„Vom künftigen Erfolg der Zeitschrift war 1955 nicht nur Schöpfer Hannes Hegen überzeugt. Auch Bruno Peterson, der Leiter des Jugendbuchverlages ‚Neues Leben‘ (in dem das MOSAIK die ersten drei Jahre erschien), setzte voll auf diese Karte“, schreibt Bernd Lindner gleich zu Beginn der Geschichte des MOSAIK etwas, was so typisch ist für Traum und Versagen eines Ländchens namens DDR.

Manche kennen Lindner noch als wissenschaftlichen Mitarbeiter und Ausstellungskurator am Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, wo er von 1995 bis 2015 tätig war. Von Ruhestand kann für den Kulturhistoriker sowieso keine Rede sein. Zuletzt veröffentlichte er den eindrucksvollen Band „Über Mauern“, in dem er zeigt, wie vielfältig die deutsche Teilung sowohl in der Kunst der BRD als auch der der DDR dargestellt wurde.

Teilung hieß aber auch von Anfang an: Ist so ein kleines Land wie die DDR überhaupt in der Lage, etwas Eigenes, Unverwechselbares zu schaffen und am Ende sogar ein eigenes Gesicht als Land zu bekommen? Sogar etwas Attraktives, Eigenständiges, auf das die Bewohner des Landstrichs tatsächlich hätten stolz sein können und mit dem sie auch stolz in die Vereinigungsverhandlungen mit dem Westen hätten gehen können?

Die Antwort lautet: Ja.

Wir können das auch

Die Geschichte der Zeitschrift MOSAIK zeigt es exemplarisch, auch wenn es anfangs auch wieder eine jener 1950er-Jahre-Geschichte ist, als die Funktionäre der SED begriffen, dass man allein mit politischer Schulung, Fahnenappellen und Parteitagen die Menschen nicht begeistern kann und der Westen mit seinem Wirtschaftswunder eine Attraktivität entfaltete, die der mühsame Aufbau Ost einfach nicht hinbekam.

Und die drögen Parteizeitungen der SED sowieso nicht. Weshalb damals binnen weniger Jahre jene Zeitschriften geschaffen wurden, die bis zum Ende der DDR in riesigen Auflagen gedruckt und praktisch immer vergriffen waren: die „Wochenpost“ ab Dezember 1953, die „Sibylle“ ab 1956, „Das Magazin“ ab 1954 und das MOSAIK ab 1955.

Alles Printprodukte, die man als Gegenentwurf zu erfolgreichen Zeitschriften im Westen entwarf in der Hoffnung, damit ein Bollwerk zu setzen gegen die Faszination westdeutscher bzw. Westberliner Zeitungskioske. Das hat nicht ganz geklappt, auch wenn all diese Titel Auflagen erreichten, die bis zum Ende der DDR geradezu astronomisch waren. Und anders als viele andere Zeitschriftentitel waren sie keine Zuschussgeschäfte, egal wie winzig der ausgewiesene Preis auf dem Cover heute wirkt. 95 Pfennige für ein MOSAIK-Heft?

Natürlich funktionierte das nur, weil es weiter keine Konkurrenz für diese Titel gab. Und trotzdem waren die vier Zeitschriften alles andere als ein sozialistischer Abklatsch westlicher Erfolgsprodukte. Das MOSAIK zeigt es exemplarisch, weil es – noch stärker als die Geschichte von „Wochenpost“ oder „Sibylle“ – von etwas geprägt wurde, was es im „sozialistischen Arbeitskollektiv“ so eigentlich nicht geben sollte: eigenwillige Persönlichkeiten.

Eine störrische Persönlichkeit

Und Hannes Hegen alias Johannes Eduard Hegenbarth war eine der eigenwilligsten Persönlichkeiten im kleinen Medienkosmos der DDR, auch von Mitstreitern kritisch beäugt, selbstbewusst und sich seiner Eigenart sicher. Seiner Einzigartigkeit vielleicht nicht so sehr.

Denn auch wenn er in den ersten 20 Jahren jedes Heft verantwortete, die Fabel vorgab und die Bilderfolge vorzeichnete, wusste er nur zu gut, dass er ohne die Frauen und Männer, die er da in Karlshorst um sich versammelt hatte, nicht jeden Monat ein neues durchgestaltetes Heft mit den drei Kobolden Dig, Dag und Digedag hätte in Druck geben können.

Auch wenn sein Name bis 1975 als Markenzeichen auf dem Cover stand, war jedes Heft echtes Teamwork. Und die Enttäuschung, von der Bernd Lindner auch erzählt, die Hegen damit hadern ließ, dass seine langjährigen Mitstreiter das MOSAIK dann einfach ohne ihn weiterproduzierten, ist nur zu verständlich.

Hegen hatte sich nur die Rechte an Dig, Dag und Digedag gesichert, nicht am Heftnamen MOSAIK. Und so turnen die Nachfolger, die drei Abrafaxe, bis heute durch den Comic-Wald, vom Charakter her den drei Hegenschen Kobolden nur allzu ähnlich. Nur konnte Hegen gegen dieses Plagiat seinerzeit nichts machen.

Und auch nichts dagegen, dass seine Idee, wie man Comics erzählen kann, mit den Abrafaxen weitergeführt wurde und das MOSAIK bis heute zum auflagenstärksten Comic in Deutschland macht. Denn das Erzählprinzip unterscheidet sich bis heute deutlich von der Art, wie andere Comic-Serien erzählt werden. Ex ist kindgerecht, kommt ohne Gewalt aus und eröffnet den jungen (und älteren) Lesern die Welt auf abenteuerliche und meist auch lustige Art.

Mehr als einmal vor dem Aus

Millionen Kinder in der DDR haben die große weite Welt mit dem MOSAIK entdeckt, nicht einmal ahnend, dass es im Lauf der Zeit immer wieder von Einstellung bedroht war, weil den Parteibonzen das Parteiliche fehlte, die „Brudervölker“ im Osten genauso wenig besucht wurden wie die kleine DDR selbst. Es kamen keine Revolutionäre drin vor, kein Klassenkampf und keine Widerstandskämpfer.

Den ganzen Kanon sozialistischer Selbsterzählung mied Hegen von Anfang an – auch mit dem Wissen des jungen Grafikers darum, dass diese sozialistischen Erzählstereotype das beste Mittel gewesen wären, das Heft dröge, unlesbar und unbeliebt zu machen.

Doch immer wieder kam ein großer Natschalnik auf die windige Idee, das MOSAIK müsste endlich klassenkämpferischer werden. Doch die Sache dann tatsächlich zu beenden und so einen Bocksfehler wie 1988 zu machen, als die SED-Führung den Vertrieb der sowjetischen Zeitschrift „Sputnik“ untersagte, wagte man sich mit dem MOSAIK nie.

Schon 1950 schien Hegens gezeichnete Warnung, die er sich in sein Büro gehängt hatte, völlig zu genügen, den befehlsgewohnten Genossen klarzumachen, was passieren würde, wenn Hegen abgelöst würde.

Er hatte die Warnung als Titelbild einer „letzten Ausgabe“ des MOSAIK gestaltet. Wie es dazu kam, erzählte der Grafiker, der seinen Vorlass ja dem Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig überlassen hatte, Lindner in mehreren Gesprächen.

Weshalb in diesem Heft jetzt deutlich mehr persönliche Ansichten des legendären Zeichners zum Tragen kommen als in den zahlreichen Publikationen zum MOSAIK, die im Lauf der letzten Jahre schon erschienen sind.

Denn in der DDR-Zeit hütete sich Hegen wohlweislich, den obersten Zensoren irgendeinen Anlass zu geben, ihn als Person angreifen zu können, weil er sich in der Öffentlichkeit profiliert hatte. Und danach wurde er geradezu unsichtbar als Person, auch wenn er weiter zeichnete und seine Zeichnungen auch in den Printmedien der DDR veröffentlichte.

„Mehr als einmal stand Hannes Hegens MOSAIK vor dem Aus“, schreibt Lindner. „Immer wieder stieß er an Grenzen inhaltlicher und ideologischer Art, weil seine Bildergeschichten den DDR-Funktionären ‚nicht genug auf Linie‘ waren.“

Die Macht guter Geschichten

Doch genau das machte das MOSAIK so beliebt. Denn mit diesen Kobolden konnten sich die kleinen Leser identifizieren. Menschen wollen nicht indoktriniert werden. Menschen wollen gute Geschichten hören und lesen. Das galt schon immer. Und selbst die Geschichte des MOSAIK war so eine gute Geschichte – sie funktionierte, Monat für Monat. Auch weil Hegen ein guter Geschichtenerzähler war.

Das deutet Lindner an, wenn er seine Mitarbeiterin Lona Rietschel zitiert, die ja immerhin die Abrafaxe selbst entworfen und 24 Jahre lang gezeichnet hat. „Was Höhepunktcharakter bei mir hat, waren die Digedags-Geschichten. Bei den Abrafaxen wüsste ich nichts.“

Viele MOSAIK-Liebhaber lassen deshalb auch nur die Digedags gelten, manche daraus sogar nur einzelne Serien wie die Ritter-Runkel-Serie oder die Römer-Serie, beide liebevoll erzählt um lauter skurrile Personen herum, die in ihrer Tollpatschigkeit tragisch und liebenswert zugleich sind. So, wie man sein eigenes Leben ja selbst meist erlebt. Es steckt eine dicke Portion Lebensweisheit in diesem Hegenschen Humor, den die Abrafaxe so nicht gewinnen konnten.

Ein Humor, der sich deutlich abhob von der ideologischen Humorlosigkeit der sozialistischen Vorzeigehelden, die so lebensfremd und unnahbar waren, dass man sich am Ende nicht darüber wundern musste, dass die sozialistischen Märchenerzähler 1989 nicht mehr weiterwussten.

Ihre alten Geschichten hatten sich verbraucht. Neue hatten sie nicht gefunden oder zugelassen oder lieber abgewürgt, weil man über Geschichten keine Kontrolle mehr hat, wenn sie wirklich die Herzen der Menschen ergreifen.

Das Talent zum Geschichtenerzählen

Am Ende gewinnt immer der, der die besseren Geschichten hat. Auch das ist so eine Lehre aus der MOSAIK-Geschichte, die im Zeitgeschichtlichen Forum und in Berlin nun schon mehrere Ausstellungen mit großem Besucherzuspruch gefunden hat. Bernd Lindner erzählt diese Geschichte kurz und lebendig und gibt im Anhang auch Tipps, wo man welche Geschichten der Digedags heute noch oder wieder finden kann.

Denn die alten Abenteuer werden immer wieder in Großformat und in Taschenbuchgröße aufgelegt und finden immer wieder reißenden Absatz. Auch wenn die Käufer heute oft schon weißhaarige ältere Herrschaften sind, für die die Entdeckung der Welt aber mit den Digedags angefangen hat.

Und noch heute funktionieren diese Hefte so, auch für jüngere Leser. Denn wirklich lebendiger ist Weltvermittlung in den Schulen nicht geworden. Auch Bildungsminister haben es meistens nicht begriffen, dass es auch zum Lernen gute Geschichten braucht. Dröge kann jeder.

Aber spannend und mit jeder Menge Humor, das ist ein seltenes Talent. Und manchmal hat so ein Talentierter wie der damals 30-jährige Hannes Hegen einfach Glück, dass die Funktionäre einmal eine schwache Stunde haben und ihm die Chance geben, einen Comic zu machen, wie er ihn sich immer schon vorgestellt hat. Wissend, dass die Sache funktioniert. Weil gute Geschichten nun einmal funktionieren.

Bernd Lindner „Das MOSAIK von Hannes Hegen. Comic in der DDR“, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2022, www.lztthueringen.de/publikationen/

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