Seine Liebe zur Geschichte hat der Leipziger Krimi-Autor Uwe Schimunek schon in den Katzmann-Krimis ausgelebt, die im Jaron Verlag erschienen. 2016 startete er eine eigene historische Krimi-Reihe zu seiner Heimatstadt Leipzig. Im ersten Band – „Mörderisches Spiel in Leipzig“ – ging es um Fußball. Nun im zweiten Band bekommt es Polizeireporter Edgar Wank mit der mörderischen Seite der Buchstadt Leipzig zu tun.

Wank arbeitet als Polizeireporter bei der noch halbamtlichen „Leipziger Zeitung“, die später in der „Neuen Leipziger Zeitung“ verschmelzen würde. Dieses Jahr 1907 ist auch journalistisch noch ein anderes Zeitalter. Redakteure verstehen sich noch nicht wirklich als Rechercheure, sind dankbar, wenn ihnen die Behörden Informationen geben und der Herr Redaktionsleiter ihnen nicht die Leviten liest. Es geht noch steif und ehrwürdig zu in den Räumen der „Leipziger Zeitung“ in der damaligen Poststraße nahe am Ring. Die Welt, in der Wank zu Hause ist, ist fußläufig erschreitbar. Alles was wichtig ist, befindet sich in der Nähe zum alten Promenadenring. Und so laufen auch Wank und sein Freund Thomas Kutscher jede Menge zu Fuß.

Man könnte wehmütig werden über dieses kompakte Leipzig, das Schimunek hier malt. Aber es stimmt. So kompakt und fußgängerfreundlich war Leipzig einmal. Man vergisst glattweg, mit welcher Radikalität der ausgebaute City-Ring die alten Leipziger Strukturen zerschnitten und zerstört hat. Aber das merkt man wohl nur als Fußgänger.

Kutscher ist der Typus jenes Leipziger Literaten, der seine Hoffnung darauf setzt, in einem der hundert Leipziger Verlage einmal eine Karriere als gefragter Dichter zu machen. Immerhin ist es literarisch eine fruchtbare Zeit. Die deutsche Literatur strebt gerade auf eine neue Blüte hin. Dafür werden in nur wenigen Jahren Verleger wie Ernst Rowohlt sorgen, der in diesem Band ganz kurz als junger Mann erscheint – noch ganz ohne Meriten. Schimunek hat extra nachgeforscht. Man konnte so manchem heute Berühmten damals tatsächlich so begegnen – auf Leipzigs Straßen oder in den diversen Salons, wie ihn in diesem Fall der Verleger Albrecht Rollnik unterhält. Der möchte zwar Kutschers Gedichte nicht veröffentlichen, weil die sich auch damals schon schwer verkaufen ließen. Aber dass Kutscher unter Pseudonym gut lesbare Krimis schreibt, bringt Kutscher ein kleines Einkommen und bringt den Verlag wieder ein bisschen auf Kurs.

Auch die Verleger dieses goldenen Zeitalters der Buchstadt Leipzig mussten sehen, wie sie das Hochgeistige mit gut verkäuflicher Massenware finanzierten. Und das ist ein Problem, wenn Dichter und Kritiker von den Verlegern eigentlich nur Hochgeistiges und Hochanspruchsvolles verlangen. So wie es der Literaturkritiker Claudius Orlog in seinem Magazin tut – mit scharfer Feder, bissigen Urteilen und einer gehörigen Portion Rücksichtslosigkeit. Man ahnt es schon, das tut so Manchem weh: abgelehnten und heruntergeputzten Dichtern, kritisierten Verlegern, verängstigten Geldgebern, ignorierten Autoren …

Nur: Wer greift dann tatsächlich zum Ziegel und bringt den Kritiker in einer eisigen Winternacht des Jahres 1907 um? Was anfangs wie ein Unfall aussieht. Und wie das so ist: Die Polizei würde den Fall nur zu gern als Unfall zu den Akten legen. Wenn nur Wank und sein Freund Kutscher denn Ruhe geben würden und nicht so neugierig wären. Sie gehen selbst auf Nachforschungen, treten einigen honorablen Personen dabei ein bisschen zu nah. Nicht immer in unangenehmer Weise, denn auch zwei bezaubernde Frauenzimmer spielen ihre Rolle. Und zwar keine beiläufige, auch keine verschüchterte.

Man merkt schon: Zeitweise sind auch Kutscher und Wank abgelenkt, ein paar Geldproblemchen kommen noch dazu. Schimunek entführt seine Leser ganz und gar nicht in noble Kreise. Er weiß um die prekäre Welt der Dichter und Autoren – auch damals. Man erwartet viel von ihnen. Aber zumeist reicht das Geld nur für ein paar Bier. Dann muss man wieder den großen Bruder anbetteln. Da ist es nicht einfach, mit aalglatten Typen etwa von der Bank zu reden, die aus Gelddingen immer so ein Geheimnis machen. Was sie natürlich verdächtig macht. Wie sollte es anders sein?

Denn auch kritische Literaturzeitschriften brauchen Geld, haben ihre finanziellen Malaisen. War es das Geld, das Orlog zum Verhängnis wurde? Oder doch etwas anderes? Denn spätestens beim zweiten Toten deutet der Verdacht in eine andere Richtung, Kann es sein, dass hier in der Leipziger Literaturwelt jemand sein Mütchen kühlen möchte? Seinen Rachefeldzug durchzieht, bei dem nicht mehr mit spitzer Feder gefochten wird, weil es um höchst Prinzipielles geht?

Selbst ein gewisser Natzelring gerät in Verdacht, angelehnt an einen Burschen, den wir als Ringelnatz kennen und der 1907 tatsächlich als Kommis in Leipzig sein Glück versuchte – aber den Dichternamen noch nicht hatte. Auch den Ruhm nicht. Schimunek hat dieses alte Leipzig, wie man sieht, tatsächlich aufmerksam erkundet. Nur der Rollnik-Verlag ist natürlich fiktiv. Ein bisschen. Ähnliche Verlage gab es tatsächlich, auch im Grafischen Viertel. In Leipzig wurde im Grunde alles produziert, was auf dem Buchmarkt absetzbar war – Triviales genauso wie Altbackenes, Strohtrockenes, Esoterisches und Anspruchsvolles. Und natürlich auch das, was sich Liebhaber auserlesener Dichtkunst nur wünschen können – und oft nicht bekommen.

Wer ist der Mörder?

Der Gärtner ist es nicht und auch die anfangs Hauptverdächtigen sind es nicht, auch wenn sie Grund genug zu jeder Menge Verdacht geben. Die Polizei ist zwar höchst besorgt, findet aber den richtigen Faden nicht. Und so läuft es am Ende tatsächlich auf Edgar Wank und seinen kühnen Freund hinaus, die Sache zum Abschluss zu bringen. Denn eines ist bald klar: Dieser Mörder ist – wie es Krimi-Leser lieben – ein Durchgeknallter, einer, der für eine gärende Idee Zeichen setzen will. Solche Typen sind brandgefährlich. Wir wissen es ja aus einer durchgeknallten Gegenwart.

Aber auch wenn das Ganze beharrlich auf einen Thriller drängt, wird es zum Glück keiner. Denn die Personen dieses Jahres 1907 kennen ja – zum Glück – noch nicht die Penetranz moderner Medien, wo die unbeleuchteten Schnellkommentatoren die Polizei schon der Untätigkeit verdächtigen, wenn der Mordfall erst 5 Minuten zurückliegt. Dabei hat sich ja seit 1907 nicht allzu viel geändert: Die Polizei muss Schritt für Schritt abarbeiten, systematisch und gründlich. Der Mörder trägt ja kein Zeichen auf der Stirn. Im Gegenteil: Meist sieht er völlig harmlos aus und jeder würde behaupten, das wäre ein unbescholtener Mann.

Deswegen suchen Kriminalpolizisten ja so emsig nach dem Motiv: Was hat der Mörder sich gedacht bei seiner Tat? Warum bringt einer einen Literaturkritiker um? Und was ist, wenn der Kerl einen Plan hat? Einen finsteren? Wenn das Morden Methode hat?

Dann wird es gefährlich und auch ein kreuzbraver Krimi-Autor bekommt Probleme. Wie fängt man den Mörder, der sich augenscheinlich bestens tarnt? Sich überall gut auskennt und unerkannt entkommt im Dunkel der Nacht? Eine Type, die sich auch der biedere Kommissar Machuntze nicht vorstellen kann. Immerhin spielt die Geschichte in einer Zeit, als sich die westliche Welt über den Ripper in London noch regelrecht entsetzen konnte. Dass heutzutage viel schlimmere Serienmörder ihr Unwesen treiben, vergisst man ja fast. Die richtig finsteren Serienverbrechen passieren ja, weil Mörder geimpft sind mit den grausamen Bildern der Medien. Blutige Berichterstattung über finstere Negativhelden schafft solche Mörder oft erst.

Deswegen ist der Mörder in diesem Schimunek-Krimi so lange nicht greifbar, bis er wieder versucht, seine Botschaft mit einem Mord zu untermauern. Aber eben weil es keine wilde Hatz auf den Mann in Schwarz wird, sondern alle Helden noch ein eigenes Leben führen, taucht der Leser sehr komplex ein in dieses Leipzig im Winter 1907, in dem man sich noch zum Reden traf und eine Menge Bier trank dabei, zuletzt zusehends immer mehr Kaffee. Aber daran ist nicht der Mörder schuld. Es sind die Damen, die die beiden Helden zusehends nervös machen. Da wird sogar der Mörder ungeduldig, weil augenscheinlich niemand ernst nimmt, was er da der Welt verkünden will mit seinen Taten. Ein historischer Krimi, der die Geschichte ernst nimmt und sie nicht mit Action überfrachtet, eher liebevoll der untergegangenen Buchstadt ein kleines Denkmal setzt. Und mit gut verorteten Details zeigt, was damals alles in dieser Stadt geschah, ohne dass die Leipziger mit Autos die Straßen verstopften. Und so nebenbei thematisiert Schimunek auch den heute wieder schwelenden Kampf ums Urheberrecht, denn Karl Mays großer Prozess gegen seinen ersten Verlag fand damals just in Leipzig statt. Der kommt natürlich auch vor im Buch. Wenn schon Zeitreise, dann richtig.

Uwe Schimunek Tödliche Zeilen, Jaron Verlag, Berlin 2017, 9,95 Euro.

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