In Hessen war er schon unterwegs, in Thüringen und Sachsen-Anhalt: Der Jenaer Fotograf Markus Zabel gehört zu jener Schar neugieriger Fotografen, die den Reiz verlassener Orte in Fotos festhalten. Orte, die davon erzählen, dass hier einmal Menschen lebten und arbeiteten. Wenn aber die Menschen fort sind, werden Fabrikgebäude, Gasthöfe, Villen und Bauernhäuser zu Lost Places. Orten, die auch von der Vergänglichkeit menschlichen Seins erzählen.

Sie erzählen aber auch von gesellschaftlichen Umbrüchen – gerade im Osten Deutschlands, wo es praktisch keine Orte gibt, in denen nicht bis heute verlassene Fabrikhallen, geschlossene Gasthöfe, Kurhotels, Kliniken und Kulturhäuser davon erzählen, dass es hier vor 30 Jahren einen gewaltigen Bruch gab und mit dem Ende einer überalterten Industrie auch die große Abwanderung begann.Auch in Sachsen. Millionen junge Leute packten ihre Koffer und zogen der Arbeit hinterher in den Westen und viele Gemeinden sind mit den leerstehenden Gebäuden überlastet. Oder diese sind schon längst in den Händen von Investoren, deren goldene Träume alle schon vor Jahrzehnten geplatzt sind.

Dass Markus Zabel seinen Band über Lost Places in Sachsen mit dem Leipziger Stadtbad beginnt, erzählt natürlich auch die andere Seite der Geschichte, die ihm und auch anderen Fotografen am Herzen liegt: Hier geht es um die Frage, wie diese oft einmaligen Kleinode gerettet werden können.

Und in Leipzig hat sich ja der Stadtrat dazu bekannt, das historische Stadtbad in der Eutritzscher Straße nicht nur zu bewahren, sondern auch wieder in Nutzung zu bringen. Teile des Gebäudes wurden schon mit Fördergeldern saniert. Für die Wiederbelebung der alten Badanlagen aber fehlt noch die zündende Vorlage, auch wenn man – etwa am Tag des offenen Denkmals – die Schönheit des Gebäudes nach wie vor besichtigen kann.

Wie rettet man die verlassenen Baudenkmale?

Schwieriger wird es schon bei alten Industriedenkmalen wie der ehemaligen Brikettfabrik Neukirchen, die eine Zeit lang als beliebte Diskothek im Leipziger Südraum funktionierte. Aber auch hier machte sich nach Jahren der ersten erfolgreichen Neunutzung bemerkbar, dass die jungen Leute zu fehlen begannen. Wahrscheinlich war es wirklich eher dieses Verschwinden der jungen Leute als die Gerüchte um 2002, die diesen Versuch wieder zum Erliegen brachten.

Für den Fotografen, der verlassene Orte stimmungsvoll in Szene zu setzen weiß, ist das natürlich ein eindrucksvoller Ausflug. Aber was wird mit den Landschaften, wenn einfach nicht mehr genug Menschen da sind, all diese oft unter Denkmalschutz stehenden Kleinode zu erhalten? Etwas, was Zabel besonders am Herzen liegt.

Er hat deshalb extra ein Projekt #IAMLOST gegründet, eine Plattform, auf der für die Erhaltung dieser einmaligen Orte geworben wird und mögliche Interessenten dazu ermutigt werden sollen, sich der Rettung der vom Verfall bedrohten Schönheiten anzunehmen. Im Vorwort erklärt er den Lesern recht ausführlich, wie er selbst als Fotograf mit diesen Lost Places umgeht.

Denn das A und O sollte immer sein, auch beim Betreten der Gebäude möglichst die rechtlichen Bedingungen abgeklärt zu haben, auf die eigene Sicherheit zu achten und selbst nichts zu zerstören.

Denn bedrückend sind natürlich immer die Bilder vom Vandalismus, der sich in diesen verlassenen Gebäuden austobt. Es ist nicht nur die Natur, die sich diese Orte irgendwann zurückholt. Es sind vor allem Menschen, die die Häuser zerstören und vermüllen.

Alles einfach so zurückgelassen …

Da ist es schon überraschend, wenn Markus Zabel dann auch alte Villen und Bauernhäuser betritt, in denen noch die ganze ursprüngliche Einrichtung steht, als wären die Bewohner nur eben mal weggegangen und würden gleich wiederkommen.

Nicht nur das Geschirr steht noch im Regal und die Gläser auf dem Tisch erzählen vom letzten gemütlichen Abend auf der Couch, selbst persönliche Dokumente liegen noch da und geben dem Fotografen Rätsel auf. Was ist mit den Menschen geschehen, die hier lebten? Oder erzählt das Zurückgelassene einfach davon, wie einsam selbst der letzte Bewohner war, sodass auch niemand mehr da war, der hätte aufräumen und entrümpeln können?

Alles offene Fragen, die zutiefst ans menschliche Dasein rühren. Genauso wie die verlassenen Räume einer Brauerei, die eigentlich auch die „Wende“ überlebt hat – aber dann irgendwann dennoch einfach aufhörte zu produzieren, weil die Kundschaft ausblieb oder der letzte Besitzer nicht mehr weitermachen wollte.

Für manchen Ort sind die alten Fabriken fast wie ein Wahrzeichen – und erzählen dennoch, wie etwa die alte Seidenweberei in Glauchau, davon, dass die große Zeit der Seidenfabrikation vorbei ist und auch die Menschen nicht mehr da sind, die in diesen Fabriken noch arbeiten könnten. Eine alte Wäscherei, das Gasthaus „Goldener Löwe“ in Oberrabenstein, eine Strumpffabrik …

Sie erzählen von einem Land, das einmal prosperierte und die Werkstatt Deutschlands war. Und wo in den üppig ausgestalteten Sälen der Gasthöfe rauschende Feste gefeiert wurden.
Manchmal gründen sich dann Initiativen vor Ort, die Ideen entwickeln, wie die verfallenen Gebäude doch noch gerettet werden können. Manchmal aber ist der Verfall auch gewollt, hat man es mit Investoren zu tun, die lieber alles verfallen lassen, als den Besitz wieder herzugeben. Oder sie scheitern daran, aus aufgegebenen alten Kliniken Hotels und Kureinrichtungen zu machen.

Damit verschwindet auch ein Stück Geschichte

Logisch, dass dem Fotografen, der so langsam ein Auge für die Schönheit der alten Architekturen entwickelt hat, meist nur noch der faszinierte Blick in den Verfall bleibt, der irgendwann nicht mehr aufzuhalten ist, wenn Dächer einstürzen und der Regen ungehindert ins Haus eindringen kann.

Was dann zwar noch einmal bizarre Bilder ergibt von einer Natur, die sich den Raum zurückerobert. Aber es geht trotzdem wieder ein Stück Geschichte verloren. Nicht immer sind noch die Bau- und Nutzungsgeschichten der alten Gebäude auffindbar, auch wenn sich Zabel bemüht, die Geschichte der Orte, die er besucht, möglichst lückenlos herauszufinden.

Wenn sich niemand darum kümmert, diese Geschichten schriftlich festzuhalten, verschwindet die Erinnerung mit den Menschen, die hier einst ein und aus gingen. Orte verlieren nicht nur ihre markanten Wahrzeichen, sondern auch einen wichtigen Teil ihrer Identität.

Aber gerade deshalb sind all diese Lost-Places-Bildbände wichtig, weil sie etwas zeigen, was in den rasenden Veränderungen unserer Gegenwart oft vergessen wird: dass Orte eben auch Teil unserer Geschichte sind. Und dass wir ein Stück unserer Erinnerung verlieren, wenn sie verschwinden.

Das sieht dann auf den ersten Blick wie eine verwunschene Ruine aus – macht aber selbst dem Fotografen klar, dass hier etwas unwiederbringlich vergangen ist, ohne dass es jemand für wert befand zu bewahren. Wenn aber ein Volk so mit seinen Erinnerungen umgeht, erzählt das eine zumindest irritierende Geschichte.

Die Markus Zabel in diesem Band in beeindruckenden Fotos festgehalten hat – Fotos, die auch zeigen, dass selbst diese in Verfall geratene Welt voller Schönheit und Anmutung ist.

Markus Zabel Verlassene Orte in Sachsen, Sutton Verlag, Erfurt 2021, 29,99 Euro.

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