Das kann vorkommen und passiert nicht nur den kleinen Julianes: Papa und Mama benehmen sich megapeinlich, wenn man mal mit ihnen in der Öffentlichkeit unterwegs ist. Vielleicht nicht ganz so wie in diesem Kinderbuch von Juliane Pieper. Aber der geänderte Blickwinkel hilft manchmal, auch den Erwachsenen einmal den Spiegel vorzuhalten. Sie springen zwar beim Lieblingsitaliener meist nicht über Tisch und Bänke. Aber ein Elternverbot könnte vielleicht keine schlechte Idee sein.

Wobei Juliane Pieper ihre blauhaarige Heldin mit Eltern zum Lieblingsitaliener ziehen lässt, die sich tatsächlich so benehmen wie manche Kinder in ganz schlechten Kinderfilmen – sie albern herum, mäkeln über das Angebot, finden nichts auf der Karte, können sich nicht anständig hinsetzen, spielen beim Essen und spielen auch mit dem Essen. Und so weiter.

Sie tun also irgendwie das, was man sonst eher von zappeligen Kindern kennt. Von manchen. Nicht von allen. Kinder kennen das ja. Vorwiegend stehen sie ausgerechnet beim Restaurantbesuch mitten im Fokus der Aufmerksamkeit. Und wie jeder weiß, muss man sich da benehmen. Muss leise sein und still sitzen, darf nicht erzählen und mit dem Besteck klappern. Und die Großen verwandeln sich vor aller Augen in regelrechte Aufpasser und Benimmapostel. Tu dies nicht, lass jenes sein. Die Leute gucken schon …

Und immer lockt die Tagesschau

Egal, ob das arme Kind überhaupt etwas getan hat, oder sich einfach nur wie ein Kind benommen hat. Wer mal klein war, erinnert sich ja an viele, viele solcher Szenen, in denen an einem herumerzogen wurde und das Geschimpfe der meist doch so netten Eltern regelrecht dafür sorgte, dass die Szene im Restaurant völlig peinlich wurde und tatsächlich alle Leute schauten.

Nur dass die meisten Leute dann eher mitleidig gucken und sich nur zu sehr erinnert fühlen an die eigenen Erlebnisse mit Erwachsenen, die im Restaurant auf einmal Benimmlehrer und Aufpass-Wauwaus wurden.

Dass Juliane Piepers Geschichte auch so herum gelesen und gesehen werden könnte, wird spätestens klar, als einer der ausgeflippten Erwachsenen ausgerechnet jammert „Ich will keinen Lolli! Ich will die Tagesschau gucken!!!“ Das steht zwar irgendwie für die Kinder, die ganz zappelig sind, weil sie glauben, sie würden zu Hause im Fernseher irgendetwas unerhört Wichtiges verpassen.

Aber die Szene ist eigentlich vor allem entlarvend: Auch die Großen zappeln oft einfach nur herum, weil sie gar nicht richtig da sind und andere Sachen immer wichtiger finden als so einen Besuch beim Lieblingsitaliener mit den Lieblingskindern. Auch sie scheinen nie gelernt zu haben, dass man Dinge richtig machen muss. Nicht immer nur nebenbei.

Und auf einmal merkt man, dass diese fröhlich gezeichnete Geschichte eigentlich von etwas völlig anderem erzählt: dem Lernen, wie man schöne Dinge wieder mit voller Aufmerksamkeit wahrnimmt. Das geht nämlich nicht, wenn man ständig herumzappelt, auf sein Taschentelefon guckt und herumscrollt, weil man denkt, immerzu irgendwas zu verpassen.

Mit unerhörtem Ernst

Tatsächlich verpasst man was. Da muss man nur den Gesichtsausdruck des Mädchens mit den blauen Haaren sehen: den eigentlich schönen Abend im „Schwarzen Hahn“, die stille Kleine am Tisch und den Moment, jetzt wirklich einfach nur gemeinsam die schönste Pizza der Welt zu essen. Klar muss man das als Knirps erst lernen, das ist einem ja nicht in die Wiege gelegt.

Aber die Großen vergessen ja auch nur zu gern, dass ihre kleinen Weggenossen alles, was neu ist, mit unerhörtem Ernst wahrnehmen. Und nicht wirklich so ein dickes Fell haben, dass an ihnen ständig herumgezerrt und ermahnt werden kann.

Dass es Kinder gibt, die dann außer Rand und Band geraten – keine Frage. Aber da ist dann in der Regel noch viel mehr schiefgegangen als bei den Eltern, mit denen das blauhaarige Mädchen ihren Pizza-Abend erlebt. Und viele Kinder, die mit ihren Vorlesern in diese Geschichte eintauchen, werden vielleicht ein bisschen sich selbst erkennen dabei. Aber eher ihren Spaß haben, weil Juliane Pieper die Sache richtig dolle übertrieben hat. So würde sich natürlich nie im Leben ein echtes Kind benehmen.

Bei Eltern kann man sich da nicht so sicher sein. Auch wenn sie eigentlich ganz nett sind. Aber oft genug haben sie auch schrecklich schräge Sprüche drauf, die Juliane Pieper als „Goldene Regeln“ am Ende des Buches gesammelt hat – ein bisschen gegen den Strich gebürstet, weil sie sonst eigentlich nur doof sind. So wie „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt …“

Das ist der Befehlston von anno dunnemals, der noch nie funktioniert hat. Weshalb der Spruch bei Juliane Pieper so weitergeht: „… oder runterfällt (3-Sekunden-Regel!)“

Worauf es beim Essen wirklich ankommt

Das klingt zwar ganz schön seltsam. Aber gerade durch diese schalkhafte Abwandlung wird deutlicher, dass es beim Essen nicht um Befehlen und Gehorchen gehen kann. So leicht einem solche blöden Sprüche über die Zunge kommen (und die Älteren kennen noch mehr aus dem Arsenal der schlechten Erziehung): Aber Essen teilt man. Essen ist immer etwas Gemeinsames.

Und niemand kann gezwungen werden, etwas zu essen, was er (jetzt) nicht mag. Vielleicht schmecken ja die kleinen Gurken besser. Oder ein Marmeladenbrot. Oder ein schön bepackter Eierkuchen, während man einfach mal erzählt, was alles so passiert ist im Alltag eines kleinen Welteroberers.

Da gilt dann auch nicht der blöde Spruch „Eltern bei Tische, stumm wie die Fische“. Schlimm genug, wenn sie stumm sind und nicht zuhören und nichts erzählen. Und so wird auch diese Schicht der Geschichte greifbar – dass es zwischen dem blauhaarigen Mädchen und seinen Eltern irgendwie nicht funktioniert. Sie reden nicht miteinander. Die Eltern sind nur mit ihren Streichen beschäftigt. Das arme Mädchen schaut nur stumm über den verwüsteten Tisch. Womit eigentlich klar ist: Wenn man schon ins Lieblingsrestaurant geht, sollten alle das wollen. Und alle wissen, wie man so einen Pizza-Abend zusammen richtig gut machen kann.

Aber bestimmt haben all die Kinder, die sich jetzt über diese völlig auf den Kopf gestellte Geschichte kringeln, noch viel bessere Ideen, wie man den Pizza-Abend retten kann und auch Mama und Papa sich mal ganz auf die Pizza und den kleinen Menschen am Tisch konzentrieren, ohne ihn jetzt aus irgendwelchen Gründen noch öffentlich erziehen zu wollen. Denn was ist, das ist. Und wer aufmerksam hinschaut, der bemerkt, dass man ganz und gar nicht ständig herumzappeln muss, damit der Moment „richtig“ wird.

Juliane Pieper Pizza Randale, Klett Verlag, Leipzig 2023, 15 Euro.

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