigermaßen stabilen Finanzlagen. Das Buch ist im Grunde ein Doppelbuch: Auf 30 Seiten erzählt Doris Mundus recht ausführlich über die Geschichte des Leipziger Pelzhandels und die Etablierung des Leipziger Brühls ab dem 16. Jahrhundert zum wichtigsten Umschlagplatz für wertvolle Pelze aus aller Welt – vor allem aus Polen und Russland, von wo die hochbeladenen Pelzwagen zu den Messen eintrafen, von den Leipzigern „Graue Elefanten“ genannt. Es lag in der Natur der Sache, dass vor allem osteuropäische Juden in diesem Handel eine wichtige Rolle einnahmen und ab dem 19. Jahrhundert, als Leipzig zum Pelzhandelsplatz Nr. 1 aufstieg, auch prägend wurden für das Leipziger Großbürgertum. Immerhin trug der Pelzhandel zu einem Drittel zu den Leipziger Steuereinnahmen bei.

Aber zur Handelsgeschichte gehören natürlich auch die Krisen. Und in die Krise geriet der Pelzhandel immer dann, wenn Kriege dafür sorgten, dass Handelsstraßen unpassierbar waren, Märkte voneinander abgeschnitten wurden und die Waren auf einmal andere Routen nehmen mussten.

Da geriet im Lauf des frühen 20. Jahrhunderts immer wieder in Gefahr, was Leipziger Kaufleute über Jahrhunderte mühsam an Verbindungen und Vertrauen aufgebaut hatten. Immerhin hatten sie mit dem Messeplatz Leipzig den lukrativen Nowgoroder Pelzhandel erst der mächtigen Hanse abgejagt, sehr zum Ärger der Hanseaten.

Aber der Erste Weltkrieg mit dem völligen Zusammenbruch der Handelsbeziehungen zu Russland zeigte schon deutlich, wie schnell ein blühender Handel erlischt und eine Stadt wie Leipzig ihre Stellung verlieren kann. Mühsam gestaltete sich das Wiederanknüpfen nach dem Krieg. Erst ab 1926 begann der Pelzhandelsplatz Leipzig wieder aufzublühen, bekam seinen nächsten Schlag mit der Weltwirtschaftskrise. Und den Rest besorgten die nationalistischen Dumpfbacken, die nichts Eiligeres zu tun hatten, als die Leipziger Pelzunternehmer mit jüdischen Wurzeln zu schikanieren und zu enteignen. Die Leistungsfähigsten verlegten damals ihre Kontore nach London oder gleich in die USA, wo sie heute noch sind.

Seitdem ist der „Brühl“ tatsächlich tot, kaputt arisiert, könnte man sagen. Auch wenn Leipzig nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal anzuknüpfen versuchte an das große Geschäft, was auch möglich schien, denn jetzt waren zumindest die Handelsbeziehungen mit dem riesigen Pelzlieferanten Sowjetunion wieder möglich. Und bis 1990 entwickelte sich die DDR-Pelzindustrie durchaus noch einmal zu einem wichtigen Devisenbringer – auch weil das Kürschnerhandwerk in Leipzig weiter auf höchstem Niveau (und mit zum Teil uralter Technik) weiter gepflegt wurde, eng verbunden mit einer kreativen Modebranche. Denn die Devisen verdiente man nicht mit den rohen Pelzen, sondern mit modischen Produkten, die mit ihrer Eleganz auch ihren Preis in Valuta wert waren. Neben den berühmten Leipziger Auktionen machten auch die internationalen Modenschauen von sich reden.

Und damit ist man beim zweiten Teil des Buches. Denn in der Zeitspanne von 1970 bis 1990 hat der Leipziger, später Borsdorfer Fotograf Rainer Dorndeck die Kreationen der Leipziger Pelzschöpfer fotografiert. Seine Fotos waren unter anderem in der in Leipzig erscheinenden Modezeitschrift „Sibylle“ zu finden. Und natürlich finden sich diese Fotos bergeweise im Nachlass des 2011 verstorbenen Fotografen. Und zwar nicht nur die eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die die Pelzkreationen fast greifbar erscheinen ließen, sondern auch all jene Fotos „drumherum“, die damals nicht veröffentlicht werden konnten, weil sie zu viel von der Realität der einstigen Pelzstadt Leipzig zeigten.

Denn Dorndeck inszenierte die jungen Damen in den teuren Pelzen nicht nur vor dem 1966 eröffneten Interpelz-Hochhaus am Brühl, sondern auch vor den von der Zeit geschundenen Überresten der einstigen Pelzhäuser in der Nikolaistraße oder in Oelßners Hof. Da und dort wählte er auch die Ruinengrundstücke als Kulisse, auf denen die namhaften Handelshäuser gestanden hatten, in denen einst bis zu 20 oder gar 34 Firmen der Pelzbranche ansässig waren. Das war natürlich in DDR-Zeitschriften nicht zu veröffentlichen. Die Bilder blieben im Archiv, zeigen aber ausschnittsweise den zunehmenden Verfall im einstigen Pelzviertel der Stadt. Und da Dorndeck die Models in den prächtige Pelzjacken und -mänteln mitten hinein gestellt hat in diese Kulisse, wird der Widerspruch umso aufdringlicher: Hier ein Stück jener Professionalität, Kreativität und Neuerungsfähigkeit, zu der die Menschen in den traditionsreichen Branchen fähig waren – und dort der frustrierende Verfall von stadtbildender Bausubstanz, für deren Erhalt das Geld fehlte. Die Fotos haben auch längst dokumentarischen Wert, denn ein Großteil dieser so traurig wirkenden Gebäude ist natürlich mittlerweile restauriert.

Dafür hat sich die Pelzbranche weitgehend aus Leipzig verabschiedet. Die großen Handelsplätze sind längst anderswo. Aber das hat nicht nur mit den Leipziger Verlusten zu tun, sondern auch mit der Tatsache, dass das Tragen von Tierpelzen mittlerweile deutlich in der Kritik steht. Nicht nur wegen der zuweilen heftigen Haltungsbedingungen in den Pelztierfarmen, sondern auch, weil die Jagd nach edlen Pelzen viele Tierarten an den Rand der Ausrottung gebracht hat. Die Zahlen, die Doris Mundus in ihrem Beitrag zur Geschichte des Brühls bringt, frappieren schon allein wegen der schieren Größe. Aber sie zitiert auch den legendären Text von Egon Erwin Kisch über seinen Besuch am Brühl, in dem schon früh das Entsetzen formuliert wird über die wilde Jagd der Menschen auf die kostbaren Felle der Tiere.

Natürlich hat sich die Pelzbranche verändert, haben längst moderne Bearbeitungsmethoden Eingang gefunden, die aus den Fellen von Tieren aus der Zucht im Anschein deutlich „edlere“ Pelze machen – aber auch (wie auf Dorndecks Fotos zu sehen) mutige Entwürfe, die weit über die natürlichen Pelzmuster hinausgehen.

Man hat also im Grunde ein doppeltes Buch zur Leipziger Geschichte – einmal zur Geschichte als Pelzstadt und einmal zum Ort eindrucksvoller Pelzmode, wie sie Rainer Dorndeck eindrucksvoll im Bild festgehalten hat. Und damit ist es natürlich auch ein Erinnerungsbuch an einen Leipziger Fotografen, der in seinen Bildern nicht nur die Schönheit von Models und Pelzen sichtbar machte, sondern auch seine Liebe zur gemarterten alten Stadt Leipzig zeigte.

Doris Mundus: Pelze aus Leipzig. Pelze vom Brühl. Rainer Dorndeck. Fotografien 1970 bis 1990, Sax Verlag, Markkleeberg und Beucha 2015, 19,80 Euro.

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