Kinder lieben Geschichten. Aber es muss nicht immer ein Bösewicht drin vorkommen. Auch kein Monster und keine böse Hexe. Das ist der Irrtum, dem Filmstudios genauso aufsitzen wie viele Kinderbuchschreiber. Sie glauben, weil wir uns in unseren täglichen Nachrichten ständig Gute-Böse-Geschichten erzählen, sei das die Wirklichkeit. Ist sie aber nicht. Kinder wissen das viel besser: Es geht immer nur darum, dass es weitergeht.

Und deshalb erzählt der Leipziger Michael Oertel andere Geschichten für Kinder. Auch aus Erfahrung. Denn der Sozialpädagoge geht auch auf die Intensivstation der Leipziger Kinderklinik und liest dort, in der Regel begleitet von Malu Sieber und von seinen Handpuppen.

Seine Handpuppen sind der Wicht und der Maulwurf. Die Sache mit der Helfe-Elfe Magda bewegt ihn seit 2009. Da erschien sein erstes Buch mit der kleinen hilfreichen Elfe: „Helfe-Elfe in Ostfriesland“.

Die kleine Figur heißt nicht grundlos so: Magda hilft wirklich gern. Womit sie – aus Sicht der Bösewicht-Fraktion – natürlich eine Gegenfigur ist, die reine Negation des ständigen Streits zwischen Gut und Böse. Den Kinder so in der Regel auch eher selten erleben, auch wenn er in der Programmierung unserer Gesellschaft steckt.

Gerade wenn man das neue Helfe-Elfe-Buch zuklappt, wird einem das bewusst: Wie sehr uns jeden Tag aufs Neue erzählt wird, dass wir uns ständig in einem Kampf mit dem „Bösen“ befinden. Dass überhaupt alles Kampf ist und es zwischen Sieg und Niederlage nichts gibt.

Falsche Geschichten ĂĽber die Welt

Da kann man an die jüngste Fußball-WM erinnern, die die berichterstattenden Herren in ihren Musteranzügen dargestellt haben, als würde ausgerechnet dort der große Showdown der ach so „guten“ Deutschen mit bösen Gegnern stattfinden. Alles ist verbissen, wird zur Tragik aufgeblasen und wie ein Armageddon kommentiert.

Wie lächerlich.

So wird das nie etwas. Da sind Kinder und Elfen jedenfalls klĂĽger.

Denn sie wissen (noch) nicht, was sie wissen sollen, wenn es nach den großen Schaumschlägern geht. Sie lassen sich auf jeden Tag und jedes Abenteuer noch mit Neugier ein. Egal, wie klein die Abenteuer von außen aussehen.

Das war in „Helfe-Elfe Magda in Ostfriesland“ so, das war im nächsten Band „Helfe-Elfe Magda in den Rocky Mountains“ so, den Michael Oertel sogar schon vorher schrieb, bevor er überhaupt mal zu einem Urlaubstrip in die Rocky Mountains aufbrach.

Und das ist jetzt in „Helfe-Elfe Magda auf der Insel Arran“ so, einer Geschichte, die wiederum die Urlaubserlebnisse des Autors von 2016 auf der tatsächlich existierenden Insel Arran in Schottland aufgreift.

Und damit das Beeindrucktsein des Autors selbst, der auf der kleinen Insel augenscheinlich auf eine Gelassenheit und Freundlichkeit traf, wie man sie im bärbeißigen Deutschland mit der Lupe suchen muss. Es ist ja nicht so, dass wir nur über Länder wie Katar praktisch nichts wissen. Es geht uns auch mit näher liegenden Ländern wie Schottland so.

Helfe-Elfe Magda. Foto: Michael Oertel
Helfe-Elfe Magda. Foto: Michael Oertel

Unsere vielen Reporter, die sich aus solchen Ländern per Liveschalte gern allwissend und besserwissend zu Wort melden, spiegeln uns die Länder da draußen in der Regel durch unsere eigene Brille. Sie reisen zwar viel herum, sehen aber nichts und kommen aus den mitgebrachten Schablonen der scheinbar allgültigen deutschen Sicht auf die Welt nicht heraus.

So lernt man natĂĽrlich nichts.

Die verlorene Zeit

Helfe-Elfe Magda muss nur ein bisschen träumen, und schon landet sie auf der Insel Arran. Einem Ort, wo sie sich sichtlich wohlfühlt. Das kleine Örtchen, wo sie landet, erinnert sie an den Zauberwald. Manchmal müssen gar keine Zauberdinge vorkommen, damit etwas zauberhaft wirkt.

Und die Menschen freundlich sind und grüßen. Oertels Bücher erzählen auch von einer Sehnsucht, die bei ihm immer größer zu werden scheint: Der Sehnsucht, nicht mehr in einer rasenden, gedankenlosen und immer eiligeren Gesellschaft leben zu müssen. Gejagt von einem Zeit-Verständnis, das unsere Zeit sogar auffrisst, sodass wir das Gefühl bekommen, nichts mehr davon zu haben.

Was ja logisch ist: Wenn man getrieben ist, auch noch aus der letzten freien Minute „etwas zu machen“, wird man auch das schlechte Gewissen nicht los, wenn man sich diesem Du-musst-immer-fleißig-sein-Dogma einmal entzieht.

Helfe-Elfe Magda lebt das regelrecht, unterhält sich mit Vögeln, bewundert Blumen und Kräuter. Und nur die „blöden Möwen“ mit ihrem Geschrei gehen ihr auf den Keks. Auch, weil sie in diesem Geschrei eine ziemliche Aggressivität spürt. Die gilt, wie die kleinen Zuhörer beim Vorlesen bald erfahren, dem Papageientaucher Paulus, den es allein auf die Insel verschlagen hat.

Er wird zwar am Ende nicht von einem zufällig vorbeikommenden Rettungskommando abgeholt. Aber darum geht es auch gar nicht in der Geschichte. Auch das ist so ein Märchen für Erwachsene: dass kleine Leute ständig gerettet werden müssen.

Manchmal wollen sie das gar nicht. Manchmal sind sie auch einfach naseweis und superklug wie Paulus, der ganz und gar keine Jammerei anstimmt über die ihm fehlenden anderen Papageientaucher, sondern vorlaut immerfort erzählt, was er über die ganzen (Un-)Kräuter auf der Insel weiß.

Um die geht es am Ende auch, weil Mister Miller, der Lehrer, seinen Schülern die Aufgabe stellt, möglichst viel über Wildkräuter herauszufinden. Die nämlich oft sehr lecker sind, oft auch heilsam.

Die wilden Kräuter

Trotzdem kommen sie im Wortschatz vieler Leute nur als Unkräuter vor. Weil sie da wachsen, wo diese Leute nichts wachsen lassen wollen. Und so ein bisschen steckt das als stille Warnung auch in der Geschichte: Lasst euch das nicht einreden, Kinder.

Seid lieber neugierig und versucht herauszubekommen, welche Besonderheiten all diese Kräuter haben, die manchmal gleich am Wegesrand stehen: Wilder Doist, Kamille, Sauerampfer, Mägdesüß, Brunnenkresse …

Da wird eine Aufgabe für die Kinder der Schule gleich mal zu einer guten Ausrede für Mister Kiss, der den örtlichen Baumarkt betreibt, seinen Laden früher zuzusperren, um bei der Suche zu helfen. Er ist ja aus dem wohl doch eher hektischen Brandenburg extra auf diese kleine Insel gezogen, um einmal anders zu leben – nicht des Geldverdienens willen.

Er ist nicht wirklich die Hauptfigur, aber man merkt, dass sich um ihn die eigentliche Frage rankt, die Michael Oertel in dieser Geschichte bewegt: Wie möchten wir eigentlich leben?

Dass es das ständige Schuften für immer mehr Geld und allein des Geldes wegen nicht sein kann, das ist dem Autor klar. Seiner Helfe-Elfe Magda sowieso. Sie braucht ja nicht viel. Aber ist ein Leben ohne Hamsterrad möglich?

Oder muss man dazu tatsächlich erst auf eine abgelegene Insel ausweichen, wo die Leute Fische fangen oder Schafe halten und ansonsten nicht viel Wert darauf legen, dass alles nach Öffnungszeit und Sekundenzeiger abläuft?

Du musst …

Solche Orte gibt es ja augenscheinlich noch. In Schottland viel eher noch als in Brandenburg oder Sachsen. Orte, an denen einem nicht an jeder Ecke ein „Du musst!“ oder ein „Du sollst!“ um die Ohren gehauen wird. An denen einer seinen Laden einfach mal zuschließen kann, wenn ihm danach ist, mit dem roten Moped zum Strand zu fahren und Treibgut zu sammeln.

Vielleicht ist Michael Oertels Geschichte nur eine typische Urlaubsgeschichte. Da darf man das ja so machen und darf auch mal wieder das GefĂĽhl haben, dass die Tage eine Ewigkeit lang sind. Aber dann muss man ja meistens doch zurĂĽck zum Geldverdienen.

Und dann? Dann hat man seine Helfe-Elfe Magda, die man im Traum einfach mal auf die Insel Arran schicken kann – zum Schafezählen, Kräutersammeln oder einem Nickerchen auf der Schmetterlingswiese.

Oder zum Staunen. Auch das haben wir ja verloren, weil wir denken, wir wüssten, wie alles zu organisieren wäre.

Oertels Geschichte jedenfalls geht immer weiter. Liebevoll illustriert von Juliane Stirling. Es gibt so viel zu sehen und zu bestaunen. Und am Ende eine Kräuterparty, eher so als Ausklang, damit die aufmerksamen Zuhörer den Punkt nicht verpassen, an dem sie die Augen schließen und selber träumen können.

Denn manchmal ist richtig viel passiert, ohne dass – so aus der skeptischen Sicht der großen Leute – überhaupt etwas passiert ist. Und das ist meistens gut so. Kinder wissen das noch, auch wenn ihnen große Leute nur zu gern erzählen, dass es ohne Dinosaurier, Ritter und Cowboys, Drachen und Bösewichte nicht geht. Da verwechseln aber die Erwachsenen ihre Erwachsenen-Grusel-Geschichten mit der Wirklichkeit.

Die zum GlĂĽck meistens ganz anders ist. Auch wenn nicht immer Schafe, Elfen und Papageientaucher drin vorkommen.

Michael Oertel, Juliane Stirling Helfe-Elfe Magda auf der Insel Arran Shaker Media, DĂĽren 2022, 25,90 Euro.

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