Dieses Lehrbuch für Studienanfänger der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ist erstmals 2010 erschienen und wird augenscheinlich heftig nachgefragt von den Studierenden. Denn sie müssen eine Menge Statistik pauken. Eine ganz spezielle Statistik, die mit dem, was man für gewöhnlich in den Medien als Wirtschaftstatistik erlebt, nicht viel zu tun hat.

Aber die jungen Leute, die Wirtschaftswissenschaften und Sozialwissenschaften studieren, müssen da durch: „Entsprechende Kurse an Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien dauern 60 bis 120 Lehrstunden (bei 120 sind Übungsstunden mit dabei). Es gibt in Deutschland einen gewissen Konsens, was in einen solchen Kurs gehört“, schreiben Helga Hartwig und Günter Deweß im Vorwort. Beide unterrichteten die Fächer Wirtschaftsmathematik, Statistik und Operations Research an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach. Womit man der Sache näher kommt, denn was sie in diesem Buch präsentieren, stammt vor allem aus der Betriebswirtschaft und ist vor allem Operationalisierung von Liefer- und Produktionsprozessen.

Aber man glaubt es gern, wenn die beiden betonen, dass das in vielen deutschen Hochschulen Konsens ist und sich tausende junger Leute da durchquälen und Häufigkeitsverteilungen berechnen, Trends und Saisonschwankungen, Wahrscheinlichkeiten und Stichprobenverteilungen, Punktabschätzungen und Rahmendaten für Qualitätskontrollen.

Tatsächlich bildet die Duale Hochschule Gera-Eisenach eher keine Wirtschaftswissenschaftler aus, sondern klassische Betriebswirtschaftler, die tatsächlich mit der Prozessoptimierung in Unternehmen beschäftigt sind – die ganze Bandbreite vom Einzelhandel über das Dienstleistungsmanagement bis zu Industrie, Logistik, Immobilienwirtschaft und Touristik. Überall hat dieses Denken Einzug gehalten, werden Produktionsabläufe, Marktdurchdringungen und Umgebungsparameter optimiert. Man staunt geradezu, was die Studierenden alles berechnen können/sollen/müssen. Aber man ahnt auch, wie sie dann als Einkaufsleiter oder Wirtschaftsingenieur mit solchen Berechnungen Schwachstellen und Reserven aufspüren und immerfort die Abläufe weiter perfektionieren. Bis dann nichts mehr zum Rationalisieren da ist. Die moderne Arbeitswelt lässt grüßen.

Gefährlich wird es, wenn man diese Art Statistik auf die reale Gesellschaft anwendet. Gerade weil sie so rational ist. Aber man wird bei den Veröffentlichungen diverser Wirtschaftsinstitute den Verdacht nicht los, dass sie es genau so machen. Das Ergebnis ist dann eine Gesellschaft, der man vorwirft, dass sie nicht optimal und effizient funktionieren würde. Aber das erwähne ich lieber nur beiläufig. Ich will ja die jungen Leute nicht verärgern, die tatsächlich einen dieser hocheffizienten betriebswirtschaftlichen Jobs anstreben, wo sie mit grundlegend eintrainierten Formeln ausrechnen können, wie man die Produktionsleistung eines Betriebes verbessert und ihn letztlich immer windschnittiger und wettbewerbsfähiger macht.

Genau das ist Wettbewerb.

Aber das verändert logischerweise auch die Welt da draußen, denn dort will man ja seine Produkte möglichst verlustfrei und punktgenau verkaufen. Was natürlich noch viel besser geht, wenn man dann beim Abnehmer oder gar im öffentlichen Versorgungswesen auf Leute trifft, die genauso ticken und an der Optimierung ihrer Produktionsprozesse interessiert sind.

Die Mathematik kann erst mal nichts dafür. Wer neugierig ist, lernt hier komprimiert und studientauglich, wie man betriebswirtschaftliche Optimierungsprozesse berechnet. Dass das Buch so nachgefragt ist, dass jetzt eine ergänzte Nachauflage erschien, zeigt, wie gefragt diese Wirtschaftsoptimierer überall sind.

Wie sehr das optimierende und zeit- und ressourcensparende Denken die Studiengänge schon von Anfang an bestimmt, zeigt dann noch der Hinweis der beiden Autoren im Vorwort, dass sie das Buch extra „klausurpraktisch“ geschrieben haben. Denn viele Studierende wollen ja „,ohne großes Drumherum‘ (sie haben ja wenig Zeit) Rezepte für das Dutzend einschlägiger statistischer Tests rein formal üben“.

Und das erinnert einen daran, dass die Betriebsoptimierung ja auch schon an unseren Universitäten und Hochschulen eingezogen ist, wo immer mehr Studierende immer effizienter in optimierten Studiengängen verarbeitet werden. Klar, auch das kann ein ausgebildeter Betriebswirtschaftler mit Schwerpunkt „öffentliche Unternehmen und Einrichtungen“. “Die Absolventen verfügen als qualifizierte Betriebswirte über modernstes Verwaltungswissen und sind bestens auf eine Tätigkeit als Fach- und Führungskraft in öffentlichen Unternehmen und Einrichtungen vorbereitet“, heißt es auf der Homepage der Hochschule.

Das Denken durchdringt tatsächlich immer mehr gesellschaftliche Bereiche. Logisch, da haben am Ende alle „keine Zeit“ mehr und wollen alle Punkte so schnell wie möglich einsammeln, um ohne Zeit- und Effizienzverlust zum Ziel zu kommen.

Man kann alles optimieren. Und am Ende fallen alle todmüde ins Bett, obwohl sie alles optimiert haben. Nur was dann völlig verschwunden ist, ist ausgerechnet die Zeit. Aber das ist natürlich ein Paradox, über das in einem durchrationalisierten Leben kein Grund ist, sich Gedanken zu machen.

Günter Deweß; Helga Hartwig Wirtschaftsstatistik für Studienanfänger, 2. Auflage, Leipzig 2017, 19,50 Euro.

In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer

In eigener Sache (Stand Mai 2017): 450 Freikäufer und weiter gehts

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar