Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 67Laut Verfassungsschutz leben derzeit 1.700 Reichsbürger in Sachsen. Über die Gefahr, die von diesen ausgeht, wie man ihnen argumentativ begegnet und ob sie nicht für die Demokratie verloren sind, erklärt Politologin Prof. Dr. Rebecca Pates von der Universität Leipzig. Für die LZ führte Marko Hofmann das Interview mit ihr für die aktuelle Ausgabe.

Frau Professor Pates, der Verfassungsschutz hat 1.700 Reichsbürger in Sachsen registriert. Ist das im bundesweiten Vergleich viel oder wenig für ein Bundesland? 

Dem Verfassungsschutz sind bundesweit rund 19.000 Reichsbürger und Selbstverwalter aufgefallen, davon etwa 9 Prozent in Sachsen. Aber da dies eine Behördenstatistik ist, könnte das bedeuten, dass den Behörden in Sachsen einfach viele Fälle aufgefallen sind.

In den Medien ist stets nur von Reichsbürgern die Rede. Gibt es Erkenntnisse darüber, wie viel Prozent der Szene weiblich sind?

Die meisten, etwa drei Viertel, sind Männer. Es handelt sich bei den Reichsbürgern nicht um eine Bewegung, eine Partei, oder eine Gruppe, der man beitreten kann. Zum Reichsbürger in der Statistik wird man, wenn man einen Brief an die Behörden schreibt, etwa, dass man keine Steuern oder kein Bußgeldbescheid bezahlen möchte, weil man sich nicht als Bürger der Bundesrepublik sieht.

Sie sehen sich als außerhalb der Rechtsordnung. Die Kosten dafür können hoch sein – der Staat lässt sich das ja nicht einfach gefallen – und Männer sind anscheinend eher gewillt, diese Kosten zu tragen.

Inwiefern stellen Reichsbürger eine Gefahr für Deutschland/Sachsen dar?

Viele Reichsbürger sind bewaffnet. Im Gegensatz zu Terrororganisationen wie NSU 2.0 sind sie zwar keine Organisation, die einen Aufstand plant, aber sie sind von sich selbst überzeugte, manchmal gewaltaffine Männer über 40, die gewillt sind, Gewalt gegen Vertreter des Staates, an erster Front Polizisten und Gerichtsvollzieher auszuüben. Für diese Personengruppen sind einige Reichsbürger schon gefährlich. Damit ist aber nicht die Bundesrepublik oder der Freistaat gefährdet.

Worin unterscheiden sich Reichsbürger von gewöhnlichen Extremen?

Nicht alle Reichsbürger sind rechtsextrem, es gibt eine ganze Reihe an Gründen, warum Menschen die Existenz einer rechtmäßigen Regierung abstreiten. Manche berufen sich auf das Kaiserreich, manche auf die Weimarer Republik, und einige sehnen sich wohl tatsächlich den Nationalsozialismus zurück. Und einige sind Esoteriker, sie meinen, die Regierung sei von Echsen aus dem All oder anderen finsteren Mächten gesteuert. Rechtsextreme haben einen konservativen, ja reaktionären Wertekanon.

Einerseits sind sie nostalgisch für eine vermeintlich bessere frühere Welt mit klaren Hierarchien zwischen Gruppen von Menschen, zwischen den Geschlechtern, zwischen den Religionen und Schichten. Und diese Hierarchien wurden mithilfe von Gewalt und Macht aufrechterhalten. Rechtsextreme sind also autoritär, gegen die Gleichheit von Menschen, für ein vermeintlich reines Volk, für die Unterdrückung von sexuellen und ethnischen Minderheiten und für eine entsprechende Außenpolitik.

Inzwischen bewegen sie sich auch in den Heimatverbänden und Naturschutzvereinen, wobei sie mit „Heimatschutz“ etwas anderes meinen als etwa die Grünen.

Reichsbürger kritisieren, dass „Systemlinge“ der „Systempresse“ glauben. Welche Quellen nutzen diese selbst, um ihr Weltbild zu erstellen?

International besonders bekannt sind Männer wie David Icke und Alex Jones, die globale Verschwörungstheorien vertreten. Icke vertritt die These, dass Reptilien aus dem All in Menschenform die Welt regieren. Alex Jones, dass Liberale wie Barack Obama eine Weltverschwörung anzetteln. Dabei werden oft antisemitische Themen aus der Vergangenheit abgestaubt. Beide geben viele Vorträge, auch auf YouTube.

Andere informieren sich über Facebook oder Veröffentlichungen in Selbstverlagen. Wichtige Webseiten sind „Staatenlos“, „Friedensvertrag“ oder „Der Honigmann sagt“. Aber viele finden sich bei Stammtischen oder im Bekanntenkreis, als lose Netzwerke von Männern, die einen Ausweg aus ihren finanziellen Problemen suchen. Andere sind unangepasst, rechtsextrem oder auf der Suche nach Anschluss. Und ein weiteres Motiv ist, glaube ich, schlicht Querulantentum.

Die Reichsbürger berufen sich darauf, dass das Deutsche Reich nie aufgelöst worden ist, dass die Rothschilds die Welt regieren und vieles weitere mehr. Wie lassen sich die Argumente der Reichsbürger entkräften? 

Reichsbürger erkennen die üblichen Autoritäten und Experten nicht an, da bringt eine Diskussion wenig. Man sollte einerseits darauf verweisen, dass man diese Meinungen nicht teilt – und darauf, dass man sich nicht aussuchen kann, welche finanziellen Verpflichtungen man hat. Der Staat ist eine Organisation, welche das Monopol an legitim ausgeführter Gewalt für sich beansprucht. Wenn man meint, die sei unrecht, hört der Staat nicht auf, das zu beanspruchen – und diesen Anspruch durchzusetzen.

In der Regel ist das ein überschaubares Problem. Größer wird es, wenn wir uns die Siedlungen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern anschauen, in denen Reichsbürger und Selbstverwalter ihre eigenen Ideen und Ansprüche in einem privatisierten Territorium umzusetzen versuchen, wie bei der „Anastasia“ Bewegung. Dort können Waffen gehortet, Dorfwehren gegründet und der Widerstand geübt werden – das ist eine ganz andere Größenordnung, die ich nicht unterschätzen würde.

Die Gesprächspartner sind selten bereit, von ihren Argumentationsmustern abzuweichen. Sind Sie dann nicht für die Demokratie verloren und gefährden den politischen Diskurs?

Es gilt die Meinungsfreiheit, auch wenn sich Leute gegen die Demokratie entscheiden. Das Machtmonopol gilt allerdings auch – die Meinungsfreiheit darf eben nicht in einer Herausforderung des Machtmonopols enden. Daher sind der Waffenbesitz unter Reichsbürgern und die neuen Siedlungen mit geschlossenen Weltbildern im ländlichen Raum besorgniserregend.

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