Es gibt schon einige eindrucksvolle Fotobücher zu Lost Places in Leipzig. Meist zehren sie vom besonderen Zauber der verlassenen Orte und den Bildern der Vergänglichkeit. Auch Stefan Topf hat sich von diesem Zauber einfangen lassen. Doch da war noch mehr. In den zumeist stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen anderer Fotografen taucht es wie beiläufig auf. Aber eigentlich ist es den besonderen Blick wert: die Urban Art, die an diesen Orten geradezu blüht.

Denn hier finden die Künstler Orte, an denen sie ihre Bilder und Inszenierungen meist ungestört schaffen können. Natürlich tauchen auch andere Menschen hier auf – Obdachlose, Hundetrainer, Bauarbeiter oder eben auch Fotografen wie Stefan Topf, der die Faszination dieser verlassenen Fabrikhallen, Heizhäuser und Kasernen 2008 für sich entdeckte. Damals war die Zukunft der meisten dieser Gebäude noch völlig ungewiss. Die Fotos, die Topf von der alten Sternburg-Brauerei in Lützschena machte, zeigen eine Art Dornröschenlandschaft, noch kaum vom Vandalismus gezeichnet, aber schon im Schatten der Vergänglichkeit.

Inzwischen soll hier genauso wie in der Parkklinik Dösen ein neues Wohnquartier entstehen. Auch die Lost Places in und um Leipzig verschwinden so langsam, auch wenn bei manchen schon seit Jahren die Frage steht, was die Besitzer eigentlich damit vorhaben.

Zeit der Stille

So wie bei der ehemaligen Maschinenfabrik Swiderski an der Zschocherschen Strraße oder dem einstigen Polygraph Reprotechnik an der Georg-Schwarz-Straße. Diese Zeit der Ungewissheit nutzen nicht nur Fotografen, die die Leere und Stille dieser alten Gebäude ins Bild bannen. Das lockt auch die Akteure der Streetart an, deren Bilder Topf bei seinen Fotogängen zunehmend fasziniert haben.

In den Gebäuden findet augenscheinlich nicht der Battle um die Wände statt, der das Graffiti-Leben auf den Straßen Leipzigs prägt und wo es schon lange nicht mehr darum geht, wer das schönste Bild an die Wand bringt. Die Zeit, dass es in der Szene einen grundständigen Respekt vor guten Arbeiten gab, ist vorbei. Was dann das Straßenbild in Leipzig auch entsprechend hässlich, aggressiv und diffus gemacht hat.

Auch wenn man im Stadtgebiet an vielen Orten die großen Schriftzeichen der Crews findet, die besonders emsig dabei sind, ihre Zeichen in der Stadtlandschaft zu hinterlassen. Aber legale Wände, die sie bemalen können, sind rar. Die Schließung der „Hall of Fame“ am Karl-Heine-Kanal gilt bis heute als Zäsur. Im Gespräch mit dem Graffiti-Künstler Urin.Ost. geht Stefan Topf auf die aktuelle Situation der Szene in Leipzig ein. Ein Interview, das ergänzend deutlich macht, wie bunt und divers die Szene der Streetart-Künstler ist. Gibt es da eigentlich auch Mädchen und Frauen? Müsste es eigentlich.

Urban Art in der Alten Jutespinnerei Tränkler & Würker in Neulindenau. Foto: Stefan Topf
Urban Art in der Alten Jutespinnerei Tränkler & Würker in Neulindenau. Foto: Stefan Topf

Denn Topfs Bilder aus zwölf Leipziger Lost Places zeigen, wie unterschiedlich die Stile der Künstler sind, wie manchmal die farbige Aneignung des Raumes im Mittelpunkt der Arbeit steht, manchmal auch eine Art „Memento mori“. Denn natürlich bekommt, wer diese verlassenen Orte aufsucht, auch wieder ein Gespür für Zeit. Ein Gefühl dafür, wie auch das eigene Leben vergeht, während die einst von Geschäftigkeit erfüllten Orte vor sich hin rotten, der Putz von der Decke fällt, die Farbe von den Wänden blättert und auch die Bilder an der Wand Teil des Vergehens werden.

Reiz der Vergänglichkeit

Wer Graffiti malt, geht einen Pakt mit der Vergänglichkeit ein. Das ist Kunst, die spätestens bei der Sanierung des Gebäudes verschwindet. Und eher selten in Galerien zu sehen ist. Auch wenn sie trotzdem mit dem Besucher rechnet, der sie beim Durchstreifen der Gebäude entdeckt. Die Botschaft geht also nicht völlig verloren. Manchmal spielt sie mit dem Raum, überrascht den Betrachter mit unverhofften Einsichten. Und gerade hier machen Topfs Aufnahmen sichtbar, wie sehr Urban Art Raumkunst ist, ein Spiel mit geöffneten Türen und Fenstern, dem Überraschungsmoment. Manchmal den ganzen Raum füllend oder das Treppenhaus, manchmal die Details alter Installationen aufgreifend. Sodass Rohre und Maschinen Gesichter bekommen. Ganz so als staunten sie über ihre späte Existenz als Kunstobjekt.

Und natürlich wird das allerspätestens mit Topfs Bildern wirklich zu Kunst. Denn er entdeckt in den Räumen die oft durch hereinfallendes Licht verstärkte Ästhetik. Fabrikhallen zeigen ihre filigrane Verletzlichkeit, grüne Vegetation erobert einst verglaste Bautrakte, Mauervorsprünge zeigen im letzten Moment ein frisches Graffiti als Überraschung für den Besucher. Manchmal erzählen die Graffiti ganze Geschichten. Es lohnt sich, länger hinzuschauen und sie zu entschlüsseln.

In der ehemaligen Sternburg Brauerei in Lützschena. Foto: Stefan Topf
In der ehemaligen Sternburg-Brauerei in Lützschena. Foto: Stefan Topf

Was dann diese alten Gemäuer eben auch als einen Ort des Erzählens entlarvt – nicht ganz zufällig einen abseitigen, wo in der Regel nur Gleichgesinnte unterwegs sind. Was dann auch eine Art von Verbannung ist, da Graffiti im öffentlichen Raum strengstens verfolgt werden. Hier aber können sich die Künstler austoben, auch wenn Urin.Ost. das Wort Künstler eher vermeidet, weil es zu vorbelastet ist.

Magie des Verborgenen

Aber was wäre das sonst als Kunst? Oft sehr beeindruckende, manchmal sogar magisch anmutende. Die Crews, die hier malen, haben etwas zu erzählen. Manchmal düster, manchmal expressionistisch, manchmal ganz auf schwarze Linien reduziert. Jedes Bild erzählt eine andere Geschichte. Mittendrin sind aber auch Fotos, in denen Topf schlicht die poetische Situation der verlassenen Räume erfasst, Ausblicke auf die sonnenbeschienene Stadt am Horizont, Blicke auf alte Rohrsysteme, Lokschuppen und Kessel.

Und da er in Farbe arbeitet, wird hier sogar die bunte Schönheit des Verfalls sichtbar. In allen Tönen von Putzgrau bis Rostrot. Schon das bannt den Blick – und dann ist man beim Heben des Blicks überrascht, mittendrin wieder ein Graffiti zu entdecken, überschäumend bunt, als wäre die Botschaft: Dieser Ort ist nicht tot.

Und ist er wohl auch nicht, auch wenn einige der von Topf fotografierten Lost Places inzwischen der Sanierung anheim gefallen sind und die Zahl der Orte, an denen sich Urban Art in Leipzig noch ausleben kann, noch geringer wird.

Das Buch lädt alle, die selbst nie losziehen würden in die durchaus nicht ganz ungefährlichen Orte, dazu ein, den Reichtum der dort entstandenen Kunst zu entdecken – vergänglich, gefährdet. Eine Kunst, die ihre eigene Endlichkeit immer mitdenkt und eben nicht auf die Archive großer Kunstmuseen zielt. Und auch das grinsende Gesicht aus dem Industriekraftwerk Kleinzschocher, das das Cover ziert, wird irgendwann verschwinden, genauso wie das Bildnis der Frau in Blau aus der Sternburg-Brauerei, das Topf besonders überrascht hat.

Doch in seinen Fotografien sind sie bewahrt. Und nun auch in diesem Buch, das einmal die farbige und kreative Seite der Lost Places in Leipzig zeigt.

Stefan Topf „Lost Art Leipzig. Urban Art an verlassenen Orten Leipzigs“, Verlag Ille & Riemer, Leipzig 2022, 40 Euro.

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