„Man sieht nur, was man weiß“, hat der Verlag diesem Büchlein als Motto mitgegeben. Ganz dezent. Für all jene, die ein offenes Auge für das haben, was die üblichen Reiseführer und Top-Reiseziel-Ratgeber nicht zeigen. Denn da, wo sich alle drängeln, sieht man vor lauter Leuten ja nichts mehr. Doch auch in diesem kleinen Bundesland Sachsen gibt es kleine Orte mit großer Geschichte, für die sich der Abstecher lohnt.

Auch rund um Leipzig übrigens. 2009 ist dieses Bändchen erstmals im Tauchaer Verlag erschienen. Damals entführte Karin Opitz erstmals an so wundersame sächsische Orte wie Kötzschenbroda, Wolkenstein, Lützschena oder Altranstädt. Für die Neuauflage wurden die 15 Beiträge in diesem Band aktualisiert.

Denn 13 Jahre bedeuten auch im scheinbar so sturen und auf seine glorreiche Vergangenheit fixierten Sachsen Veränderungen. Gemeinden kümmern sich um Sanierungen und Rettungen prägender Bauwerke. Vereine werden gegründet, Museen wieder eröffnet, alte Gebäude wieder zugänglich gemacht. Oft wird nach vielen Jahren Arbeit geduldiges Bemühen gekrönt und die Bewohner der Orte sind zu recht stolz auf das, was sie geschafft und bewahrt haben.

Krieg verloren, Krone weg

Und sie haben natürlich auch den stillen Wunsch, dass andere das würdigen und Reisende doch einmal von den Hauptrouten abweichen. Nach Altranstädt zum Beispiel, heute Ortsteil von Markranstädt, „wo August der Starke bittere Stunden verbrachte“. Denn hier musste er sich die Friedensbedingungen des schwedischen Königs Karl XII. diktieren lassen. Hier platzte vorerst sein Traum von der polnischen Königskrone. Hier fand auch das militärische Abenteuer ein Ende, mit dem das kleine Sachsen glaubte, auf der großen europäischen Bühne mitspielen zu können. Ein zutiefst geschichtsträchtiger Ort.

Genauso wie das Kloster Altzella bei Nossen, einst Begräbnisstätte der Markgrafen zu Meißen. Heute ein identitätsstiftender Ort sächsischer Geschichte und Nummer zwei auf dieser kleinen Reise von Karin Opitz durch das stillere Sachsen. So wie das Göschenhaus in Grimma oder der Töpferort Kohren-Sahlis mit dem Schwind-Pavillon. Was der Zug nach Kötzschenbroda mit dem Sonderzug nach Pankow zu tun hat, erzählt die Autorin genauso wie die Geschichte der Rakotz-Brücke im Rhododendron- und Azaleen-Park Kromlau, wohin man sich durchaus verirren darf, wenn es einem im nahen Bad Muskau zu überlaufen vorkommt.

Und dann geht’s schon nach Lützschena mit Park, Bildersaal und Brauerei. Die Leipziger haben es ja geradezu vor der Nase, genauso wie die Torhäuser in Dölitz und Markkleeberg, die heute noch von den blutigen Gefechten der Völkerschlacht bei Leipzig erzählen, auch wenn aus dem damals über die Ufer getretenen Flüsschen Pleiße bzw. Mühlpleiße im Titel die Mulde geworden ist. Man kann ja schon mal durcheinanderkommen mit diesen sächsischen Flüsschen, die immer so unscheinbar tun, bevor der nächste Dauerregen kommt. Aber das Bild stimmt: Die Völkerschlacht fand bei richtig schlechtem Wetter mit Regen, morastigen Feldern und Hochwasser in den Flüssen statt.

Der Dichter und die Kohle

Dass man in der Oberlausitz den größten Steingarten Europas besichtigen kann, hat dann wieder mit den vergangenen Eiszeiten genauso zu tun wie mit dem jüngeren Braunkohlebergbau. Und um Braunkohle geht es auch bei der Begegnung mit dem Dichter Novalis im Leipziger Südraum, denn in seinem Brotberuf war er hier unterwegs, um die Kohlevorkommen in der Region zu erkunden.

Besuchen muss man ihn freilich in Weißenfels. In Rammenau in der Oberlausitz begegnet man dann einer anderen sächsischen Berühmtheit – dem Bandwebersohn Fichte, der hier die Gänse hütete, bevor er später Philosoph wurde, seine „Reden an die deutsche Nation“ schrieb und dann 1814 am Typhus starb. Und in Wolkenstein muss man ja dem Stülpner Karl über den Weg laufen. Es geht gar nicht anders.

Es sind 15 sehr freundliche Empfehlungen, in Sachsen einmal so richtig vom Weg abzukommen. Und eben Orte aufzusuchen, an denen sich die Touristenscharen nicht drängen. Wo aber mit viel Liebe und Mühe Geschichte bewahrt wird. Denn wer zum Beispiel den eindrucksvollen Steingarten bei Nochten aufsucht, der kann auch gleich noch das im 15 Kilometer entfernten Rietschen aufgebaute Heidedorf besuchen, das jüngste Dorf in der Region, das aber durch die hierher umgesetzten Bauernhäuser aus den abgebaggerten Ortschaften beeindruckt.

Vergangenheit und Gegenwart begrüßen sich hier. Und gleichzeitig steht der Besucher an der Schwelle zum nächsten Zeitalter, das ja bekanntlich eins ohne Braunkohle sein wird. Die ganze Region muss sich neu erfinden und eine Zukunft finden, in der der Bergbau keine Jobs mehr bietet.

Aber genau das ist Geschichte – stetige Veränderung. Immer neue Herausforderungen, die Generationen meistern müssen. Und das klappt nun einmal am besten, wenn Menschen sich zusammentun und in Bürgerinitiativen und Vereinen ihre Herzensprojekte verwirklichen. Und selbst das, was anderen Leuten ein stetiges Grauen ist – wie die Ankunft der Wölfe in der Lausitz – wird anderen zum Projekt – wie auf dem Wolfsradweg, auf dem man eine Menge über den eigentlich scheuen Räuber erfahren kann und wie man am besten reagiert, wenn man ihn doch mal trifft.

Was sich jedenfalls seit 2009 nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass alle diese reizvollen Tipps heute noch genauso empfehlenswert sind und Sachsen von so manch anderer Seite zeigen. Überraschend auf jeden Fall. Und manchmal etwas für echte Liebhaber.

Karin Opitz „Reizvolles in Sachsen“, 2. überarbeitete Auflage, Tauchaer Verlag, Leipzig 2022, 12 Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar