Da hätte ich doch fast gedacht, dass er uns zu lauter Gedenkstätten für sächsische Dichterinnen und Schriftsteller führt, wenn der Leipziger Autor Ralph Grüneberger schon mal ein Buch zu seinen Lieblingsplätzen in Sachsen zusammenstellt. Aber denkste: Auch Dichter haben manchmal ganz heimatliche Gefühle. Bei Brücken sowieso.

„Über mehr als sieben Brücken“ hat Ralph Grüneberger seinen Essay betitelt, mit dem er im Anhang zu diesem Buch erklärt, warum er eigentlich auch ein Buch mit lauter berühmten und faszinierenden Brücken in Sachsen als Reiseratgeber hätte schreiben können.

Dass er sich für Brücken begeistern kann und damit als Dichter gar nicht allein ist, hat er ja schon 2020 gezeigt mit seinem Film-Essay über die Könneritzbrücke, die Plagwitz und Schleußig verbindet.

Dass sächsische Brücken auch weltberühmt sind, weiß jeder, der schon einmal von der Göltzschtalbrücke zwischen Reichenbach und Netzschkau, von Augustusbrücke und Blauem Wunder in Dresden oder der Pöppelmannbrücke in Grimma gehört hat. Wer Sachsen wirklich erkunden möchte, kommt um die staunenswerten Bauten der Brückenkonstrukteure gar nicht herum.

Brücken überwinden Grenzen wie die Neue Altstadtbrücke in Görlitz oder schaffen sensationelle Ausblicke wie die Basteibrücke. Und sie sind ein Symbol für die Überwindungen, die man im Leben auf sich nehmen muss – wie eben in dem Lied des Leipziger Autors Helmut Richter, das Grüneberger im Titel zitiert.

Ein paar unverwechselbare Autoren besuchen

Manchmal werden sie zum Politikum wie die Waldschlösschenbrücke in Dresden. Manchmal verschwinden sie wie die berühmte Brücke der Begegnung in Torgau oder die Fußgängerbrücke „Blaues Wunder“ in Leipzig.

Es steckt also ein ganz besonderer Reiseführer in Grünebergers Buch, auch wenn er mit den 50 ausgewählten Lieblingsplätzen doch eher versucht, jedem Reisenden, der um Sachsen bisher einen Umbogen gemacht hat, dieses kleine Ländchen dennoch zu empfehlen, trotz aller Nachrichten über das unmutige Völkchen, das da leben soll. Denn Nachrichten bevorzugen ja bekanntlich alles Negative, während der Reichtum am Wegesrand meist ignoriert wird.

Ein Reichtum, zu dem auch Dichter und Künstlerinnen gehören. Keine Frage. Und ganz lässt sie Grüneberger auch nicht weg, auch wenn er weiß, dass die meisten Reisenden diese Namen in Sachsen gar nicht vermuten würden, obwohl sie eigentlich die Seele dieses Landstrichs sind – Ringelnatz etwa, den man in Wurzen besuchen kann, Erich Kästner, den die Dresdener aus guten Gründen pflegen, oder Lessing, der in Kamenz ganz besonders verehrt wird.

Und wer sich an seine ersten nächtelang durchrasten Bücher erinnert, der kommt um Karl May in Radebeul nicht herum. In Grimma treffen Wanderfreunde auf den Syrakus-Wanderer Seume und seinen Verleger Göschen. Und obwohl man diese Erinnerungsstätte in Leipzig vermuten würde, findet man das Gellert-Museum im Hainichen.

Schiller hat Grüneberger lieber weggelassen und für Erich Loest das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig praktisch als Ersatz genommen, immerhin titelgebend für einen von Loests „Romanen“.

Schlösser, Porzellan und Autos

Aber Grüneberger weiß nur zu gut, dass alle Dichtung ohne Landschaft nichts ist. In einem langweiligen Land wird keine aufregende Literatur entstehen.

Und so zeigt er aus seiner Sicht die wichtigsten Landmarken, die man besucht haben sollte, wenn man überhaupt eine Vorstellung von diesem Sachsen bekommen will – vom „mehrtürmigen Schloss Hartenfels“ in Torgau über die anderen filmberühmten Schlösser wie Moritzburg und Augustusburg bis zum Grünen Gewölbe in Dresden, das für ihn tatsächlich so etwas ist wie die Schatzkammer sächsischer Gefühle.

Er lässt die Leser Krabats Mühle in Schwarzkollm entdecken, den Nischel in Chemnitz und neben dem Robert-Schumann-Haus auch das August Horch Museum in Zwickau.

Denn Sachsen war nun einmal die Wiege des deutschen Automobilbaus. Und möchte es auch gern bleiben. Am Spielzeugmuseum in Seiffen führt genauso wenig ein Weg vorbei wie am Spitzenmuseum in Plauen. Die Porzellanmanufaktur in Meißen muss man besucht haben – die Albrechtsburg eher nicht, findet Grüneberger.

Jedenfalls lockte ihn in Meißen nichts auf den Burgberg, während er in Pfunds Molkerei in Dresden genauso staunte wie auf der Festung Königsstein. Die Herrnhuter bekommen genauso ihren Besuch wie der Muskauer Park.

Schaubühne, Freiheitssäule und Mini-U-Bahn

Und natürlich zeigt Grüneberger auch jene Plätze in seiner Heimatstadt Leipzig, die ihm besonders ans Herz gewachsen sind – wie den Nikolaikirchhof mit der „Freiheitssäule“, das Museum für Druckkunst und die Schaubühne Lindenfels, mit der ihn Kino-Erinnerungen aus früher Kindheit verbinden.

Dazu gibt es dann noch lauter kleine grüne Tipps abseits der vorgeschlagenen Lieblingsplätze, die in der Regel alle gut von den drei sächsischen Großstädten Chemnitz, Dresden und Leipzig anzusteuern sind. Wer etwa den Leipziger Hauptbahnhof bewundert (auch das so ein Lieblingsort des Dichters), den lockt er auch gleich noch in den City-Tunnel („die kleinste U-Bahn der Welt“) und den Bayerischen Bahnhof.

Und in Dresden erzählt er durchaus von einer positiven Überraschung, die er im Militärhistorischen Museum erlebte, denn als Pazifist hatte er keineswegs erwartet, dass so ein Museum auch Krieg und Militär sehr kritisch darstellen kann.

Es ist nicht der einzige Punkt, an dem man merkt, dass Sachsen irgendwie doch nicht so dem Bild entspricht, das die großen Nachrichtenagenturen von dem Ländchen zeichnen, das schon immer damit zurechtkommen musste, dass es für Großmacht-Träume viel zu klein war, in Schlachten gern auf der falschen Seite stand, aber mit Fleiß und Erfindungsgeist immer versucht hat, beim wirtschaftlichen Fortschritt mitzuhalten.

Was man eben auch an vielen markanten Bauten auf dieser Lieblingsplätze-Tour besichtigen kann. Und Grüneberger lässt durchaus durchblicken, wie sehr er dieses Ländchen mag. Und wie gut er es fände, wenn dieses lebendige und kluge Sachsen mehr Aufmerksamkeit bekäme. Auch bei Reisenden, die mehr sehen wollen als das museale Sachsen August des Starken.

Ralph Grüneberger Lieblingsplätze Sachsen, Gmeiner Verlag, Meßkirch 2022, 17 Euro.

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