Am Mittwoch, 7. Januar, veröffentlichte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) seine Expertise "Bildungsgipfel-Bilanz 2014". Sie wertete darin die Umsetzung der Ziele des Dresdner Bildungsgipfels vom 22. Oktober 2008. Sechs Jahre ist das her. Bund und Länder vereinbarten damals in Dresden klare Ziele für die Bildungspolitik. Die wichtigsten Ziele wurde verfehlt. Und der DGB konstatiert wieder einmal eine "Soziale Schieflage in der 'Bildungsrepublik'".

Auf den ersten Blick bilanziert der DGB einfach Zahlen:

– Halbierung der Quote der Schulabgänger/innen ohne Schulabschluss von 8 auf 4 Prozent. Verfehlt.

– Halbierung  der Quote junger Erwachsener ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung von 17 auf 8,5 Prozent. Ziel verfehlt.

– Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige (35 % bis zum 1.8.2013). Ziel knapp verfehlt.

– Steigerung der Weiterbildungsbeteiligungsquote von 40 auf 50 Prozent. Ziel knapp verfehlt.

– Erhöhung der Quote der Studienanfänger/innen auf 40 Prozent eines Jahrgangs. Ziel erreicht.

– Steigerung der Bildungsausgaben auf 10 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – 7 Prozent für Bildung drei Prozent für Forschung. Ziel verfehlt.

Mit dem Thema “Studienanfänger” müsste man sich eingehender beschäftigen. Das ist ein Thema für sich. Die anderen Punkte eigentlich auch.

Aber zwei haben es in sich. Weil sie über ganze Lebenswege entscheiden und ein lebenslanges Handicap im Erwerbsleben: (Haupt-)Schulabschluss und Berufsausbildung. Beide hängen zusammen: Ohne Schulabschluss keine Berufsausbildung. Und die Frage darf und muss auch sein: Warum bekommt Deutschland auch im Jahr 2013 nur eine Quote von 5,7 Prozent hin, 5,7 Prozent aller Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen.

Das ist eine Menge. Gerade in Zeiten steigenden Fachkräftemangels.

Und es ist noch mehr, wenn man sich die enormen Werte in den ostdeutschen Bundesländern anschaut – Sachsen mittenmang mit 9,5 Prozent. Sind die ostdeutschen Schüler so grottenschlecht?

Die Antwort lautet: Nein.

Prof. em. Dr. Klaus Klemm, FB Bildungswissenschaften, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, Autor der vom DGB vorgelegten Expertise, hat etwas gemacht, was man so schon in diversen Bildungsmonitoren der Initiative für Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) findet. Nur taucht es dort in einem völlig unstrukturierten Punktesystem auf, ohne dass der Monitor auch nur eine Ahnung davon verschafft, was in den bepunkteten Bildungssystemen der Bundesländer eigentlich tatsächlich falsch läuft.

Klemm hat sich einfach mal die Zahlen aus dem Testvergleich der Neuntklässler des Jahres 2012 genommen und dort die Quote der nicht erreichten Mindeststandards genommen und diese mit den Quoten der Schüler ohne Schulabschluss im Jahr 2013 verglichen. Die Zahlen sprechen Bände.

Direkt aus seiner Expertise zitiert: “Darüber hinaus muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich in den einzelnen Ländern hinter dem Etikett ‘ohne Hauptschulabschluss’ sehr unterschiedliche Schülerleistungen verbergen: Die im Herbst 2013 veröffentlichte Studie zum Erreichen der Bildungsstandards hat für das Fach Mathematik gezeigt, dass der für Hauptschüler/innen festgelegte Mindeststandard von 5,5 % aller Neuntklässler/innen im Jahr 2012 nicht erreicht wurde. Dieser Wert liegt dicht bei der Quote der Schüler/innen, die 2013 keinen Hauptschulabschluss erlangen konnten. Ein Blick in die Länder zeigt allerdings, dass diese Übereinstimmung der „Quote der Jugendlichen ohne Abschluss“ mit der Quote zum „Verfehlen des Mindeststandards“ durchaus nicht die Regel ist: So verfehlten z. B. in Sachsen in Mathematik nur 1,3 % der Neuntklässler/innen den Mindeststandard, während dort 9,5 % eines Altersjahrgangs keinen Hauptschulabschluss erreichten. Umgekehrt verhält es sich dagegen z. B. in Bremen: Dort verfehlten 11,5 % den Mindeststandard, aber ‘nur’ 7,3 % erreichten keinen Hauptschulabschluss. Diese Zahlen zeigen, dass oft eine Lücke zwischen den Abschlüssen und den Kompetenzen der Jugendlichen klafft.”

Was ein bisschen erklärt, warum sächsische Schüler in PISA- und ähnlichen Tests immer wieder vordere Plätze belegen und jeder Zehnte dann trotzdem ohne Schulabschluss abgeht. Da klafft eine gewaltige Lücke: Ihre Kompetenz entspricht nicht dem letztlich verbrieften Schulerfolg.

Das hat mehrere Gründe. Insbesondere Schüler mit Migrationshintergrund schneiden im sächsischen Bildungssystem schlechter ab, wenn sie das Pech haben, auf einer Oberschule zu landen. Und wie kaum ein anderes Land sortiert Sachsen viele Kinder schon mit der 1. Klasse aus und schickt sie auf Förderschulen, wo die Chance, am Ende überhaupt einen belastbaren Schulabschluss zu bekommen, denkbar gering ist.

Und dass die “Schulabbrecherquote” in Sachsen mit 9,5 Prozent so hoch ist (höher ist sie nur in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt), hat damit eine Menge zu tun: 5,5 Prozent der Schüler in Sachsen gehen auf eine Förderschule, die meisten, weil ihnen diverse Lern-Handicaps attestiert werden. Allein das schon treibt die Quote hoch.

Auch der Freistaat produziert so erst all jene ratlosen jungen Menschen, die es dann meist bei aller Anstrengung nicht mehr schaffen, eine qualifizierte Berufsausbildung zu erwerben.

Klemm zu den bundesweiten Zahlen: “Von 2008 bis 2009 ist die Quote der ohne Ausbildung verbliebenen jungen Erwachsenen von 17,2 % um 0,8 Prozentpunkte auf 16,4 % leicht gesunken; zum Jahr 2010 ist sie dann wieder auf 17,2 % angestiegen. Seither geht sie in kleinen Schritten über 15,9 % (2011) und 14,9 % (2012) auf 13,8 % im Jahr 2013 zurück. Die für 2013 gemessene Quote bedeutet, dass insgesamt 1,4 Millionen junge Erwachsene im Alter von 20 bis 29 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung hatten und auch nicht mehr dabei waren, einen Berufsausbildungsabschluss zu erwerben.”

Auch an dieser Stelle fällt Sachsen auf. Denn mittlerweile hat der Freistaat ein stark ausgebautes System der nachschulischen Ausbildung, in dem sich vor allem Kommunen, Kammern  und Unternehmen engagieren, weil sie jeden ausbildbaren Jugendlichen brauchen für den Arbeitsmarkt. Ergebnis: Sachsen weist mit nur 8 Prozent junger Menschen unter 29 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben, die niedrigste Quote auf. Nur Thüringen weist einen ähnlichen Wert auf.

Was eben auch bedeutet, dass etliche Jugendliche, die in der Schule keinen Abschluss geschafft haben, diesen nachholen und auf dem zweiten Bildungsweg doch noch auf die Spur kommen.

Aber der größte Teil schafft es eben doch nicht. Und es steht durchaus die Frage, ob Sachsen die Quote der jungen Menschen ohne Berufsabschluss nicht sogar auf 4 bis 5 Prozent drücken könnte, würde die Schere nicht schon so früh ansetzen und Kinder von 6 Jahren in ein Fördersystem aussortieren, dass schon deshalb nicht wirklich fördert, weil die leistungsstärkeren Banknachbarn einfach fehlen.

Eindeutig tut sich Sachsen mit dieser frühen gnadenlosen Auslese keinen Gefallen, der eigenen Wirtschaft erst recht nicht.

Die Expertise zum Download

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