Man kann die Liebe zu einer Stadt auch einfach in Bildern zeigen, Bildern von Orten und Gebäuden, die scheinbar bestens bekannt sind und immer wieder zu sehen, wenn Leipzig bebildert wird. Und trotzdem gibt es diese Momente, die die Wahrnehmung verändern.

Mit einem eindrucksvollen Kalender mit Fotos aus dem Leipziger Neuseenland hatten Jürgen und Birgit Röhling schon einmal gezeigt, wie das geht. Das Wichtigste ist: Einfach mit Kamera zu Zeiten losziehen, wenn die üblichen Stadtbildfotografen noch schlafen, wenn Morgen- oder Abendsonne die Stadt in Szene setzen. Oder einfach beim sonntäglichen Stadtbummel aufmerksam sein und dann, wenn eine der Leipziger Schönheiten die volle Sommerbeleuchtung hat, am richtigen Punkt stehen und auf den Auslöser drücken.

Das haben die Röhlings gemacht. Und herausgekommen sind lauter Fotos, die Leipzig als architektonische Inszenierung zeigen – hoch dramatisch zuweilen, wenn auch noch ein von Wolken durchzogener Himmel den Hintergrund abgibt für Bilder, in denen bekannte Gebäude sowieso schon aus dynamischer Frosch- oder Vogelperspektive erfasst sind. So wie die Tribüne der Rennbahn Scheibenholz (Juli), von der meist nur die Ostseite gewürdigt wird. Dabei kennt auch die Westseite ihre Dramatik, wenn sie sich in die Nachmittagssonne reckt. Genauso wie Oper und Krochhaus, Handelshof und Predigerhaus am Nikolaikirchhof sich in Pose zu stellen scheinen, wenn man sie nicht einfach horizontal abknipst, sondern die Perspektive ändert.

Was ja in Leipzig eigentlich leicht zu üben ist. Wer sich bei blauem Himmel auf das Wasser von Weißer Elster oder Karl-Heine-Kanal wagt (April und Juni), der wird geradezu animiert zur Froschperspektive und kann die Dramatik einer Flusslandschaft festhalten, die von Menschenhand gestaltet ist und Tausende an Sommerwochenenden aufs Wasser bringt. Die Fotos machen deutlich, wie sehr Leipzig eine Stadt ist für Genießer, für alle, die einfach mal mit offenem Blick unterwegs sind jenseits der alltäglichen Eile.

Da wird selbst die Kapellenanlage auf dem Südfriedhof (November) zu einer Begegnung mit Raum und Zeit, als reise man mit ihr zusammen unter unendlich strömenden Himmeln. Ruhig gibt sich eigentlich nur das Alte Rathaus, das im Dezember unter einem abenddunklen Himmel leuchtet. Erinnerung an eine vergangene Zeit, als Bürgerstolz noch aufs Engste mit Handel und Wandel verbunden war. Heute wirkt es eher wie eine hübsche Verzierung für einen Marktplatz, der selbst ohne Budenzauber eher etwas charakterlos wirkt, als fehlte da etwas, was das mehrfach renovierte Schmuckstück Altes Rathaus ergänzt und einfasst.

Man merkt, dass diese beiden fotografierenden Spaziergänger und Wellenreiter ihre Umgebung mit Liebe anschauen und die Momente einzufangen verstehen, in denen die Licht-Inszenierung stimmt. Beim Völkerschlachtdenkmal (Februar) haben sie dann noch ein Foto von Markus Unger mit in den Kalender genommen, der nicht nur das kolossale Denkmal eingefangen hat, sondern auch noch einen ordentlichen Kondensstreifen und den Halbmond in den Wolken – eine richtige Spätnachmittag-Szenerie, eine stille Stunde – und nur der Erläuterungstext erinnert daran, dass der Koloss ja zur Erinnerung an den „Sieg der Verbündeten über Napoleons Truppen“ errichtet wurde. Nun steht er da als romantischer Märchenklops, spiegelt sich im Bassin und lädt den Betrachter ein, sich seine warme Jacke zu schnappen und das Tageslicht zur Stadterkundung zu nutzen. Vielleicht hat man ja Glück und erwischt auch solche Momente im goldenen Licht, die sich festzuhalten lohnen, bevor die nächste Wolke kommt.

„Leipzig 2017“, Kalender,  Sax Verlag, Markkleeberg 2016, 12,80 Euro

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