Zwei Bände gab es schon. Auch sie nahmen die Gesprächsthemen der Reihe „Literatur und ihre Vermittler“ auf, die ab 2015 im Literaturhaus Stuttgart stattfanden. Die Gesprächsteilnehmer schrieben ihre Kerngedanken in eigenständigen Essays nieder. Natürlich ist der Titel irreführend. Es geht gar nicht um die Vermittler, sondern um die Macher. Die Reihe ist also auch so etwas wie ein institutionalisiertes Missverständnis.

Was besonders deutlich wird an dem völlig aus dem Ruder gelaufenen Beitrag von Georg Seeßlen in diesem Sammelband mit zehn Beiträgen. Als Filmkritiker ist er der einzige Vermittler in der Runde. Und er zeigt, wie verkopft man an so eine Vermittlung herangehen kann. Mit Rückgriff auf ganze Bibliotheken philosophischer und theoretischer Arbeiten zur Ästhetik, zur Sprache, zur Ikonografie und so weiter. Vielleicht tauchen in der Reihe deshalb so wenige Vermittler auf. Sie sind zu verkopft.

Aber was stellen die Autoren an? Denn die anderen Neun sind ja allesamt Autoren – darunter die eindrucksvollen ostdeutschen Angela Krauß, Ingo Schulze und Clemens Meyer, die sich natürlich vorrangig mit der Irritation beschäftigen, die Literatur in einer Gesellschaft immer herstellt. Herstellen muss.

Wer, wenn nicht die Autoren, schreckt eine in Mustern und Ritualen versumpfte Gesellschaft auf? Kennt sich mit all den eindrucksvollen literarischen Techniken aus, mit denen man auch die in ihrem Trott verfangenen Journalisten großer Zeitungen aufschreckt – wenn die denn schon mal anrufen und von Ingo Schulze einen Text zur Spendenfreude eines deutschen Unternehmers wünschen.

Und die dann doch zurückschrecken, weil er die Erwartungen unterläuft, wissend, dass ein Autor auch immer das nagende, missmutige und ironische Gewissen einer Gesellschaft ist. Motto: 2Unsere Leser verstehen das nicht.2 Was eigentlich peinlich ist. Trauen unsere Zeitungen unseren Lesern nichts mehr zu? Keine Ironie? Keine Kritik an Heiligen Kühen?

Der Einstieg in den Sammelband ist gut. Und es wird immer wieder hochpolitisch, auch wenn Autoren nicht dazu neigen, plakative Sprüche in die Welt zu setzen.

Was dann eine wirklich platte These widerlegt, die Jana Hensel jüngst in der „Zeit“ äußerte: „Selten waren rechte Intellektuelle so wirkmächtig wie heute. Das liegt auch am Schweigen der Linken. Wo sind sie – jetzt, wo sie gebraucht werden?“

Ja, so ein Schreibtischgemoser aus dem Osten veröffentlichen die „Zeit“ und andere Zeitungen gern. Aber der oft genug klugen und differenzierten Kritik der Autorinnen und Autoren im Land räumen sie selten bis nie ihre Spalten ein. Denn dann geht es nicht mehr in diesem flachen Klippklapp von „Der hat unrecht“ und „Die da sind doof“ oder „Wir sind empört“, was ja die „rechten Intellektuellen“ nur zu sehr draufhaben.

Die Ansprüche unserer Zeitungen sind erstaunlich flach geworden seit – sagen wir mal: 1968. Ein Jahr, das sie ja nun auch alle emsig untersuchen und in die Ecke stellen – mal als gescheitertes Projekt, mal als nicht eingelösten Anspruch, mal als „völlig überbewertet“.

Das ist teils beängstigender Opportunismus. Teils ist es aber auch eine Willfährigkeit einem eindimensional gedachten Leser gegenüber, der mehr als Schwarz oder Weiß nicht mehr zu begreifen versteht.

Sind wir wirklich schon wieder so weit gekommen? Scheinbar ja. Was möglicherweise daran liegt, dass Schüler Literatur in der Schule nur noch als abzuarbeitenden Wissenstest mit Zielmarken erleben, nicht als Anregung, ihren Kopf tatsächlich mal mit Phantasie und tollen Geschichten aufzuladen. Wofür Markus Orths vehement plädiert. Während Melinda Nadj Abonji darauf eingeht, dass Literatur schon deshalb hochpolitisch ist, weil sie die Menschen mit ihren Lebensgeschichten und – in diesem Fall – Migrationserfahrungen in den Mittelpunkt stellt. Denn wer weiß, dass das Leben eine Reise ist und nichts fest Durchplanbares (wie die Kleingeister so gern glauben), der weiß auch, was das Leben wirklich wertvoll macht, wie jeder Mensch auf der Suche ist nach einem aushaltbaren Ort.

Und Kathrin Röggla kommt dann sogar auf etwas ganz Zentrales, wenn sie sich über den Zweifel Gedanken macht. Nicht nur den am und im Schreiben, sondern auch seine Rolle in unserer Welt, wo dem Zweifel ganz Ähnliches passiert ist wie fast allen Vokabeln, mit denen Medien, Politiker und Kommentatoren umgehen: Sie haben ihn in eine schwarze und eine weiße Hälfte geteilt. Die eine Hälfte macht den Zweifel zum Standard, macht es gar chic, alles und jedes zu bezweifeln und dann aus der Position des an allem Zweifelnden (und nichts Akzeptierenden) jede andere Meinung im Raum zu zerfetzen.

Und die andere Seite ist die Verdammung jeden Zweifels, seine Verbannung aus einer Macher-Haltung, die ihre „Projekte“ gnadenlos durchzieht und alle Zweifler niederwalzt. Bis die Sache schiefgeht. Was sie für gewöhnlich tut. Am Ende wird Röggla fast pessimistisch, nachdem sie von Zweifeln erzählt hat, die einen einholen, und von ihrem Umschlagen in Gewissheiten.

Womit man ja wieder bei dem wäre, was Hans Rosling das Problem der Kluft nennt: Wir verlernen immer mehr, den Raum zwischen den Extremen wahrzunehmen, denken eine Kluft, wo gar keine ist – sondern lauter Übergänge, in denen sich die Zustände permanent verändern. Was einen natürlich verunsichern kann, wenn der Zweifel nagt. Wenn er denn nagt und nicht als gesunde Vorsicht immer mitschwingt. Wir wissen vieles, aber nichts absolut. Wir lernen permanent dazu.

Und Autoren zweifeln natürlich immer wieder an sich und ihren Texten. Sie arbeiten ja mit Sprache so intensiv und intim, wie es sonst keiner tut. Hoffend, diese Genauigkeit wird auch vom Leser honoriert. Und vom Verlag. Und von den Kritikern. Denn die stecken ja Literatur nur zu gern und zu schnell in Schubladen – worüber Nils Mohl sich im Zusammenhang mit Jugendliteratur so seine Gedanken macht.

Wobei er dem Leser etwas erzählt, was eigentlich alltägliches Wissen sein sollte – aber sichtlich nicht ist: „Unser Zugang zur Welt ist narrativ.“ Wir begreifen Welt nur durch Geschichten, die wir uns erzählen oder erzählen lassen. Wobei Mohls natürlich anklingen lässt, dass auch der Begriff „Jugend“ nur ein Narrativ ist, ein längst standardisierter, aus dem sich ambitionierte Autoren immer wieder bemühen auszubrechen, nicht zum millionsten Mal die alten Stereotypen zu bedienen und zum Aufziehaffen zu werden.

Aber: „Wer will heute schon Vorturner sein?“, fragt Mohl und spricht damit ein Problem an, das seltsam das von Ingo Schulze benannte streift: Das dicke Geld macht man heute, indem man das liefert, was ins alte und normierte Schema passt. Wer ausbricht und wirklich seinen Kopf zum Selbersehen und Selbererzählen benutzt, gerät in Gefahr, dass einem Verleger, Redakteure und andere Nicht-Vermittler sagen: „Das verstehen unsere Leser nicht.“

Deswegen gibt es im Buchladen jede Menge Aufziehaffen-Literatur. Und nur ganz wenige wirkliche Überraschungen, wie sie sich Markus Orths und Arne Rautenberg von Literatur eigentlich wünschen. Deswegen schreibt man doch: Um die Leser mit einer wirklich überraschenden Geschichte zu packen. Und hinterher selbst überrascht zu sein, was einem alles aus der Tastatur fließt, wenn man nur endlich mal dazu kommt, sich ganz aufs Schreiben zu konzentrieren.

Erwin Krottenthaler, José F.A. Oliver (Hrsg.) Literaturmachen III,  Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2018, 16 Euro.

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