Bevor wir es vergessen. In dieser Woche war ja auch noch Klassenkampf. Genauer: am Dienstag, 29. November. Da streikten in Sachsen die Grundschullehrerinnen und -lehrer. Das sind die Leute, die den Kindern das Rechnen, Schreiben und Lesen beibringen sollen. Manchmal klappt das ja nicht, wie das mit dem Rechnen. Seltsamer Zufall: Am selben Tag wurde über die schlechten Rechenleistungen der deutschen Viertklässler berichtet. Ein Potpourri.

Ein Potpourri, das daran erinnert, dass in Sachsen immer nur geflickt wird und gleiche Arbeit selbst im Staatsdienst unterschiedlich honoriert wird. Deswegen kämpft die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW) schon seit Jahren für einen Tarifvertrag für die Eingruppierung der sächsischen Lehrkräfte, vor allem einer besseren Eingruppierung. Denn ein Problem in Sachsen ist die niedrige Tarifeingruppierung der Lehrkräfte.

Jetzt kommt auch noch die Ungleichbehandlung hinzu. Weil der Freistaat in Not ist und sich kaum noch jemand um den Dienst im sächsischen Bildungswesen bewirbt, werden junge Lehrkräfte mit Extra-Zuschlag geworben. Was die älteren Lehrkräfte, die den Laden unter straffen Bedingungen zusammenhalten müssen, irgendwie nicht gut finden. Ungerecht zumindest. Was aber nur die zweite Ebene ist. Die erste Ebene ist die seit Jahren geforderte Höherstufung in den Tarifgruppen.

Eine Gesamtreform des sächsischen Bildungssystems ist überfällig. Auch seit Jahren.

„Den Protest und den Unmut der Grundschullehrkräfte kann ich verstehen. Haben diese doch jahrelang mit Verzicht auf viel Geld das ganze System am Leben erhalten. Und jetzt sollen gerade sie, die auch mit vielfältigen neuen Anforderungen wie Integration oder hohen Klassenstärken zurechtkommen müssen, vom neuen Lehrermaßnahmenpaket kaum etwas abbekommen?“, sagte Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, gleich am Dienstag. „Was ich aber als besonders bedenklich empfinde, sind die mangelnde Wertschätzung und die teilweise unangemessenen und inakzeptablen Äußerungen zu den Protesten der Lehrkräfte aus den Reihen der Regierungspartei CDU. Wenn die Kultusministerin Jubelschreie über das Maßnahmenpaket vermisst und für weiterhin berechtigte Kritik kein Verständnis zeigt, dann läuft etwas schief. Wenn sich dann aber noch ihr CDU-Fraktionschef Kupfer nicht zu schade ist, Neid und Missgunst zu schüren, indem er empfiehlt, auch mal auf die Löhne außerhalb der Klassenzimmer zu schauen, dann muss man sich über die hohe Streikbereitschaft nicht wundern.“

Wofür am Dienstag 700 Lehrkräfte streikten, das liegt schon seit Jahren auf dem Tisch der Kultusministerin.

Petra Zais: „Die Probleme in den Grundschulen sind der Kultusministerin schon lange bekannt. Im Sommer 2015 hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in einem Offenen Brief an sie auf viele Missstände aufmerksam gemacht. Die Probleme wurden wie so häufig kleingeredet oder einfach ignoriert. Hier muss schnellstmöglich ein Umdenken stattfinden.“

Aber es war tatsächlich so. Aus der CDU-Fraktion kamen tatsächlich gleich heftige Buh-Rufe.

Vorwurf: Klassenkampf.

Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, Lothar Bienst: „Die Gewerkschaft spielt Klassenkampf auf den Rücken der Schüler! Ich habe kein Verständnis für diesen inszenierten Streik. Das 214 Mio. Euro große Maßnahmenpaket zur Sicherung des Lehrerbedarfs setzt dort an, wo wir Handlungsbedarf haben. Es war keine Gießkanne über alle Gehaltsgruppen, wie es sich die Gewerkschaftsfunktionäre wünschen.“

Was schon harter Tobak ist: Die seit Jahren ausstehende Verhandlung über die Tarife mit einer „Gießkanne über alle Gehaltsgruppen“ zu vergleichen.

„Die Gewerkschaft schürt in den Lehrerzimmern Zwiespalt und Unmut, indem sie so tut, als hätten wir mit dem Maßnahmenpaket eine Form von Tarifverhandlungen geführt. Aber die laufen derzeit gar nicht. Auch die Forderung nach einem sächsischen Alleingang ist Augenwischerei. Der Freistaat ist Mitglied der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und ein Austritt wäre auf Dauer nachteilig für alle anderen Angestellten des öffentlichen Dienstes“, behauptete Bienst.

Und kam damit völlig vom Thema ab: Es geht nicht um die Vergleichbarkeit der Tarife, sondern um die Eingruppierung der Lehrerinnen und Lehrer. Die vor allem deshalb von einer tariflichen Eingruppierung abhängig sind, weil in Sachsen Lehrer kaum verbeamtet werden. Deswegen kommt ja die Idee immer wieder auf, junge Lehrer mit Verbeamtung zu ködern.

Dass dann auch noch Koalitionspartner SPD laut Medienberichten den Streik unterstützte, sei verwunderlich, wunderte sich Bienst: „Die SPD-Schulpolitiker müssen sich endlich einmal entscheiden, ob sie Koalition oder Opposition sein wollen. Bei den Gesprächen zum Lehrerpaket saß die SPD mit am Tisch und hat das Ergebnis mit verhandelt. Und bei der Verhandlung zum Doppelhaushalt haben wir es danach gemeinsam finanziell geschultert. Hinterher es öffentlich in Frage zu stellen, ist scheinheilig. Fakt ist: Auch Grundschullehrer profitieren vom 214 Millionen Euro großen Lehrerpaket! Sowohl die bessere Altersreglung, die neue Überstundenanrechnung und die Reduzierung der Wochenstunden von 28 auf 27 sind spürbare Vorteile für Pädagogen an Grundschulen.“

Und dann widersprach er noch vehement der Behauptung der SPD-Schulpolitiker, dass in vielen anderen Bundesländern die Lehramtsausbildung „bereits reformiert“ sei und Grundschullehrer genauso bezahlt würden, wie ihre Kollegen an weiterführenden Schulen. Bienst: „Das entbehrt jeglicher Sachkenntnis! Erstens wurde die Lehramtsausbildung innerhalb von zehn Jahren zwei Mal in Sachsen reformiert – das letzte Mal 2012 mit der Wiedereinführung der Staatsexamen. Eine erneute Veränderung würde nur einen enormen Aufwand und parallele Strukturen bedeuten. Zweitens werden auch in den anderen Bundesländern Grundschullehrer niedriger eingruppiert als Lehrer weiterführender Schulen.“

Individuelle Zulagen statt besserer Tarife

Dazu der Kommentar von Uschi Kruse, Landesvorsitzende der GEW: „Die Staatsregierung versucht, die Personalprobleme im Schulbereich durch Einkommensverbesserungen für wenige Gruppen und individuelle Zulagen für einige Lehrkräfte zu lösen. Statt den Lehrerberuf in Sachsen insgesamt aufzuwerten, schafft sie neue Ungleichbehandlung und spaltet die Lehrerschaft noch stärker als bisher. So wird es nicht gelingen, den steigenden Lehrerbedarf zu decken und die Qualität der Schulen sicherzustellen. Die Kolleg*innen in den Schulen wollen klare, fair ausgehandelte und die sächsische Sondersituation beachtende tarifvertragliche Entgeltregelungen – statt Zulagen im Ermessen der Schulverwaltung. Sie haben es vor allem satt, sich wie Beamte behandeln zu lassen, obwohl sie keine Beamten sind und deshalb auch weit entfernt vom Nettoeinkommen und von der Altersversorgung ihrer verbeamteten Kollegen in anderen Bundesländern. Das vergessen auch einige CDU-Politiker in ihren öffentlichen Attacken auf die Lehrerschaft zu erwähnen.“

Aus Sicht von Sören Pellmann, selbst Lehrer und Stadtrat der Leipziger Linken, habe das 214-Millionen-Paket dazu geführt, dass es zu einer zunehmenden Entsolidarisierung zwischen den Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen kommt.

„Lediglich die Gruppe der Grundschullehrerinnen und -lehrer müssen noch weiter für eine entsprechende Anerkennung ihrer Arbeit kämpfen“, so Pellmann. „Zum einen muss die finanzielle Gleichstellung aller Lehrerinnen und Lehrer im Freistaat Sachsen erfolgen, außerdem müssen die Pflichtstunden an die anderen Schularten angeglichen werden. Auch, um die Integrationsverordnung umsetzen zu können, braucht es deutlich mehr motivierte Lehrerinnen und Lehrer, vor allem an Grundschulen.“

Was zumindest daran erinnert, dass eine Gesamtreform und ein durchdachtes Tarifsystem für alle längst überfällig sind. Seit über sechs Jahren übrigens, denn die Lehrerinnen und Lehrer, die jetzt streiken, haben all die Personalstraffungen der letzten Jahre auffangen müssen – ohne irgendeine finanzielle Vergütung. Dass sie sich jetzt wie die Klassenletzten fühlen, hat Gründe. Und zumindest für die SPD scheint klar, dass das 214-Millionen-Euro-Paket nur der Anfang sein kann. Wenn das Bildungssystem im Ganzen nicht in Ordnung gebracht wird, wird die zuständige Ministerin auch in einem Jahr wieder zugeben müssen, dass sie keine fachlich qualifizierten Lehrerinnen und Lehrer bekommt.

11 Mal ist nichts passiert

Dazu mal Rico Gebhardt, den Fraktionsvorsitzenden der Linken vom 9.November zitiert, als das Maßnahmepaket für die Schulen endlich zustande kam: „Es ist zynisch, wenn Herr Bienst von der CDU-Fraktion nun davon spricht, es sei ein ‚Loch entstanden‘. Das Loch war lange vorhersehbar, aber die Verantwortlichen wollten nichts wissen. Kultusministerin Kurth und Finanzminister Unland haben in letzter Zeit elf Mal mit den Gewerkschaften an einem Tisch gesessen und nichts zustande gebracht. Weil Kurth und Unland nicht wollten. Als die Lehrerinnen und Lehrer in den neunziger Jahren kürzer arbeiten sollten, wurde ein Bezirkstarifvertrag ausgehandelt. Nun sollen sie länger arbeiten, und jetzt will die Staatsregierung keinen Tarifvertrag mehr. Es ist kein Ruhmesblatt der sächsischen Sozialdemokratie, dass sie diesen Weg durch Demut am Kabinettstisch mitgegangen ist. Tarifverträge dienen dem sozialen Ausgleich und damit dem dauerhaften sozialen Frieden. Was CDU und SPD uns hier verkaufen, ist zutiefst ungerecht. Sie bestrafen all die hoch engagierten Lehrerinnen und Lehrer, die die Schulen in schwierigen Zeiten aufrechterhalten haben. Sie demotivieren ausgerechnet diejenigen Pädagoginnen und Pädagogen, ohne die Sachsens Schulwesen seine PISA-Erfolge nicht erzielt hätte! Dieser großen Mehrheit der sächsischen Lehrerinnen und Lehrer geben sie jetzt – nichts! Gar nichts! Das ist eine beispiellose Frechheit!“

Und wie war das mit der Mathematik?

„Das wichtigste Ergebnis: Die Grundschüler in Deutschland haben Probleme mit Mathe. Und sie sind im Vergleich zur Vorgängerstudie von 2011 sogar weiter abgerutscht, sie liegen nun auf dem Niveau von 2007“, schrieb „Spiegel Online“ zu den ersten Ergebnissen der 2015 absolvierten Timss-Studie, an der auch die deutschen Viertklässler teilgenommen haben. „In Mathematik liegt Deutschland damit nun unterhalb des EU-Durchschnitts, in Naturwissenschaften knapp darüber. Nur jeder zwanzigste Schüler in der Bundesrepublik erreicht die höchste von fünf Kompetenzstufen.“

Die einzelnen Länderergebnisse stehen noch aus. Aber es deutet zumindest an, dass nicht nur Sachsen ein Problem mit seiner Grundschulausstattung hat. Vielleicht auch gerade deshalb, weil manche Kultusminister im Rechnen ihre Schwächen haben.

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