Sogar die Empfehlung der Werbekampagne für den Freistaat Sachsen „So geht sächsisch.“ hat das Buch von Kristina vom Dorf bekommen, die so natürlich nicht heißt. Es ist ihr Name als Influencerin im Internet, insbesondere auf ihrem Instagram-Kanal „Die Sachsen verstehen“, den sie gestartet hat, nachdem sie nach sieben Jahren im Ausland (Dänemark und Zypern) zurückkehrte nach Deutschland. Zwar nicht nach Sachsen, sondern nach Fürth in Franken. Aber das Ausland hatte sie etwas gelehrt.

Oder zweierlei oder gar noch mehr. Meist muss man tatsächlich erst in die Fremde reisen, dort ein Weilchen leben und mit einem gewissen Abstand über die eigene Heimat nachdenken, das eigene Herkommen, die eigenen Vorurteile und die Leute, die man da draußen in der Welt trifft, die einem meist viel vertrauter sind, als man vorher zu vermuten gewagt hätte.

Auf einmal entpuppt sich das dänische Hygge der sächsischen Gemiedlichgeit erstaunlich verwandt. Und die zypriotische Feierfreude mit dem ganzen Familienclan kennt Kristina vom Dorf auch aus dem 750-Einwohner-Dorf Langenreinsdorf bei Crimmitschau, wo sie in einer Gastwirtsfamilie aufwuchs.

Nur um dann etliche Jahre an ihrer Herkunft vom Dorf und ihrem ausgeprägten sächsischen Dialekt zu knabbern, der – wenn man den ganzen eher fragwürdigen Umfragen zu den beliebtesten Dialekten in Deutschland glauben darf – nach wie vor der unbeliebteste ist.

Was natürlich eine Vorgeschichte hat mit einem sächselnden Staatsratsvorsitzenden, den gepflegten – west-deutschen – Vorurteilen über den Osten und mit der systematischen Markierung und Verhunzung des Sächsischen in (west-)deutschen Satiresendungen.

Gepflegte Vorurteile

Wer die Dialekte anderer Leute markiert, markiert auch die Menschen. Der konstruiert sich sein Bild vom Sachsen und vom Ostdeutschen, wie es Dirk Oschman in „Der Osten, eine westdeutsche Erfindung“ kenntnisreich beschrieben hat.

Es sind nicht nur viele Sachsen, die aus ihrem Nest nie wirklich herausgekommen sind. Den Westdeutschen geht es genauso. Auch wenn sie mit 40 Jahren Vorsprung eines gelernt haben: Wer die große Fresse hat, wird trotzdem respektiert und gefürchtet.

Geliebt nicht unbedingt, auch wenn die Bayern sich das einbilden, deren Dialekt wohl ganz ähnlich negative Bewertungen kriegen würde wie das Sächsische, wenn bei den – nicht repräsentativen – Umfragen nicht so viele Bayern abstimmen würden. Was Kristina erwähnt, weil es mit hineingehört in die Genese ihres Insta-Kanals.

Denn wenn ein stures Bergvolk es schafft, seinen knödeligen Dialekt trotz alle Abneigung aus anderen Landesteilen als unveräußerliches Merkmal zu verkaufen, was bedeutet das dann eigentlich für die anderen Dialekte, hinter denen kein eigensinniges 13-Millionen-Völkchen steht, sondern – wie beim Sächsischen – nur 4 Millionen?

Ist das zu wenig, um es genauso wie die Bayern zu machen? Oder gilt auch heute noch Lene Voigts „Nu grade!“

Gilt es, sagte sich Kristina vom Dorf, die vor ihren Reisen in der Welt erst Medien in Mittweida studiert hatte, dann beim MDR andockte und dann mit Mikro für die LVZ unterwegs war. Da lernt man schon ein bisschen was über journalistisches Denken.

Und dazu gehört nun einmal auch, auch die Erfahrungen der Sachsen und Sächsinnen wahrzunehmen, die seit 1990 ziemlich umfassend lernen mussten, dass ihr Dialekt immer auch für Ausgrenzung, Abwertung und Benachteiligung sorgte.

Gekappte Wurzeln

Da verkneift man sich das Sächseln irgendwann. Oder rennt gar – wie Kristina – zum Logopäden, um sich den Zungenschlag abzutrainieren. Was aber nicht geht. Denn den Dialekt nimmt man mit der Muttermilch auf (und mit Vattkes komischen Sprüchen). Übrigens wie die meisten Haltungen im Leben, die einen besonders und unverwechselbar machen.

So nimmt man auch das Dorf, in dem man aufwuchs, immer mit in die Welt. Und lernt draußen in der Welt, dass alle Menschen in solchen Dörfern großgeworden sind. Und dass das – anders als es aus deutschen Zeitungskolumnen 30 Jahre lang erschallte – überhaupt kein Makel ist.

Aber dazu muss man eben manchmal auch erst die dänische Gastfreundschaft erlebt haben und die zypriotische Feierfreude. Sodass ein Anlass und ein Ergebnis dieses Buches, in dem Kristina einmal sehr persönlich wird, ist, dass dieses so schäbig gemachte Sachsen überhaupt kein falscher Ort ist, an dem man aufwachsen kann.

Dass es auch nicht mit dem diktierten „Dunkeldeutschland“ identisch ist, auch wenn es natürlich auch in Sachsen die unbelehrbaren Schaumschläger und Populisten gibt, die mit platten Parolen die Stimmung anheizen.

Was sie aber auch deshalb können, weil das Gefühl, nicht dazuzugehören und nur „Bürger 2. Klasse“ zu sein, so verbreitet ist. Und Gefühle bestimmen nun einmal Politik. Negative zuallererst. Und wenn wir ehrlich sind, dann triumphieren gerade die Politiker, die alle negativen Gefühle schüren. Und die positiven? Warum machen es die Sachsen nicht wie die Bayern?

Sie haben keinen Grund, sich zu schämen. Das stellt Kristina in ihrem Buch immer wieder fest. „Fakt ist, egal in welchen Berufszweigen ich mich umgehört habe, die Sachsen genießen einen guten Ruf und ja, es wird immer Ausnahmen geben, denn komische Menschen gibt es bekanntlich überall“, schreibt sie. „Aber wenn der ‚Durchschnitts-Saschse‘ (so ein tolles Wort) sein eigenes Bundesland verlässt, wird er als abwartend, freundlich und gemütlich wahrgenommen.“

Da passt das Selbstbild also mit der tatsächlichen Fremdwahrnehmung so gar nicht überein. Mit dem Geschnatter in Satire-Shows und Zeitungskolumnen erst recht nicht.

Ungesunde Praktiken

Die Sache hat also mindestens zwei Seiten: Leute, die sich in ihren Unmut hineinsteigern, weil sie sich nicht respektiert fühlen. Und die Stillen, die sich ihrer Herkunft aus sächsischen Dörfern eher schämen und sie verstecken. Beides höchst ungesunde Praktiken, die das eigentliche Problem nur verschärfen. So wächst nie zusammen, was zusammengehört. Und siehe da: Es hat mit Respekt und Wahrnehmung zu tun.

Und einem Selbstbewusstsein, das den Sachsen ganz unübersehbar abhandengekommen ist. Da hilft auch der eher banale Werbespruch „So geht sächsisch.“ nicht weiter. Der erzählt eher eine Menge davon, wie eine überforderte Regierung selbst seit Jahren versucht, ein Macher-Image zu erzeugen (und das banale Steigerlied als Sachsenhymne zu verkaufen). Aber erzeugt man so ein Gemeinschaftsgefühl? Eines vom Format „Uns haut keiner um“? Nicht wirklich.

Und deswegen hatte Kristinas Account wahrscheinlich auch so schnell Erfolg, erreichte vor allem jede Menge Sächsinnen und Sachsen in der Diaspora, die auf einmal das Gefühl hatten, ein Stück Heimat kommt mit den kleinen „Verstehen“-Clips in ihren Alltag.

Clips, in denen Kristina einfach sächsische Wörter und Wendungen aussprach und ins Hochdeutsche erklärte. Und damit einfach Werbung machte für den Dialekt, der viel zu lange nur schäbig und verächtlich behandelt wurde. Das hat kein Dialekt verdient.

Was Goethe schon wusste und was Kristina auch zitiert. Denn für den geborenen Hessen steckte im Dialekt die Seele des Volkes. Wer seinen Dialekt verschweigt, weil er sich dessen schämt, der verleugnet seine eigenen Wurzeln, sein eigenes Herkommen und damit letztlich sich selbst.

Das Ergebnis: Lauter heimatlose Menschen, die keine Wurzeln mehr haben und stattdessen auf Leute herabschauen, die noch entwurzelter sind.

Wer Ohren hat, der hört es

Und was die Betrachter von Kristinas Instagram-Kanal noch spürten, war die Herzlichkeit, die manchmal burschikose Ruppigkeit im Sächsischen. Wobei sie im Buch den Ahnungslosen natürlich auch erklärt, dass es den einen sächsischen Dialekt nicht gibt, sondern lauter verschiedene Dialekte, die sich auch deutlich unterscheiden.

Das um Crimmitschau (wo Langenreinsdorf liegt) gesprochene Westerzgebirgische unterscheidet sich schon markant vom in Leipzig gesprochenenen Osterländischen oder dem Meißnischen um Dresden. Wer Ohren hat, der hört es.

Und der weiß auch, was für eine Verballhornung da immer wieder auf deutschen Fernsehkanälen stattfindet.

Dass es nicht nur die Sprache ist, die die Sachsen besonders macht, sondern auch eine eigene reiche Kultur mit Erfindern, Komponisten, Dichtern und Unternehmern (auch in allen weiblichen Varianten), das erwähnt Kristina natürlich auch.

Es gibt tatsächlich keinen Grund dafür, dass sich Sachsen in graue Wolle kleiden und immerzu den armen Sünder spielen oder sich schamhaft errötend wegducken, wenn ein lederhosiger Bayer wieder zur Standpauke anhebt.

Eigentlich, so stellt es die Autorin fest, täten die Sachsen gut daran, wenn sie es genauso machten und ihren Dialekt selbstbewusst verteidigen würden. Denn nur so nehmen einen die anderen tatsächlich ernst, hören zu und nehmen einen für voll.

Was ja das ostdeutsche Problem im Grunde auf den Punkt bringt: Aus westdeutscher Sicht werden die Ostdeutschen bis heute nicht für voll genommen. Eral wie fleißig und anstellig sie sind. Anstelligkeit wird in einer derart ruppigen Wettbewerbsgesellschaft nicht honoriert. So einfach ist das.

Dialekt ist Seele

Stattdessen wird auf allem herumgetrampelt, was eigentlich das Menschliche im anderen ausmacht. Da mussten nicht nur einige Followerinnen von Kristinas Kanal mit den Tränen kämpfen, weil ihre herzliche Art, das Sächsische für ganz selbstverständlich zu nehmen, sie zutiefst berührte. Einer brachte es auch auf den Punkt: „Dialekt ist Seele“.

„Genau diesen Satz möchte ich am Ende dieses Buches und dank aller tollen Erlebnisse durch die Sachsenseite fett unterstreichen“, schreibt Kristinas vom Dorf. „Dialekte sind nicht nur die Art und Weise, wie eine Region spricht. Mundart und Dialekte sind auch immer ganz eng mit Erinnerungen, Eindrücken, Gefühlen und Emotionen verknüpft. Dialekte können berühren und ein Gefühl auslösen, das sich wie Nach-Hause-Kommen anfühlt.“

Da steckt ein Stolperstein drin, der auch erklärt, warum all diese dummen und verpeilten Umfragen zur Beliebtheit deutscher Dialekte so verstörend sind. Diese Umfragen erzählen natürlich von Gefühllosigkeit, von der Arroganz ihrer Macher, die nicht einmal merken, wenn sie auf den Gefühlen anderer Menschen herumtrampeln.

Dass sie es irgendwann lernen, respektvoll auch über kleinere Völker und Dialekte zu sprechen und zu schreiben, muss man vielleicht nicht erwarten. Aber was gerade der Erfolg ihres Kanals Kristinas gezeigt hat, ist, dass man Menschen wieder Mut machen kann, indem man ihren Dialekt wieder ernst nimmt, liebevoll erklärt und zeigt, wie viel Herzlichkeit, Deftigkeit und Unverwechselbarkeit in diesem Dialekt steckt.

Der sich im deutschen Mundart-Konzert nicht verstecken muss. Überhaupt nicht. Genauso wenig wie die Tatsache, dass eine in einem sächsischen Dorf aufgewachsen ist.

Der Staub im sächsischen Jackett

Und man darf es durchaus auch als kleine Kritik am sächsischen Regierungs-Marketing lesen, wenn Kristina vom Dorf schreibt: „Ich möchte endlich den Staub aus dem sächsischen Jackett klopfen und ein modernes, weltoffenes und wunderschönes Sachsen zeigen, was auch die Menschen sehen können, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, die keine Ahnung haben, wie wir Sachsen sind und die sich dennoch eine Meinung gebildet haben.“

Die meist nur ein angewöhntes Vorurteil ist. Da steckt dann ein ganzes Völkchen in einem Fremdbild fest und selbst ein Posaunenchor beim Steigerlied hilft nicht, aus der Rolle des Bettlers an der Tür herauszukommen.

Natürlich nicht.

Dazu muss man zu sich selbst stehen. Und zum eigenen Dialekt. Und zur Musik, die wirklich davon erzählt, wie sich heutige junge Sachsen fühlen. Und das ist mitnichten das Steigerlied. Das sind eher Kraftklub aus Chemnitz und Silbermond aus Bautzen, wie auch Kristina vom Dorf feststellt.

Denn ganz offensichtlich ist das in Dresdner Kanzleien ausgedachte Selbstbild leider auch nur die untertänige Reaktion auf großmäulige west- und süddeutsche Zuschreibungen. Zeit für mehr Selbstbewusstsein, könnte man sagen. Und für einen Dialekt, der viel herzlicher und liebenswerter ist, als es die ganzen Umfragen suggerieren.

Kristina vom Dorf Made in Sachsen Conbook Medien, Neuss 2023, 12,95 Euro.

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