Man bringt sie gedanklich tatsächlich nicht zusammen: bekannte Fernsehköche wie Herbert Frauenberger und so alltägliche Esswaren wir z. B. Bockwürste. Aber die Bockwurst hat es in sich. Auch weil man sie unterschätzt. Man weiß zwar als landläufiger Käufer von Bockwurst mit Brötchen nicht, was drin ist. Aber mit Frauenberger erfährt man es.

Samt der Herkunftsgeschichte, die auch in diesem Fall nach Berlin führt – zu einem jüdischen Fleischer und einem pfiffigen Gastwirt. Und von da aus trat die Bockwurst ihren Triumphzug durch deutsche Lande an, war im Osten über Jahrzehnte praktisch das Markenzeichen von Bahnhofskiosken und Mitropa-Gaststätten. Wenn es etwas gab, dann Bockwurst. Meist nur mit Senf. Oft gar nur mit einer Scheibe Brot, wenn die Brötchen alle waren.

Aber so sehr ins Milieu geht Frauenberger dann nicht. Lieber erzählt er davon, wie er selbst die Möglichkeiten der Bockwurst entdeckte. Was auch mit seiner Lieblingsernährung jenseits seiner Fernsehauftritte zu tun hat. Denn da bevorzugt der Koch erstaunlicherweise Suppen und Eintöpfe – schnell zubereitet, lecker und deftig. Und eigentlich auch ein großes Feld für die Phantasie. Auch gern mit Bockwurst.

Aber natürlich erzählt Frauenberger auch, wie Bockwürste wirklich hergestellt werden und warum es auf den richtigen Darm und die richtige Fleischauswahl ankommt, warum VW eigene Bockwürste produziert und was die Bockwurst mit Wienern und Frankfurtern gemein hat.

Und dann stürzt er sich in die Rezepte. Und man erkennt die Bockwurst kaum wieder. Es sei denn, man hatte Mütter und Großmütter, die vor der kleinen Dicken keinen Respekt hatten und sie eben nicht nur aufgewärmt in die Erbsensuppe flutschen ließen. Das Büchlein ist tatsächlich ein kleiner Hort der Respektlosigkeiten, der Bockwurst in lauter leckere Gerichte verwandelt, die mit dem Senf-Mayo-Erlebnis am Bockwurststand nur noch wenig gemein haben.

Das geht mit einem würzigen Sauerkrauttopf los. Selbst Pinselheinrichs Erbseneintopf sieht anders aus als eine landläufige Erbsensuppe, und die Gourmet-Kartöffelchen mit Bockwurstblüten erst recht. Auf einmal wird die knackige Wurst zur anschmiegsamen Beilage, zeigt ihre herzhaften und rustikalen Seiten, badet regelrecht in einem Thüringer Apfel-Bockwurst-Gratin oder verwandelt sich unversehens in eine Berliner Currywurst von der Bockwurst.

Bockwurst-Omelett oder gar Bockwurst im Baconhemd zeigen, wie wandlungsfähig das Würstchen ist. Und spätestens mit dem Bockwurstherz mit Spiegelei wird sie zum Verwandlungskünstler, wird für Kinder auch gern zur Bockwurst im Wickelkleid, zur Bockwurst-Pizza oder zur Bockwurstschnecke.

Und man weiß nun auch, warum der Knack so wichtig ist, jener berühmte (und berüchtigte) Knack, der das Reinbeißen in die heiße Wurst so zum Abenteuer macht. Natürlich gibt es auch Rezepte zu den eher traditionellen Gerichten mit Bockwurst – man denke nur an all die Variationen leckerer Kartoffelsalate. Diese Wurst lässt sich was gefallen und streitet sich auch mit niemandem darüber, welcher Senf denn nun dazugehört – der aus dem Spreewald, der aus Bautzen oder der aus Altenburg.

Die Zeiten, dass es eine uniformierte Bockwurst für alle an den Kiosken und in den Speisewägen der Mitropa gab, sind lange vorbei. Die Speisewägen sind verschwunden. Die Bockwurst gibt es meistens an einem Stand am Bahnsteig, unverwüstlich, eigentlich schon lange zu den typischen Happen gehörend, die es in deutschen Städten auf die Hand zu kaufen gibt. Kult für die einen, Spaßzipfel für die anderen, die sich – wie Kabarettist Olaf Schubert – nur zu gern über den „Dampfpimmel“ lustig machen, wohl wissend, dass in dieser Wurst auch ein Stück deutscher Alltagsseele steckt.

Da, wo sich das scheinbar Banale mit dem Knackigen vereint, da holt der deutsche Wandersmann auch mal sein Lächeln aus der Tasche und zeigt ein Stück von jener Gelassenheit, die er im sonstigen politischen Tagesgeschäft niemals gucken lassen würde. Schon gar nicht in der Öffentlichkeit, vornübergebeugt über das heiße Ding, von dem man nie so recht weiß, wo es jetzt spritzt, wenn es knackt.

Herbert Frauenberger Bockwurst. Einfach Kult!, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2019, 5 Euro.

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