Zur Leipziger Buchmesse, die vom 27. bis 30. März stattfindet, ist diesmal Norwegen das Gastland. Eine Gelegenheit, die sich Pierangelo Maset und Michael Schmidt nicht entgehen ließen, um ihr ganz eigenes Norwegen-Buch vorzulegen. Denn Norwegen ist nicht nur das Land einer faszinierenden Literatur. Es ist auch ein immer beliebteres Reiseland.

Nur ersparen sich die beiden in ihrem Buch, die eh schon bekannten Hotspots und Sehenswürdigkeiten anzupreisen. Es ist ihr ganz persönliches Norwegen, das sie den Lesern nahe bringen wollen.

Sie wollen lieber die kulturellen Besonderheiten des Landes zeigen und die Berührungspunkte zwischen Deutschland und Norwegen, die vielen Touristen überhaupt nicht bewusst sind. Angefangen mit der deutschen Okkupation des Landes im Jahr 1940, die an manchen Stellen an der Küste noch sichtbar ist – als Bunkeranlage.

Aber ob die Soldaten, die da 1940 einmarschierten, eine Ahnung von norwegischer Literatur und Musik hatten, darf man bezweifeln. Begrüßt wurden sie nur von einer Minderheit. Der König floh im letzten Moment übers Meer nach England und bildete dort die Exilregierung.

Aber es beginnt natürlich nicht mit diesem Überfall. Es beginnt mit einem Blick in die ganz frühe Tourismus-Geschichte, als sich wirklich nur richtig reiche Leute eine Fahrt in den hohen Norden leisten konnten – und dann trotzdem in „urwüchsiger Landschaft“ posierten, als würden ihre strengen Regeln von daheim nicht mehr gelten.

Das Phänomen, dass Touristen über die Stränge schlagen und nicht wirklich Rücksicht auf Land und Leute nehmen, ist also nicht neu. Ob sie dabei wirklich Erinnernswertes mitnahmen, weiß man ja nicht. Denn das erwirbt man ja erst, wenn man sich wirklich erst auf die Menschen einlässt, die einem auf der Reise begegnen. Oder wenn man – wie die beiden Autoren – mal länger lebt am Ort seiner Sehnsucht.

Husfliden und Mahlstrom

Dann erfährt man auch, welche Wunden zum Beispiel der Krieg geschlagen hat und warum die Norweger eigentlich keinen Massentourismus wollten. Man erfährt, dass man sich für das Fotografieren von Nordlichtern doch ein bisschen anstrengen muss und dazu auch kalte Nächte in einer bezaubernden Einöde in Kauf nehmen sollte.

Dass auch Norwegen seine verlassenen Orte und Gehöfte kennt, auch weil sich das Land in den vergangenen Jahrzehnten radikal gewandelt hat – von einem klassischen Agrarstaat hin zu einem modernen Energieland. Die gut bezahlten Jobs findet man heute in den Städten. Während die alten Gehöfte eher etwas für mutige Pioniere sind, die hier den Erhalt klassischer Agrarlandschaft mit dem Engagement moderner junger Leute verbinden.

Man streift kurz das Edvard-Munch-Museum, das mit seiner Architektur ebenso erzählt, wie modern Norwegen mittlerweile ist. Und man gerät mit den zwei Autoren mitten hinein in eine fröhliche Husfliden-Runde und erfährt, dass die schönen norwegischen Trachten eine sehr moderne Erfindung sind. Und natürlich darf der Saltstraumen nicht fehlen, der als Mahlstrom in der Geschichte von Edgar Allan Poe zur Legende geworden ist.

Ein Text, in dem die beiden die literarische Begabung Poes würdigen, der den richtigen Mahlstrom nie gesehen hat, die Situation aber trotzdem literarisch so dicht eingefangen hat, dass es auch heute noch die Leser hineinreißt in seine Geschichte.

Übehaupt: Norwegen ist eine literarisch dicht beschriebene Karte. Dazu gibt es ein eigenes, sehr ausführliches Kapitel, in dem die beiden Autoren auflisten, was ihnen jenseits des berühmten Knut Hamsun alles an Literatur untergekommen ist – fast alles auch längst in deutschen Buchläden zu finden. Von Sigrid Undset und Henrik Ibsen bis zu Karl Ove Knausgård und Jon Fosse, nur um die Berühmtesten zu nennen. Und das sehr ausführlich.

Ganze Kapitel sind eine Einführung in die Arbeiten der vorgestellten Autorinnen und Autoren. Man merkt schon: Die beiden wollten ihr Norwegen wirklich gründlich kennenlernen. Literatur ist dazu immer der beste Schlüssel. Erst recht, wenn man im Gudbrandsdalen dann den Orten tatsächlich begegnen kann, an denen die großen literarischen Werke spielen.

Oder wenn man am Romsdalenfjord den beiden deutschen Autoren Kurt Schwitters und Ernst Jünger begegnet. Beide aus derselben deutschen Stadt. Aber wo der eine die gepriesene Einsamkeit für seine Arbeit suchte, war der andere schon längst auf der Flucht vor den eigenen, wild gewordenen Landsleuten. Und man darf zweimal raten, an wen sich die Norweger heute noch erinnern.

Musik, Filme und das Beiläufige

Über die norwegische Musik gibt es ein ähnlich ausführliches Kapitel. Musik, die einen auch wieder mit hineinnimmt in die norwegische Geschichte. Und in die Frage: Wie sind die Norweger? Augenscheinlich sehr freundlich, meist ausgesprochen lässig im Umgang mit der Welt und ihrer Kleidung. Aber kleine Museumsdörfer erinnern daran, wie wichtig ihnen die eigene Geschichte ist – gern direkt konfrontiert mit moderner, experimentierfreudiger Architektur.

Und längst haben sie sich auch mit einer eigenen Handschrift in die internationale Filmwelt eingebracht. Auch dazu gibt es ein eigenes Kapitel. Jeder kann Norwegen also auch ganz bequem daheim am Bildschirm entdecken – mit preisgekrönten und eindrucksvollen Filmen.

Was natürlich die richtige Reise nicht ersetzt. Denn das macht das Autorenduo immer wieder klar: Das Besondere entdeckt man eigentlich im Beiläufigen – beim Beerensammeln oder beim Entkorken von Weinflaschen, beim Besuch kleiner Heimatmuseen oder dem Erleben der Norwegerinnen beim Angeln. Lauter Dinge, die man nur sieht, wenn man vom Wege abweicht und nicht die üblichen Routen allein benutzt, die einen in den hohen Norden bringen, gar bis an die russische Grenze, wo eine andere, sehr seltsame Welt beginnt.

Pierangelo Maset, Michael Schmidt „Norwegen für Zeitreisende“ editionHYDE, BoD, Norderstedt 2025, 12,80 Euro.

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