Da denkt man nun, über das Alte Ägypten wüssten die Archäologen schon alles. Da könne es gar keine großen Überraschungen mehr geben. Doch in den letzten Monaten meldeten verschiedenste Ausgrabungs-Teams immer neue Überraschungsfunde. Jetzt ist auch einem Leipziger Grabungsteam ein Fund geglückt, nach dem man gar nicht so direkt gesucht hatte.

Eigentlich war das Grabungsteam um Dr. Dietrich Raue und Dr. Aiman Ashmawy vom Ägyptischen Antikenministerium im Kairoer Tempelbezirk Heliopolis auf der Suche nach 3.500 Jahre alten Umfassungsmauern. Ein nicht ganz so spektakuläres Grabungsziel, das aber der Städtearchäologie am Ende deutlich mehr Erkentnisse bringen wird als alle Königsgräber. Aber wer erst einmal gräbt, findet manchmal Dinge, die man schlicht nicht erwartet hat.

Heliopolis liegt nordöstlich der heutigen Großstadt Kairo und ist auch deshalb ein wichtiger Bezugspunkt, weil nach Ansicht der alten ägyptischen Mythologie hier die Götter entstanden.

Was die Experten vor etwa drei Wochen zwischen Müllbergen und teils illegal gebauten Häusern fanden, überraschte Raue, den Kustos des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig, dann doch sehr: In zwei bis drei Metern Tiefe stieß das deutsch-ägyptische Grabungsteam auf das Fragment einer großen Königsstatue aus Rosengranit, entstanden 1213 bis 1203 vor Christus, und einige Meter weiter auf insgesamt sieben, etwa 2.400 Jahre alte Basaltreliefs.

Die Reliefs stellen eine Nilgott-Prozession aus der Zeit des ägyptischen Königs Nektanebo I., der von 380 bis 363 vor Christus regierte, dar. Die wertvollen Funde wurden direkt ins 500 Meter entfernte Freilichtmuseum Matariya gebracht und sollen dort dauerhaft zu sehen sein.

“Es ist ein absoluter Glücksfall und passiert auch nicht allzu oft, dass man solche Sachen findet”, sagt Raue, der 2012 die Grabungen in Heliopolis initiierte. “Das ist der Ort, an dem laut ägyptischer Mythologie die Welt erschaffen wurde, das theologisch-religiöse Zentrum Ägyptens.”

Gemeinsam mit Studierenden der Universität Leipzig, einem niederländischen Zeichner, einem belgischen Geoarchäologen und einem Bauforscher aus Cottbus sowie Restauratoren und Archäologen aus Ägypten suchte Raue in den vergangenen Wochen im nordwestlichen Teil der 22-Millionen-Metropole Kairo nach dem einst berühmten, aber verschollenen Tempel. “Das ist eine echte Gemeinschaftsunternehmung”, meint Raue.

Überraschungsfund im Grundwasser: Etwa 2.400 Jahre alte Inschrift des Königs Nektanebo I. Foto: Dr. Dietrich Raue
Überraschungsfund im Grundwasser: Etwa 2.400 Jahre alte Inschrift des Königs Nektanebo I. Foto: Dr. Dietrich Raue

Zunächst stieß das Team – wie erwartet – auf die mächtigen, etwa 17 Meter breiten und ebenso hohen Tempelmauern. Danach folgte mit der Ausgrabung der Reliefs und des Fragments die kleine Sensation. Nach aktuellem Stand der Forschung gibt es dafür aber eine ebenso logische wie einfache Erklärung: Im Alten Ägypten nutzte man die mächtigen Umfassungsmauern, um darauf weitere Tempel zu errichten. Einiges von dem, was davon übrig blieb, fand nun Raues Team. Die Grabungsbedingungen waren teilweise schwierig. Da die geschichtsträchtigen Stücke unter dem Grundwasserspiegel lagerten, musste während der Arbeiten immer wieder das Wasser abgepumpt werden. Wenn der Strom für die Motorpumpe ausfiel, lief das Loch schnell voll.

Dennoch sind Raue und seine Kollegen gespannt darauf, welche Schätze das Areal noch zu bieten hat und wollen die Grabungen fortführen.

“Unser Forschungsziel ist es, endlich die Tempel zur reichen historischen Überlieferung zu finden, da sie in vielerlei Hinsicht Vorbild für Ägypten waren”, erläutert Raue, dessen Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der deutschen Botschaft in Kairo und anderen Partnern finanziell unterstützt wird. Dabei ist Eile geboten, denn der Platz der Schöpfung wird nach und nach mit Wohnhäusern bebaut, und die ägyptische Hauptstadt wächst ständig weiter.

Bis in die Ptolemäerzeit war Heliopolis, das alte Kultzentrum der Ägypter, wohl noch leidlich intakt. Aber dann kam die Regierungszeit Kleopatras und ihre Allianz mit Rom, die im Grunde auch das Ende der Tempelanlagen in Heliopolis bedeutete: Statuen und Obelisken wurden abtransportiert – Vieles davon direkt nach Rom, so wie der Obelisk, der heute auf dem Petersplatz steht. Heliopolis selbst wurde – wie so manche antike Stadt – zum Steinbruch für spätere Häuserbauer.

Aber Heliopolis ist heute ein Forschungsschwerpunkt des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Und eine wichtige Rolle spielt bei diesen Ausgrabungen eben Dietrich Raue. Das Archäologen-Team um Raue hat 2006 schon in den Ruinen des Sonnentempels zahlreiche Inschrift- und Relieffragmente der Amarna-Zeit (ca. 1350 v. Chr.) entdeckt. Damit war erwiesen, dass der alte Sonnentempel aus dem Alten Reich (ca. 2650 v. Chr.) noch in der Amarna-Zeit in Funktion war (also im 14. bzw. 13. Jahundert vor Chr.).

Im September fliegt Raue nochmal für vier bis sechs Wochen nach Kairo und wird mit seinem Team in der Umgebung der Funde wieder graben. Bis dahin arbeiten seine ägyptischen Kollegen weiter vor Ort und suchen in dem rund einen Quadratkilometer großen Gebiet weiter nach steinernen altägyptischen Zeitzeugen. Dafür müssen sie sich aber erst durch die gigantischen Müllberge kämpfen, die hier abgelagert wurden. Aber der Aufwand könnte sich lohnen.

Und Raue ist jetzt erst recht zuversichtlich: “Wir rechnen mit zahlreichen weiteren Funden und Tempelresten.”

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