Für FreikäuferManchmal muss es auch etwas Prächtiges sein auf dem Tisch. Keine Frage. Gerade bei richtig wichtigen Festen wie Geburtstagen, Hochzeiten, Jubiläen oder Versöhnungssonntagen nach einem richtig heftigen Krach unter Liebenden. Was tun? Mann bäckt. Oder Frau. Auch wenn es mit Helena Putsch jetzt wieder eine junge Frau ist, die vom Tortenfieber erzählt. Sie hat sich wirklich in diese Backwerke verliebt.

Und sie erzählt natürlich auch davon, wie viel das mit ihrer Kindheit in Südafrika zu tun hat und der Begeisterung ihrer Mutter fürs Torten- und Kuchenbacken. Man kann es nicht ganz erraten, aber irgendwie war das wohl so wie bei vielen anderen Frauen: Wenn es anders nicht geht, zeigt man durch die Liebe zum Backwerk, dass man die Beschenkten von ganzem Herzen liebt.

Und wenn man die Rezepte in diesem Buch liest, dann muss das ein Berg von Liebe gewesen sein.

Aber man kann auch die Begeisterung fürs Backwerk nachempfinden. Denn Helena Putsch hat das Tortenbacken zu einer Profession entwickelt. Die sie mit diesem Buch natürlich teilen möchte. Sie weiß darum, dass das Schwerste immer der Anfang ist. Wenn man noch keinen Rührkuchen, keinen Brandteig, kein Biskuit hergestellt hat, ist aller Anfang schwer – und alle Befürchtung, es völlig zu versemmeln, groß. Aber so ging es der Autorin auch, verrät diese. So manche Torte missglückte, bevor sich alles eingespielt hatte, die Grundarbeitsschritte saßen und sich auch das Feingefühl dafür entwickelt hatte, wann ein Teig, eine Füllung, eine Creme genau richtig waren. Oder noch ganz anders hätten sein können. Denn wenn man erst einmal weiß, wie man Brownies, Cupcakes, Eclairs oder Mascarpone herstellt, dann weiß man auch, wie man bei einigen Zutaten etwas verändern kann, wie man spielen kann mit Geschmacksnoten.

Und Helena Putsch spielt gern, mag es gern auch fruchtiger, schokoladiger, zitroniger, nussiger. Auf einmal ist vieles möglich, werden die Backwaren zu regelrechten Abenteuern. Ihr Lieblingswort ist verrucht … Quatsch, war jetzt das falsche Buch. … Dekadenz pur. So wie bei Zartbitter-Mandel-Tarte mit Karamelcreme, Zartbitterschokolade und einem Schuss Rum. Nüsse sind auch drin, was den Leser zurückblättern lässt, denn die Autorin zeigt ja auch, dass man sogar mit Obst und Gemüse richtig verruchte und leckere Torten backen kann. Die Vanille-Biskuit-Torte ist das Sahne-Beeren-Sommervergnügen pur. „Die perfekte Sommertorte“. Die sich mit gegrillten Steinfrüchten auch in eine perfekte Herbsttorte verwandeln lässt.

Aber noch eindrucksvoller war die Nuss-Möhren-Torte, eine Adaption aus dem Rezeptbuch der Mutter. Ursprünglich mal ein Möhrenkuchen. Aber sage mal jemand dem Möhrenkuchen, dass er jetzt zur warm gewürzten Herbsttorte befördert wird. Der wird ganz verwirrt vor Freude. Und würde sich wahrscheinlich nur zu gern ein Stelldichein mit der Pistazien-Mandel-Nuss-Torte zehn Seiten weiter hinten wünschen, die sich keck mit kandierten Rosenblüten geschmückt hat. Womit man schon bei der Deko wäre. Und Dekoration ist wichtig bei Helena Putsch. Was bei ihr ein „naked Cake“ ist, würde bei anderen Leuten „eine Pracht in Sahne und Früchten“ heißen. Naked bedeutet eigentlich nur, dass auch mal der Tortenboden durchschauen darf. So ein bisschen.

Denn irgendwo muss es eine strenge konservative Tortenfraktion geben, die Kuchen erst dann als Torte anerkennt, wenn alles ringsum entweder mit Creme verkleidet ist oder mit Zuckerguss oder mit Fondant oder Couvertüre. Wer es mit so strengen Richtern zu tun hat, findet alle handwerklichen Tipps, wie man das bewerkstelligt, am Ende des Buches.

Helena Putschs Tortenfieber ist nur zum Teil eine Fieberphantasie in Blütenpracht und Obstfreude, eigentlich ist es eher ein Grundlehrgang für angehende TortenbäckerInnen, in den sich die phantasievollen Tortenrezepte einfügen wie in einen Rahmen. Die Hinweise zur Herstellung von Deko und Füllung findet man alle am Ende des Buches. Bei den einzelnen Rezepten wird jedes Mal darauf verwiesen, wenn es gebraucht wird. Und natürlich gibt es nicht nur große Torten, mit denen man Geburtstagskinder so richtig vom Stuhl hauen kann, sondern auch die kleinen Gebäckvarianten, mit denen man Sonntage retten kann und den Lieben auch mal schnell eine Freude machen kann, auch wenn der Mann im Hause ningelt, er könne ja mal schnell mit dem SUV zum Bäcker fahren.

Da hilft nur, dem Burschen die gestreifte Schürze überzuhelfen und die Rührschüssel in die Hand zu drücken: Wer Freude haben will, rührt selber. Zum Beispiel für Helenas Pfannkuchen mit Pfiff oder ihre Aprikosenküchlein. Frag mal einer beim Bäcker, ob’s gerade Aprikosenküchlein gibt. Nichts gegen Bäcker. Aber dadurch, dass Bäckerläden nun auch sonntags immer geöffnet haben, verlernen immer mehr Frauen und Männer das Backen. Die ganzen Daueröffnungszeiten bedienen das Schlechteste und Faulste im Menschen, machen ihn bequem und phantasielos und lassen unsere Küchen verwaisen. Wo man doch gemeinsam zaubern könnte, wenn man es noch kann.

Die nötigen Werkzeuge lernt man gleich zu Beginn des Buches kennen. Und wenn man sich erst einmal eingebacken hat, merkt man selbst, dass Backen auch ein Geschmacksabenteuer ist, bei dem man wieder lernen kann, dass Selbstgebackenes Abenteuer bereithält. Oder eben etwas auslöst, was man bei Gekauftem nicht wirklich sagen würde: Dekadenz pur.

Und wer ist schuld daran? Unschuldige Nüsse, Himbeeren, Aprikosen, Schokolade gar, die man sogar selbst machen kann. Was man weiter hinten erfährt, wenn es um die auf dem Cover abgebildete „Torte mit Schokoscherben“ geht.

Also wieder ein Buch, das unser Augenmerk auf die Finesse des Essens lenkt und die Pflege unseres Geschmacks. Selbermachen ist das Motto. Und wer gerne baut, lernt auch noch, wie man aus Torten hohe Türme konstruiert.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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