Dass ausgerechnet Männer so eine Politik der weltweiten Ressourcenplünderung betreiben, ist natürlich auch Thema in Vadana Shivas Buch „Eine andere Welt ist möglich“. Da geht es um die verlorene Verbindung zur Natur. Sie haben weder das Wissen noch ein Gefühl dafür, wie im natürlichen Kreislauf alles mit allem zusammenhängt.

Sie beobachten nicht die direkten Folgen, die entstehen, wenn man nur noch Monokulturen anbaut, die Trinkwasservorräte abpumpt und nur noch für riesige Fabriken produziert, während die gesunden und reichhaltigen Nahrungsmittel von den lokalen Märkten verschwinden. Die Macher interessieren sich nur für den Gewinn des eigenen Unternehmens. Daher kommen „Wettbewerb“ und Ego-Politik.

Wir merken es ja auch nicht mehr, wenn wir die ganzen in Plastik und Aluminium verpackten Fertigprodukte kaufen, die nach irgendetwas aussehen, aber keine Nährstoffe mehr enthalten, auch nicht sättigen, uns stattdessen mit künstlichen Fetten, Aromen und Süßstoffen anfüllen. Und regelrecht krank machen. Die sogenannten Zivilisationskrankheiten bis hin zu den meisten Allergien kommen genau da her.

Und die unglückliche Wut der Männer übrigens auch. Sie haben selbst in unseren Wohlstandsgesellschaften zunehmend das Gefühl, immer überflüssiger zu werden. Was nicht nur die betrifft, die sowieso arbeitslos gemacht wurden. Auch darüber denkt man nach, spätestens, wenn Shiva schildert, was einige dieser nach Firmenpleiten rausgeschmissenen Männer, die mit über 40 schon „zu alt“ für eine Neuanstellung sind, tun – Italien und Griechenland werden hier Thema. Sie legen Gärten an. In Rom zum Beispiel mit Unterstützung der Stadtregierung. Sie schaffen sich eine neue Existenzgrundlage, indem sie ihre Nahrung selbst anbauen. Und gleichzeitig stiften sie wieder Sinn in ihrem Leben – und sie bilden wieder eine Gemeinschaft.

Logisch, dass Shiva zu der Schlussfolgerung kommt, dass die Globalisierung durch die Großkonzerne geradeswegs in eine Katastrophe steuert. Angetrieben von einem Renditezwang, aus dem das Management dieser Konzerne nicht herauskommt. Wahrscheinlich können sie gar nicht anders. Der irre Wachstumsglaube des Westens resultiert direkt aus der Gier und dem Druck der Aktionäre, denen die Anteile an diesen Konzernen gehören. Wenn die Umsätze und Gewinne nicht steigen, gar schwächeln, wenn nicht immer neue Ressourcen erobert (heißt: gestohlen) werden, werden sie wütend, feuern die Manager oder lassen ihr Geld zum nächsten Konzern fließen, der erfolgreicher ist in seiner Gier.

Genau das treibt auch den Klimawandel an und das Abholzen der Tropenwälder, um auf den Flächen neue Riesenplantagen mit Ölpalmen, Soja und Mais anzulegen.

Wir sehen nur die Vernichtung des Regenwaldes und sind empört. Aber wir sehen nicht die Konzerne – wie Cargill – die genau diese Entwicklung forcieren, weil sie den Zugriff auf möglichst die komplette Nahrungsproduktion weltweit wollen. Deswegen ist die Einstiegsgeschichte, die auch Astruc in seinem Vorwort erzählt, so wichtig, jener Tag im März 1987 im französischen Dorf Bogève, wo ein von einer schwedischen Stiftung organisiertes Seminar stattfand, an dem vor allem Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler teilnahmen, um über die Zukunft der Biotechnologie zu reden. Und während die anderen wohl wirklich dachten, es ginge nur um die Zukunft der „grünen Gentechnik“, begriff Shiva, die als Wissenschaftlerin teilnahm, genau, was die Vertreter der Nahrungsmittelkonzerne sagten: Dass sie mit der Herstellung genetisch veränderten Saatguts den Zugriff auf die Saaatgutproduktion weltweit wollten. Also letztlich nicht nur bestimmen, was auf den Feldern wächst, sondern auch die Bauern, die ihr Saatgut in der Regel selbst herstellen, aus dieser Rolle zu verdrängen, ihnen die Macht über das Saatgut zu nehmen. Und damit selbst die absolute Macht über die gesamte Nahrungsproduktion weltweit zu gewinnen. Wer über das Saatgut bestimmt, hat die komplette Nahrungsproduktion in der Hand.

Das ist 31 Jahre später zum Glück noch nicht so passiert. Auch weil sich in vielen Ländern der Welt der zivile Protest formiert hat. Friedlich, wie Shiva betonen kann. Was sie an Gewalt erlebt hat, ging überall stets von den eingesetzten Polizeieinheiten aus, mit denen Regierungen nur zu gern die Interessen der Großkonzerne verteidigen, nicht die Interessen der (kleinen) Bauern. Das ist der Punkt, an dem unsere Demokratie gefährdet ist. Denn diese Schieflage kennen wir auch in Europa, bis hinein in die EU-Kommission, wo sich auch die Lobbyisten der amerikanischen Großkonzerne bemühen, Gesetze in ihrem Sinne schreiben zu lassen. An einigen dieser Gesetze sind wir nur haarscharf vorbeigeschrammt, weil das EU-Parlament sie ablehnte.

Der Name Monsanto hat auch in Europa keinen guten Ruf. Und der hat sich auch nicht gebessert, weil der deutsche Pharmariese Bayer meinte, diesen rabiaten Konzern kaufen zu müssen. Logisch ist das nicht mehr zu erklären, weil die Strategie von Monsanto weltweit nicht funktioniert. Traditionelle Anbauverfahren bringen nachweislich dauerhaft sicherere und höhere Erträge als all die patentierten Kunstprodukte aus amerikanischen Laboren. Was wir natürlich auch nicht erfahren (sollen). Da kommt die Marketing-Macht dieser Konzerne wieder zum Tragen. Sie lassen nicht nach.

Denn die riesigen Gewinne, die sie in der Vergangenheit mit der Ausbeutung von Patenten, Böden, ganzen Regionen gemacht haben, machen sie finanziell so mächtig, dass sie selbst nach Abstimmungsniederlagen im Parlament einfach weitermachen, wieder ihre Leute in den Kommissionen platzieren, die Gesetze schreiben oder die Auswirkungen wissenschaftlich bewerten sollen. Und wenn bekannte Wissenschaftsmagzine über die fatalen Folgen schreiben, kaufen sie einfach diese Magazine auf – und urplötzlich erscheinen lauter Ruhmesartikel über die „grüne Gentechnik“.

Deswegen ist es so wichtig, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und vor allem – so Shiva – den Bauern das nötige Wissen in die Hand zu geben, dass sie sich gegen die Übergriffe der Agrarkonzerne wehren können. Dabei zitiert sie des öfteren Mahatma Gandhi, das große Vorbild für friedlichen Widerstand und die Macht der Vielen, die eigentlich die Kraft des Einzelnen ist. Denn jeder Einzelne kann sein Verhalten ändern. Er muss nicht warten, bis „da oben“ irgendwer endlich umdenkt. Das wird nie passieren.

Jedenfalls nicht in einer derart von Patriarchen beherrschten Gesellschaft, wie wir sie derzeit haben. Die Aufsichtsräte sind nicht ohne Grund mit lauter Männern gespickt: Es sind genau die Typen, die das technokratische Denken am sichtbarsten vertreten. Ein Denken, das auch unsere Wirtschaftsberichterstattung beherrscht – bis hin zur Besessenheit vom Wachstumsdenken, das so zwangsläufig in die Katastrophe führen muss.

Und das, obwohl Wohlstand für alle weltweit problemlos machbar ist. Aber es ist ein anderer Wohlstand, einer, der sein Glück nicht (vergebens) in immer wilderem Konsum sieht. Denn die vielen (binnen einer Saison verschlissenen) Konsumprodukte versprechen zwar alles Mögliche. Aber sie machen niemanden glücklich. Was die Europäer nur zu genau wissen, die eigentlich nur noch zwischen der Rolle des unglücklichen Angestellten, der eine Nonsens-Arbeit verrichtet, und der Rolle des unglücklichen Konsumenten, der sich mit Müll belädt, hin und her wechseln.

Was fehlt? Nähe, Solidarität, Handarbeit, das Gefühl, wieder akzeptierter Teil einer Gemeinschaft zu sein und die eigenen Lebensgrundlagen selbst auch vor Ort sichern zu können.

Oder Shiva selbst zitiert: „Warum strömt die Jugend der Welt in die Einkaufszentren? Weil alles andere bedeutungslos geworden ist, ist das der Ort, den sie aufsuchen, um ihrem Leben Sinn zu geben. Das entspringt einer tiefen Krise. Unternehmen zwingen Bürger, etwas zu tun, das ihnen keine echte Befriedigung gibt. Die gekauften Waren sind nie genug und füttern nur eine Spirale der Enttäuschung.“

Eine Enttäuschung, die sich noch vermehrt, wenn Menschen merken, dass ihnen nicht einmal mehr Grund und Boden gehören und sie regelrecht machtlos sind, was die Gestaltung ihrer Zukunft betrifft. Das geht schon über das Zitat hinaus. Aber wenn man den Gedanken weiterdenkt, kommt man da hin. Und spürt auch so ein wenig, was da in Ostdeutschland gerade abläuft.

Bei Shiva endet auch dieses Zitat eher mit einem Keim Hoffnung: „Im Gegensatz dazu verlangt ein Leben, das von Sinnsuche bestimmt ist, von Natur aus auch Mäßigung: Genug ist genug.“

Und : „Unsere heutige Gesellschaft ist mit Frustration übersättigt. Wir leben im materiellen Überfluss, aber der Sinn fehlt.“

Und warum fehlt er? Wir sind außer uns: „Wir vergessen, dass unbegrenztes Wachstum, Unternehmen, die wie Personen behandelt werden, Profit, der zur Tugend erhoben wird … dass all dies nur Konstruktionen sind, die wir für die Realität halten. Wir zerstören die wunderbare und vollkommen reale Natur, die uns umgibt, zugunsten dieser Abstraktionen und vergessen dabei, dass sie nur Mittel, niemals aber Zweck sein sollten. Dieser Vorgang wirkt wortwörtlich lähmend auf die Menschheit – er bringt uns dazu zu glauben, es gäbe keine Alternativen.“

Es ist ein Buch voller Anregungen geworden, die üblichen (falschen) Denkschablonen von Wachstum und Wohlstand zu verlassen. Und selbst aktiv zu werden, im Kleinen oder auch im Größeren. Denn erst wo sich Betroffene zusammenschließen und Netzwerke bilden, wird das Denken über andere Möglichkeiten zu leben zur lebendigen Kraft.

Vandana Shiva; Lionel Astruc Eine andere Welt ist möglich, Oekom Verlag, München 2019, 20 Euro.

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