Es ist der lange Schatten einer überforderten Kultusministerin, der jetzt zum nächsten Ärger im sächsischen Bildungsdiskurs führt. Das Kultusministerium stellte es in seiner Meldung am 2. März selbst fest: „Bereits die ehemalige Kultusministerin Brunhild Kurth hatte angekündigt, mit dem neuen Schulgesetz auch die Lehrpläne aller Schularten zu überprüfen.“ Und es überrascht nicht, dass der Musik- und Kunstunterricht auf der Streichliste der Kultusbürokratie landet.

Dass die Lehrpläne überfrachtet und vollgestopft sind mit unnötigem Wissensballast, ist bekannt. Seit Jahrzehnten presst eine Lobby nach der anderen ihre „Bildungsinhalte“ in die Lehrpläne – dröges, unnötiges Zeug in der Regel, das nur aus der Sicht von Fachexperten irgendeinen anwendbaren Sinn ergibt.

Den größten Druck üben die sogenannten „Arbeitgeber“ aus, allerlei Wirtschaftsverbände, die glauben, ihre Berufsausbildung schon in die Schulen verlegen zu müssen. Und die damit genau das Unheil anrichten, das erst zu massiven Ausbildungsproblemen führt. Denn statt die Schulzeit wirklich zum Erlernen von Denk- und Lerntechniken zu nutzen, werden die Kinder immer mehr zu Wissenscontainern mit abfragbaren Bausteinen gemacht.

Auch das gibt das Kultusministerium zu, wenn es vom „gesetzlich neu formulierten Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen“ spricht und von der „schulgesetzlich beabsichtigten Stärkung der Medienbildung und politischen Bildung.“

Wobei der Passus mit der Medienbildung von der politischen Unbildung in Sachen Medien erzählt. Denn hier ist das Scheunentor geöffnet worden, um der IT-Branche den offenen Zugang in die Schulen zu ermöglichen – samt all den scheinbar so nötigen Investitionen in Computer, Tablets, intertaktive Bildwände, Breitband usw.

In den Köpfen der Politiker wirkt das wie ein Tor in Zukunft und Wettbewerbsfähigkeit. Aber tatsächlich verschlingen diese „Bildungsangebote“ die wichtigen Stunden, die eigentlich zum Training der kognitiven Fähigkeiten gebraucht werden.

„Dabei soll gleichzeitig die deutschlandweit sehr hohe Unterrichtsbelastung sächsischer Schülerinnen und Schüler nicht gesteigert, sondern gesenkt werden, was eine Überarbeitung der Stundentafeln zur Folge hat“, meint das Kultusministerium, das sichtlich keine allzu große Mühe darauf verwandt hat zu ermitteln, was im vollgestopften Lehrplan eigentlich „Ballast“ ist. „Auch soll allen Schülerinnen und Schülern zeitlich die Möglichkeit gegeben werden, die ab 1. August 2018 in allen allgemeinbildendenden Schulen einzurichtenden schulischen Ganztagsangebote besuchen zu können.“

Und dann lässt man die Katze aus dem Sack. Nicht der allseits gebildete Mensch ist mehr Ziel der sächsischen Schule, sondern: „Eine Veränderung der Stundentafeln darf aber nicht zulasten der Berufs- und Studierfähigkeit sächsischer Schüler gehen. Deshalb gilt es, die Qualität und Quantität des Kernfachbereiches als eine wichtige Grundlage zu erhalten, anderseits aber auch Synergien mit den schulischen Ganztagsangeboten in den Blick zu nehmen. Eine Entscheidung zu Kürzungen der Stundentafeln ist noch nicht getroffen.“

Ein sehr seltsames Verständnis von „Kernfächern“.

Logisch, dass diese Arbeitgeber-Interpretation von Bildung deutliche Kritik erfährt.

Die Kritik:

Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag

Die Streichung einzelner Fächer ist überhaupt nicht zielführend

Petra Zais (B90/Grüne). Foto: Juliane Mostertz
Petra Zais (B90/Grüne). Foto: Juliane Mostertz

„Die Pläne zur Überarbeitung der Stundentafeln sind nicht neu. Ich hatte jedoch erwartet, dass dabei Qualitätsaspekte und inhaltliche Fragen handlungsleitend sind. Eine pauschale Streichung oder Kürzung einzelner Fächer ist nicht zielführend. Es macht eben einen großen Unterschied, ob ich die Zielsetzung verfolge, die Unterrichtsbelastung zu reduzieren, oder ob es darum geht, die Folgen des Lehrermangels abzufedern.

Dass Grundschullehrerinnen und -lehrer nur dann in den Genuss einer Prämienzahlung kommen sollen, wenn sie mehr Stunden unterrichten, halte ich schlicht für Erpressung. Wer so mit den Lehrkräften umgeht, darf sich über verhärtete Fronten nicht wundern.

Ich bin es leid, den koalitionsinternen Streit zu kommentieren. Ich empfehle, mehr und vertraulich miteinander anstatt mit der Presse zu reden. Dann kommt am Ende auch was dabei heraus. Das groß angekündigte Konzept zur Sicherung des Lehrerbedarfs und zur Nachwuchsgewinnung ist inzwischen Monate überfällig. Die Zeit drängt!“

Cornelia Falken, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag

Wer die Kunst aus dem Unterricht streicht, hat überhaupt nichts begriffen

Cornelia Falken (Linke). Foto: DiG/trialon
Cornelia Falken (Linke). Foto: DiG/trialon

„Seit Jahren verfolgt Die Linke mit großer Sorge die Tendenz, den Fachunterricht in Musik und Kunst an den Schulen aus Kostengründen zu reduzieren. Das belegen mehrere Kleine Anfragen zur ‚Absicherung des Kunst- und Musikunterrichts‘. (Parlaments-Drucksachen 6/ 556, 6/557, 6/558 und 6/ 559) Im Grundschulbereich werden 60 Prozent des Kunst- und Musikunterrichts nicht mehr von Fachlehrern und -lehrerinnen unterrichtet. Phasenweise werden in verschiedenen Klassenstufen nur halbe Stunden für Kunst und Musik unterrichtet, und die aktuelle Stundentafel enthält eine Wahlmöglichkeit zwischen Kunst und Musik.

Nun will der Kultusminister den Unterricht in Kunst und Musik noch weiter reduzieren. Ab dem Schuljahr 2019/20 sollen, geht es nach seinem Haus, in den fünften Klassen die Fächer Kunst und Musik um eine Wochenstunde verringert werden. Damit verstärkt der Kultusminister den Trend, Kunst und Musik (kulturelle Bildung) ganz in den Ganztagsbereich zu verlagern und den Fachunterricht weiter abzubauen. Das halten wir für völlig inakzeptabel. Musik und Kunst sind ein zentraler Bestandteil von Allgemeinbildung und für die Persönlichkeitsentwicklung von großer Bedeutung. Ihren besonderen Platz haben beide Fächer in der Schule. Die erhoffte Personalreserve wird sich ohnehin nicht einstellen, weil schon jetzt das Fachpersonal fehlt.

Das trifft auch für die Erhöhung der Pflichtstundenzahl für Grundschullehrkräfte, die gerade erst gesenkt worden ist, zu. Sie zu erhöhen, ist kontraproduktiv, weil sie die Attraktivität einer Lehrertätigkeit in Sachsen nicht steigert. Hier wäre eine Entlastung der Lehrkräfte dringend geboten.

Die Linke wird die Kürzungsabsichten im Musik- und Kunstunterricht zum Thema im Sächsischen Landtag machen. Ein entsprechender Antrag mit dem Titel: ‚Kulturelle Bildung in sächsischen Schulen stärken – künstlerischen Fachunterricht absichern‘ befindet sich im parlamentarischen Geschäftsgang. (Parlaments-Drucksache 6/2988). Eine Streichung der Stundentafel ohne vorherige Änderung der Lehrpläne, richtet nur Chaos im Unterricht an.“

Philipp Hartewig, Landesvorsitzender der Jungliberalen Aktion

Diese Pläne sind eine Kapitulation

Philipp Hartewig. Foto: Jungliberale Aktion Sachsen
Philipp Hartewig. Foto: Jungliberale Aktion Sachsen

„Diese Pläne kommen einer Kapitulation im Wettbewerb um die qualitativ beste Bildung gleich. Die Antworten auf den Lehrermangel können nicht eine Reduzierung der Wochenunterrichtsstunden und die Verbeamtung sein. Eine steigende Qualität der Unterrichtsstunden durch die Reduzierung ist in Anbetracht der aktuellen Rahmenbedingungen absolut ausgeschlossen.

Eine ungerade Anzahl an Wochenstunden macht in Fächern wie Kunst überhaupt keinen Sinn. Für das Unterrichtsfach typische Projekte, die zum Beispiel eigenverantwortliches Arbeiten und Problemlösungskompetenzen fördern, werden unmöglich. Die Folgen der Senkung der Stundenzahl der zweiten Fremdsprache liegen ebenso auf der Hand: Wir sind jetzt bereits in Fremdsprachenkompetenzen national und international abgeschlagen. Dieser Rückstand wird durch die Reduzierung weiter wachsen.

Schon heute sind sich Experten einig, dass Gesundheit und Lernerfolg durch eine tägliche Stunde Sport gesteigert werden können. Eine Reduzierung der Sportstunden gefährdet beides. Der Sportunterricht verhilft Kindern und Jugendlichen zu einem besseren Körpergefühl, animiert sie zu Sport auch außerhalb der Schule und verbessert zugleich ihr Sozialverhalten. Die Landesregierung ignoriert damit die „Internationale Charta für Leibeserziehung und Sport“ der Unesco, in der Sportunterricht an Schulen als wirksamstes Mittel herausgestellt wird, „um allen Kindern und Jugendlichen die Fertigkeiten, Einstellungen, Werte und das Wissen und Verständnis für eine lebenslange gesellschaftliche Teilhabe am Sport zu vermitteln“. Zwei Sportstunden in der Woche reichen dazu nicht aus.

Die Höhergruppierung für Grundschullehrer gegen eine zusätzliche Wochenstunde ist ein Tropfen auf den heißen Stein und betrifft nur einen Bruchteil der Grundschullehrer. Erst vor wenigen Jahren wurde die Stundenzahl gesenkt, um Grundschullehrer zu entlasten. Ein tragfähiges Konzept zur Erhöhung der Attraktivität des Grundschullehrerjobs sieht anders aus.

Die weltbeste Bildung ist nur mit weltbesten und motivierten Lehrern möglich. Die geplante Verbeamtung ab dem 01.01.2019 wäre ein Schlag ins Gesicht aller älteren Lehrer. Ich möchte als Kultusminister keiner etablierten Lehrkraft erklären wollen, warum sie ein Lehrer zweiter Klasse sei. Lehrer können nur verbeamtet werden, wenn das Unterschreiben der Zeugnisse als hoheitliche Aufgabe, als Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit anzusehen ist und nicht die eigentliche Lehrtätigkeit.

Eine Verbeamtung ist damit eine Respektlosigkeit gegenüber der Lehrtätigkeit aller motivierten Lehrer. Weiterhin nimmt man den Lehrern damit das Streikrecht und stellt sie unter eine stärkere Weisungsgebundenheit. Die CDU Minister sollten daher ihre Verbeamtungspläne endlich vergraben.“

Noah Wehn, Sprecher des LandesSchülerRats

Da war wohl jemand zu faul, die Lehrpläne auszumisten

Noah Wehn ist neuer Vorsitzender des StadtSchülerRates. Foto: StadtSchülerRat Leipzig
Noah Wehn. Foto: StadtSchülerRat Leipzig

„Es überrascht, dass die Kürzung der Stundentafel nun als Maßnahme gegen den Lehrermangel herangezogen werden soll. Der LandesSchülerRat sieht grundsätzlichen Bedarf an Optimierungen in den sächsischen Stundentafeln. Wir hatten uns allerdings erhofft, dass die Veränderungen nicht allein zum Zweck der Personalersparnis erfolgen. Eine grundlegende Ankündigung der neuen Landesregierung unter Ministerpräsident Kretschmer war, dass die Sparpolitik der letzten Jahre beendet wird. Die heute an die Öffentlichkeit gedrungene Planung von Kultus- und Finanzressort erscheint in diesem Kontext fragwürdig.

Die Vereinheitlichung des Sportunterrichts ist eine notwendige Maßnahme, wenn somit Platz für neue und aktuelle Themenbereiche wie Ernährung und Gesundheit geschaffen werden soll. Die künstlerisch-musische Bildung als kleinste Fächergruppe sollte aber in der Orientierungsstufe keine weitere Kürzung hinnehmen müssen, ganz im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung und Kreativitätsförderung junger Schülerinnen und Schüler. Dass auch Eingriffe in die 2. Fremdsprache erfolgen sollen, ist inakzeptabel. Die Globalisierungs-Generation braucht nicht weniger, sondern mehr Fremdsprachenkenntnis!

Eine gesunde Steuerung der Personalressourcen und eine Entlastung der Jugendlichen ist nur zu begrüßen. Der nachhaltige Weg ist jedoch nicht, Unterricht in Kreativfächern ersatzlos zu streichen, sondern die Lehrpläne für jedes einzelne Unterrichtsfach zu überprüfen. Wir weisen regelmäßig auf das Potenzial und die Notwendigkeit der Entschlackung besonders im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich hin. So könnte der Fokus mehr auf den Bereich der digitalen und politischen Bildung gelenkt und auch temporär auf die Personalsituation reagiert werden. Unabhängig davon ist zu diskutieren, wie in Zukunft mit den „Talentfächern“ Kunst, Musik und Sport umgegangen werden soll, gerade mit Blick auf Belegung, Bewertung und Benotung.“

Lothar Bienst, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion

Lothar Bienst. Foto: CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages
Lothar Bienst. Foto: CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages

Der Tag hat nur 24 Stunden

„Wir brauchen wieder mehr Sachlichkeit in der Schuldebatte! Schule muss auf Entwicklungen in der Gesellschaft reagieren und sich bei den Stundentafeln stets modernisieren. Wer mehr digitale und politische Bildung will, muss sagen, was dafür weniger unterrichtet werden soll – ein Tag hat nur 24 Stunden. Denn unsere Schüler haben mit Unterricht und Hausaufgaben ein Pensum wie arbeitende Eltern! Die CDU-Fraktion wird sich aktiv und konstruktiv in eine Diskussion über die Stundentafel einbringen. Das gleiche erwarten wir auch von unserem Koalitionspartner SPD.“

Holger Zastrow, Vorsitzender der sächsischen FDP

Das kommt einer Kapitulation vor den entstandenen Problemen bei der Unterrichtsversorgung gleich

Holger Zastrow, Vorsitzender der FDP Sachsen. Foto: Michael Freitag
Holger Zastrow, Vorsitzender der FDP Sachsen. Foto: Michael Freitag

„Kretschmer und Dulig haben die weiße Flagge längst gehisst. Über den Umfang der Stundentafel und die Unterrichtsinhalte nachzudenken, ist richtig – aber aus pädagogischen Gründen und nicht, um die Versäumnisse bei der Ausbildung von Lehrern zu übertünchen. Anstatt sich zu fragen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten jungen Menschen in einer sich rasant verändernden Gesellschaft vermittelt werden sollten, wie das besondere Talent eines jeden Kindes entdeckt und gefördert werden kann und wie man den Schülerinnen und Schülern das allerbeste Rüstzeug für ein Leben mit immer wieder neuen Herausforderungen und Veränderungen auf den Weg geben kann, verzichtet die Staatsregierung auf unerlässliche Qualitätsstandards in unserem Bildungssystem und greift zum denkbar schlechtesten Werkzeug, den Holzhammer.

Mit der fantasielosen Holzhammermethode, die ohne Vorlage eines pädagogischen Gesamtkonzeptes einfach Fächer und Unterrichtsstunden zusammenstreicht, wird Sachsen seinen Platz an der Spitze im Bildungsvergleich der Bundesländer verlieren. Man hätte einem Praktiker wie Frank Haubitz einfach mehr Zeit geben müssen, Schule in Sachsen einmal neu zu denken und grundlegende Reformen anzustoßen.“

Warum so eilig oder Wie wird man wieder Herr seiner Zeit? – Die neue LZ Nr. 52 ist da

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