Nicht nur in Leipzig gibt es gewaltige Unterschiede zwischen den einzelnen Grundschulen im Stadtgebiet, was die Bildungsempfehlung für Gymnasium oder Oberschule betrifft. Selbst innerhalb Sachsens gibt es unerklärliche Unterschiede. Und die Grünen-Abgeordnete Petra Zais fragt sich, ob das Land auf diese Weise einfach die Schulbelegungen steuert.

Dieselbe Regierungsantwort, die für Leipzig schon die krassen Unterschiede deutlich machte, sieht selbst nach Landkreisen sortiert wie ein Flickenteppich aus.

“Die Vergabe von Bildungsempfehlungen für das Schuljahr 2015/16 wirft Fragen auf. Wird hier die verpflichtende Empfehlung nach Klasse 4 zur Wahl der weiterführenden Schule zu einem Steuerungsinstrument für die Kultusbürokratie?”, fragt sich Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion. “Grundsätzlich dient die Bildungsempfehlung dem Aufzeigen des bestmöglichen Bildungsweges für das einzelne Kind. Allein mit dem Wahlverhalten der Eltern sind die Unterschiede innerhalb Sachsens jedoch nicht zu erklären. Diese legen eher den Verdacht nahe, dass hier entsprechend der regionalen Angebote und Kapazitäten Schülerströme gelenkt werden. Das ist nicht Sinn und Zweck der Sache.”

Für das Schuljahr 2015/2016 erhielten in Sachsen 46,5 Prozent der Viertklässler eine Bildungsempfehlung fürs Gymnasium und 52,6 Prozent eine Empfehlung für die Oberschule. In der Regionalstelle der Sächsischen Bildungsagentur (SBA) Dresden wurde in 53,4 Prozent der Fälle eine Empfehlung fürs Gymnasium erteilt, in der SBA-Regionalstelle Bautzen hingegen nur in 41,4 Prozent. Die wenigsten Empfehlungen für den Besuch der Oberschule wurden in der SBA-Regionalstelle Dresden erteilt (46 Prozent), in der SBA-Regionalstelle Zwickau waren es hingegen 57,2 Prozent.

Chancengleichheit in Leipzig?

Aber auch die Leipziger Gemengelage sieht sie unter diesem Blickwinkel als verdächtig. Kann es sein, dass auch hier die Kinder auf die Oberschulen gelenkt werden, weil die Gymnasien schon aus allen Nähten platzen?

In Leipzig erhielten 50,4 Prozent der Kinder eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium und 48,8 Prozent für die Oberschule, stellt Zais fest und benennt zum Vergleich die Dresdner Zahlen: In Dresden lag das Verhältnis bei 58,8 zu 40,6 Prozent, im Landkreis Görlitz bei 40,7 zu 57,4 Prozent.

Auch die Unterschiede zwischen den Schulen seien bemerkenswert, meint Petra Zais. So erhielten an der Schule 5 im Stadtbezirk Leipzig-Mitte 93,2 Prozent der ViertklässlerInnen eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium, an der Schule am Auwald waren es 76,8 Prozent. Hingegen wurde an der Hans-Kroch-Schule nur 16,7 Prozent der Kinder der Besuch des Gymnasiums empfohlen, ebenso an der Wilhelm-Wander-Schule im Leipziger Osten.

Eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium wird erteilt, wenn der Schüler oder die Schülerin in der Halbjahresinformation oder am Ende des Schuljahres in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht einen Notendurchschnitt von 2,0 oder besser erreicht hat und keines dieser Fächer mit der Note “ausreichend” oder schlechter benotet wurde.

Normalerweise. Aber herrschen überhaupt an allen Grundschulen vergleichbare Verhältnisse, die überhaupt allen Kindern die gleichen Chancen geben, diese Noten zu erreichen?

Auch bei der 2. Bildungsempfehlung gibt es augenscheinlich unterschiedliche Maßstäbe

Die Disparitäten setzen sich bei der 2. Bildungsempfehlung nach Klasse 6 fort, kann Petra Zais nach Studium der vom Kultusministerium ausgegeben Zahlen feststellen. Für das Schuljahr 2015/2016 wurde 9,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Klasse 6 an sächsischen Oberschulen der Besuch des Gymnasiums empfohlen: 7,2 Prozent in der SBA-Regionalstelle Leipzig, 11,7 Prozent in der SBA-Regionalstelle Dresden. In Leipzig wurde nur 3,9 Prozent der SechstklässlerInnen der Wechsel an ein Gymnasium empfohlen.

“Auffällig sind auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So erhielten 49,8 Prozent der Schülerinnen in Klasse 4 eine Empfehlung fürs Gymnasium und 49,5 Prozent für die Oberschule. Bei den Jungs lag das Verhältnis hingegen bei 43,3 Prozent zu 55,6 Prozent. In Klasse 6 der Oberschulen erhielten doppelt so viele Mädchen wie Jungen die Empfehlung, den Bildungsweg am Gymnasium fortzusetzen (12,9 Prozent gegenüber 6,5 Prozent).”

Was ja dafür sprechen würde, dass die Praxis in sächsischen Grundschulen das Lernverhalten von Mädchen deutlich stärker honoriert  als das von Jungen. Auch in Leipzig haben deutlich mehr Grundschulen mehr Mädchen fürs Gymnasium empfohlen als Jungen. Das kann mit den Fähigkeiten der Kinder nicht wirklich übereinstimmen.

Für die Grünen darf die Bildungsempfehlung deshalb kein starrer Schematismus sein. Dazu sind Bildungsübergänge – und gerade die in der 5. Klasse – einfach zu entscheidend für den Lebenslauf. Der Umgang damit, wie ihn die Auskunft des Kultusministeriums widerspiegelt, ist eindeutig auf eine frühe Auslese gerichtet – schlägt deshalb auch besonders stark in sozialen Brennpunktstadtteilen zu Buche. Belohnt werden Kinder, die schon früh nach guten Noten streben. Aber das spiegelt ja nun einmal nicht ihre Fähigkeiten wieder, sondern nur die Bereitschaft, sich “für gute Noten anzustrengen”.

“Wir Grüne fordern, die Bildungsempfehlung zu einer umfassenden Bildungsberatung für Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern weiterzuentwickeln”, benennt Petra Zais das, was die Bildungsempfehlung eigentlich sein sollte. “Dabei müssen die Fähigkeiten und Interessen der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen. Die freie Wahl der weiterführenden Schule muss gewährleistet bleiben. Das ist ein Gebot der Bildungsgerechtigkeit, das nicht durch die Planung von Schulstandorten, Personaleinsatz und Schülertransport konterkariert werden darf. Die regionalen Unterschiede in den Bildungsverläufen müssen verstärkt in den Fokus gerückt werden, denn so deutlich die Werte beim Übergangsverhalten variieren, so unterschiedlich ist auch die Zahl der Abgänger ohne Abschluss oder der Hochschulzugangsberechtigungen. Der Bildungserfolg darf nicht vom Wohnort abhängen.”

Kleine Anfrage “Bildungsempfehlungen und Schulwechsel im Freistaat Sachsen” (Drs. 6/1119)

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