Sie gelten als eine Art „Qualitäts-Initiative“ Made in Leipzig. Wissenschaftler und Soziologie-Student/-innen der Universität Leipzig um Dr. Stephan Poppe wurden erstmals mit „Durchgezählt“ bekannt, nachdem es extrem überhöhte Zahlen zur Legida-Demonstration am 21. Januar 2020 seitens der Polizei und erste mühsame Gegenbeweise gegeben hatte. 15.000 wollten die Beamten gezählt haben, die L-IZ.de reduzierte mittels Videosichtung auf rund 7.000 und das Institut für Soziologie meldete sich erstmals mit „maximal 5.000 Teilnehmer/-innen“ zu Wort. Nun, bei Querdenken kam das Team um Poppe auf 45.000 Teilnehmer/-innen – den höchsten Wert unter allen Schätzungen.

Teilnehmer/-innenzahlen sind oft ein Politikum, zeigen sie doch auch, wie wichtig oder weniger wichtig Menschen ein Anliegen ist. Und sie können leicht falsch sein oder politisch motivierte Falschangaben darstellen. Das erlebte 2015 die rechtsextreme „Legida“-Versammlung, als ihre Bedeutung von angeblich 15.000 laut Polizei auf ein Drittel mithilfe von Videos, Bildern und Luftbeobachtungen zusammenschmolz.

Seither hat „Durchgezählt“ sich zu einer weitgehend zuverlässigen Alternative und ein Korrektiv zu falschen Behauptungen von Versammlungsanmelder/-innen aber auch der Polizei entwickelt, welche nach dem Supergau am 21. Januar 2015 in Leipzig sogar aufhörte, eigene Teilnehmer/-innenzahlen zu nennen. Noch immer ist so etwas in anderen Städten üblich, die Leipziger/-innen haben ihre unabhängigen Experten, die auch schätzen können. Denn mit den Jahren kennen sie Mengen und Plätze immer besser, den Augustusplatz durch viele Gelegenheiten besonders gut.

„Querdenken“ überfüllt den Augustusplatz in Coronazeiten deutlich

Im Falle von „Querdenken“ haben sie in Zeiten der Corona-Pandemie noch eine weitere Bedeutung bekommen. Mit der Unübersichtlichkeit der Masse, wie beim Reisezirkus „Querdenken 711“ am 7. November 2020, steigt das Infektionsrisiko, falls der Platz nicht reicht, da rund 90 Prozent der Teilnehmer/-innen hier eh keinen Mund-Nasen-Schutz tragen. Und das tat er offenkundig nicht, denn „Durchgezählt“ um Dr. Stephan Poppe ermittelte am vergangenen Samstag eine Mindestzahl von 45.000 Teilnehmer/-innen aus dem gesamten Bundesgebiet bei 16.000 zugelassenen.

Dazu sei man 13 Uhr gestartet, so Poppe und habe dabei „auf dem Augustusplatz insbesondere im zentralen Bereich des Platzes die üblicherweise beobachteten Dichten festgestellt“. Hier galt demnach, die 1,5 Meter Sicherheitsabstand in Corona-Zeiten wurden in der Kernzone des Platzes nicht beachtet. Es befanden sich also eher die sonst bei jeder Kundgebung üblichen 1,2 Personen pro Quadratmeter beieinander.

Eine Zahl, welche man an sich selbst leicht beobachten kann – kommt einem ein Mensch näher als einen halben Meter, betritt er üblicherweise den „Nahbereich“ oder die empfundene Sicherheitszone von etwas unter einer Armlänge. Dies wird bei fremden Menschen eher als unangenehm empfunden, also tariert man mit rund zwei Menschen pro Quadratmeter.

Zudem habe man nach fortlaufender Beobachtung zwischen 15:30 Uhr und 15:45 Uhr aus der „Vogelperspektive“ des Balkons des Gewandhauses von oben eine Flächenschätzung vorgenommen.

Fröhliches Gewimmel im Kernbereich des Augustusplatzes - oft unter einem halben Meter. Foto: L-IZ.de
Fröhliches Gewimmel im Kernbereich des Augustusplatzes – oft unter einem halben Meter. Foto: L-IZ.de

Die Rechnung von Durchgezählt

„Wir haben für den zentralen Bereich der Demo (Augustusplatz plus unmittelbar anschließende Teile der Umgebung, also zum Beispiel der Goethestraße) eine Fläche von 33.710 qm abgeschätzt. Machte 40.452 Menschen.“, ausgehend von den 1,2 Menschen pro Quadratmeter, so Poppe. Weiterhin hätten, „eher weniger dicht geschätzt 0,5 Personen pro Quadratmeter auf gut 10.400 Quadratmetern entlang des Rings östlich des Gewandhauses und Schillerparks“ gestanden. „Macht noch mal 5.200 Personen“. Hinzu kamen die in vielen „Nischen“, also im Schillerpark hinter der Oper und in der Grimmaischen Straße anzutreffenden Demonstrationsteilnehmenden.

Abschließend habe man also „die Entscheidung getroffen eine Mindestzahl von 45000 zu kommunizieren“. Natürlich – ganz Wissenschaftler – liefert Poppe die selbstkritischen, möglichen Fehlerquellen seiner Angaben gleich mit. Die „mögliche Kritikpunkte dabei sind, wir haben die Fläche womöglich zu groß und die Dichten falsch eingeschätzt.“ Oder man habe „substanzielle Ab- und Zuflüsse“ während des Zeitraumes nicht berücksichtigt.

Da dies beim relativ kurzen Zeitraum und der geringen Beweglichkeit der Menge in dieser eher weniger der Fall sein dürfte und Googlebilder vom Augustusplatzkern inklusive der Gebäude ohne Ring rund 38.000 Quadratmeter zeigen, dürfte es sich um relativ valide Einschätzungen handeln.

Damit übertraf der wahrscheinliche „Superspreader-Event“ von Leipzig den bislang größten von Berlin am 29. August mit 38.000 noch einmal um gut 7.000 Teilnehmer/-innen und das mitten in Zeiten extrem steigender Zahlen in den Krankenhäusern.

Fazit zum Desaster der „Querdenken“-Demo in Leipzig: „Pfui, Herr Wöller“

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2015: Warum lügt die Polizei bei den Demonstrantenzahlen?

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