Es war mal wieder die LVZ, die am 18. September mit vorwurfsvollem Ton einen Vorgang thematisierte, der eigentlich zu keinem Skandal taugte. Sie machte trotzdem einen draus: „Ärger an Taro-Schule Leipzig: Lehrer verpflichtete Schüler zur Teilnahme an Klima-Demo“ titelte die Zeitung. Und man durfte sich an lange vergangene Zeiten erinnert fühlen. Auch dem Kreiselternrat Leipzig ging es so.

Im Rahmen eines Projekts seien Schüler der Gerda-Taro-Schule zur Teilnahme an der Demo „Fridays for Future“ am Freitag, dem 15. September, aufgefordert worden. Ein Unding, wenn man dem Artikel glauben darf. Schüler haben doch gefälligst in der Schule zu bleiben. Und Politik habe dort auch nichts zu suchen.

Aber wo sollen Kinder eigentlich Demokratie lernen, wenn nicht in der Schule, fragt sich der Kreiselternrat in einem deutlichen Statement zu dieser Skandalisierung.

„Demokratie kann nur funktionieren, wenn sie erlernt, ausprobiert, gelebt und immer wieder neu erfunden wird. Gemeinsam zu diskutieren, zu beraten und gute Lösungen zu erarbeiten, ist ein Handwerk, welches wir unseren Kindern auch in Schule beibringen müssen, damit unsere Kinder selbstbewusste Persönlichkeiten, mündige Bürger und Unterstützer unserer demokratischen Grundordnung werden.“ So beschreibt der Stadtelternrat einen eigentlich ganz selbstverständlichen Prozess, der auch und gerade in der Schule stattfinden muss.

Verkürzte und falsche Aussagen

„Umso befremdlicher finden wir als KER Leipzig die unsägliche Diskussion, welche medial getrieben und politisch leider auch noch angefeuert wird, über die Situation der Exkursion in der 10ten Klassenstufe der Gerda-Taro-Schule. In den zum großen Teil verkürzten und mit falschen Aussagen versehenen Berichten werden Behauptungen aufgestellt und Urteile gefällt. Das alles ohne mit den Beteiligten vorweg gesprochen, also sauber recherchiert zu haben. Dies ist ein Musterbeispiel dafür, wie demokratischer Diskurs eben nicht funktioniert“, legt der Kreiselternrat den Finger in die Wunde.

Und stellt dann die Ereignisse zusammen, wie sie wirklich passiert sind: „In den 10ten Klassen des Gerda-Taro-Gymnasiums in Leipzig wurde zum Beginn des Schuljahres transparent und offen darüber diskutiert, welche Exkursion am 15.09. jede Klasse machen möchte. Die Schülerinnen und Schüler konnten frei und demokratisch abstimmen und Teile der Schülerinnen und Schüler haben sich mehrheitlich für einen Besuch der Fridays-for-Future Demonstration entschieden.

Die Schülerinnen und Schüler sollten die Demonstration kritisch begleiten und wollten anschließend auch kritisch über ihr Erleben und die gehörten Argumente sprechen. Es wurde zu keiner Zeit verlangt, dass jemand aktiv mit irgendeiner Meinung teilnehmen muss. Insofern ist der Vorwurf der Überwältigung nach dem Beutelsbacher Konsens aus unserer Sicht völlig fehl am Platz.“

Niemand wurde gezwungen

Hinzu käme, dass alle Schülerinnen und Schüler ein klares Angebot hatten, eine alternative Veranstaltung zu besuchen.

„Um es nochmals deutlich zu unterstreichen: Es wurde zu keiner Zeit irgendjemand zu einer bestimmten Meinung/Überzeugung oder Handlung gezwungen oder überwältigt“, betont der Kreiselternrat. „Wir unterstützen es ausdrücklich, wenn an Schule die Kompetenz des sich mündig und fundiert eine eigene Meinung bilden, gefördert und weiterentwickelt wird.“

Und genau das wird im § 1 Abs. 5 des Sächsischen Schulgesetzes auch genau so formuliert.

Nur wird dieser Praragraf allzu selten zitiert, wenn empörte Politiker in Sachsen glauben, in den Schulen Verstöße gegen den Beutelsbacher Konsens ausgemacht zu haben. Den sie dann in der Regel auch falsch interpretieren und eher als Instrument betrachten, jede ernsthafte Beschäftigung mit der Demokratie in den Schulen zu unterbinden.

„An der Gerda-Taro-Schule haben die verantwortlichen Lehrkräfte nicht nur nichts falsch gemacht, sie haben ihren Lehrauftrag erfüllt. So wie man es von Ihnen erwarten darf und muss!“, stellt der Kreiselternrat fest.

„Wir als KER sind von der Heftigkeit der Reaktion überrascht. Wir kritisieren, dass es keine hinreichende Einbeziehung der demokratisch gewählten Interessenvertreter von Schülern und Eltern der Schule gab. Das Aufgreifen unsachlicher Argumente und Narrative durch Medien und schließlich die angedeutete Androhung von Konsequenzen für Lehrerinnen und Lehrer und ebenso für die Schulleitung wirken befremdlich und erwecken den Eindruck, dass eher politische Hintergründe und nicht die sachliche Auseinandersetzung mit der eigentlichen Situation im Vordergrund stehen.“

Und so fordert der KER berechtigterweise „eine nüchterne und sachliche Bewertung der Situation und dass mit den Beteiligten und nicht über die Beteiligten gesprochen wird und dass man sich bei den Betroffenen für die Art und Weise des Umgangs entschuldigt.“

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Es gibt 21 Kommentare

Sie wollen ausdrücken, lieber User “Matthias”, daß ich als, wie Sie formulieren, “Schullaie” leider den Logiken der Schulgesetze, Lehrpläne und Verordnungen hinsichtlich einer Demonstrationsteilnahme im Klassenverbund nicht folgen können kann, obwohl klar sei, daß darin eine Teilnahme an politischen Veranstaltungen gefordert sei, das Erlernen politischer Einflußmöglichkeiten (LVZ) gehöre schließlich zum Unterricht? Und daß eine Teilnahmeverpflichtung eben kein Schritt zu weit sein kann, weil auch das formalgesetzlich abgedeckt sei?

Ich teile Ihre Meinung nicht, ahne allerdings, daß Sie die allerbesten Vorsätze und Vorstellungen haben und bin aber gespannt, was das Sächsische Staatsministerium für Kultus zum betreffenden Fall noch verlauten lassen wird. Daß ich als “rechter Hetzer” angesehen werde, ist nicht erfreulich, gelinde gesagt. Gestern erst traf ich zufällig einen maßgeblichen jüngeren Lokalpolitiker von “Die Linke”, der mich herzlichst begrüßte, dabei kenne ich ihn eher nur flüchtig.

Kastration jedenfalls kann niemand wollen.

Lieber User “Urs”,
Eunuchen sind Leute, die darüber sprechen, ES aber niemals tun.
“Ein Schritt zu weit…” ist eben genau keine Kategorie und zeigt, warum die Diskussion mit Schullaien unbefriedigend ist.
Eine Entschuldigung wie von Hearst gefordert ist sicher angebracht.

Was für eine bösartige Frage, sehr geehrter User “Hearst”!

Und überdies, lieber User “Matthias”, mit dem seltsamen Neologismus “enuchisieren” wollen Sie anscheinend andeuten, daß Schilderungen allein die Schöler nicht erreichen? Ich weiß nicht, ich bin sicher, ich würde Schüler mit Worten und Erinnerungen und Schlußfolgerungen erreichen. Und ich würde Schüler, die etwa am 3.6. im Kessel auf dem Alexis-Schumann-Platz ausharren mußten, zu Wort kommen lassen. Oder auch Schülerinnen und Schüler, die mit “Nazis raus” gleich gegen ein Bouquet an gesellschaftlichen Problem glauben protestieren zu müssen und den jeweiligen Problemkern treffen zu können.

Ein schulischerseits betreutes demonstrieren bei FFF erscheint allenfalls auf den ersten Blick gut, aber geht genau einen Schritt zu weit, und ungut ist einfach jegliche Teilnahmeverpflichtung, und wenn es nur die ist, damit die Schöler nicht ausbüxen.

Ansonsten fällt mir hinsichtlich persönlichen Auftauchens auf öffentlichen Veranstaltungen ein sehr schöner Song von Funny van Dannen ein: “Nana Mouskouri”, unter https://www.funny-van-dannen.de/tabs/clubsongs/02-nana.pdf finden sich Text und die spärliche Harmonisierung.

Das ist nicht meine Definition sondern die von Wikipedia. Ich steige aus nicht mehr mein Niveau

Lieber User Urs,
Sie könnten natürlich auch wohlfeil daherschwätzen, den Verlust von Pluralität, Demokratie und Bildung beklagen, Geschichtchen aus Ihrer Jugend erzählen, über mögliche Handlungsoptionen eunuchisieren etc., dabei bloß nicht den geschützten Raum verlassen, bei Niemandem anecken, ältere Herren mit Hut ungestört lassen und was nicht Alles noch. Das Schulgesetz deckt nicht nur eine Teilnahme an politischen Veranstaltungen, es fordert sie geradezu.
@gerd stefan: Ihre Definition einer Demonstration ist albern. Ich habe selbst Legidademonstrationen besucht, ohne dem “Zweck der gemeinsamen Meinungsäußerung” zu genügen. Gleiches gilt wohl auch für Redakteur*innen dieser Zeitung.

Der Direx sagte gegenüber T-online zur Relativierung des Geschehenen (übrigens fiel ihm erst danach ein, dass er ja erst am Sonnabend davon erfuhr, womit er den Lehrer zum Hauptschulfügen macht), dass man Zehnklässler ja nicht so einfach überrumpeln kann wie Fünfklassler
Dann kann man doch ihnen die freie Entscheidumg überlassen freitags auf dem Ring zu bekunden was sie zum Thema meinen.
Nein man verlegt den Unterricht und macht die Ringtour zur Schulpflicht
Sogar die Eltern wurden überrumpelt indem man sie nachträglich zu der demokratisch von ihren eigen Kindern entschiedenen Sache in Kentniss setzte. Fünf Vorschläge und eine Mehrheitsentscheidung, also was nun relative oder absolute Mehrheit? Das Thema aktive Teilnahme am Ringmarsch zur Abstimmung zu stellen war der Einstieg in die Indoktrination.

Erstmal ist es gut, lieber User “Matthias”, daß Sie mich grundsätzlich richtig verstehen. Man kann aber an einer Demo nicht als nicht-undistanzierter Beteiligter erscheinen (mal abgesehen davon, daß man immer noch schreiend davonrennen könnte). Sie können den Lernort nicht inmitten der Kundgebung verlegen, denn das Vorhandensein der Klasse ist eine unmittelbare Beteiligung.

Nun werden Sie sagen, daß eine unmittelbare Beteiligung ja gerade der Wunsch der Majorität der betreffenden 10. Klasse gewesen sei. Und daß vielleicht viele in der Klasse eine Demo als solche nur vom Hörensagen kennten, und daß man nun quasi das Klassenzimmer auf den Augustusplatz verlegte. Und weil die Schülerinnen und Schüler ja ziemliche Schlingel seien, könnte der Lehrer gar nicht anders, als die, die eingewilligt hätten, mit der Klasse hinzugehen, auch auf eine formale Beteiligungspflicht zu ermahnen, nicht daß sich welche abseilen. Und genau hier ist der springende Punkt, wo Ihre Sicht nicht aufgeht, wo man also die Schulpflicht nicht in den Rahmen einer Demo bringen kann: eine Demonstration, ich versuche mich hier als Etymologe, eine Bekundung (Bezeigung kommt etwas irreführend an). D.h. Man bekundet per Beteiligung.

Sie könnten stattdessen aber der Klasse berichten, wie es auf politischen Demos zuging, die Sie selbst besucht haben, können die Reden schildern, die Stände beschreiben, die Reaktion der Menge darstellen. Und können gucken, wie die Klasse selbst guckt, also Ihre Meinung quasi prüfen, und ob und wie denen hier und da ein Licht aufgeht, oder auch nicht. Sie können zudem versuchen, anhand der Äußerungen wiederum der jungen Leute sich besser in die reinzuversetzen, etwa wenn jemand die Meinung hätte, es müßten schnellstens alle Fahrzeuge elektrifiziert werden. Und Sie könnten, halten Sie sich fest, mal mit denen z.B. in eine freie Autowerkstatt gehen, vielleicht in die des großartigen Dieter Ziegener im Poetenweg, um dort mal zu gucken, was angewandte Nachhaltigkeit ist, wenn der Mann mit seinen Leuten noch jedes schonend verwandte Auto bei einem rüstigten Leben erhält und ressourcenschonend Einzelteile anstelle von Gesamtkomponenten austauscht. Und mal die Schadstoff- und Kohlendioxidthematik beleuchten, und die sog. Elektromobilität, und einiges mehr.

Sie vermuten Indoktrination? Ich bitte Sie! Oder Sie gehen auf einen Wertstoffhof, und fragen dem Personal Löcher in den Bauch, was mit Sachen passiert, etwa mit dem Holz, und wieso das Personal oft genug den Leuten einredet, sie mögen doch alles lieber gleich in den Sperrmüll geben? Oder was mit dem Restmüll passiert?

Tja, alles nur so Ideen. Und zu guter Letzt: kann man den Schülern einer 10. Klasse wirklich nicht zutrauen, daß sie in Ihrer Freizeit selbständig auf die FFF-Demo gehen? Oder anders gefragt: ist das politische Interesse derart unterentwickelt, daß es Gouvernanten bedarf, mit denen Gymnasiasten der 10. Klasse sich aktiv politisch interessieren? Wenn ja, wieso?

Zum Zweck des Kennenlernen demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten Reihe ich mich in eine Demonstration (eine in der Öffentlichkeit stattfindende Versammlung mehrerer Personen zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsäußerung) ein. Wann gibt’s denn mal wieder NPD- oder Pegidademos? Ich frage nur aus wissenschaftlichen Gründen, ich will ja was dazulernen?

Urs, offenkundig verwechseln Sie Demonstrationen mit Gottesdiensten. Erstere haben nun klar keinen Bekenntnischarakter. Sie ermöglichen jedoch das Kennenlernen funktionaler Elemente der Demokratie, die sich nun nicht ausschließlich in Wahlen und Parlament manifestiert. Sie denken also einfach zu eng, zu kurz! Stellen Sie sich die Demo einfach als Lernort vor! Der Unterricht ist also an einen solchen verlagert worden.

Mir fehlt schon mehr als ein bisschen Fantasie aus dem zitierten Gesetzestext einen unterstützenden Zusammenhang mit dem Geschehen am Freitag herzustellen. Warten wir doch einfach Mal ab was alsbald das Kultusministerium zum Vorfall berichten wird. Ob der Klassenlehrer alleine gehandelt hat wird dabei auch geklärt werden. Bisher hat sich ja aus der Schule nur die Schulleitung zum Unterricht auf dem Ring geäußert.

Ich würde schon drum bitten, sehr geehrter User “Matthias”, daß Sie noch die Lehrpläne zitieren, damit ich die Passage auch finde, in der vorkommt, daß es angezeigt ist, im Klassenverbund auf politische Demos, die inhärenten Bekenntnischarakter haben, zu gehen. Nichts, was Sie aus dem Gesetz zitieren, zuwiderläuft meiner Auffassung.

Vollzitat: Sächsisches Schulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. September 2018 (SächsGVBl. S. 648), das zuletzt durch Artikel 8 Absatz 8 des Gesetzes vom 6. Juli 2023 (SächsGVBl. S. 467) geändert worden ist:
(1) 1Die Schule unterrichtet und erzieht junge Menschen auf der Grundlage des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaates Sachsen. 2Eltern und Schule wirken bei der Verwirklichung des Erziehungs- und Bildungsauftrags partnerschaftlich zusammen.
(2) Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule (…).
(…)
(5) Die Schüler sollen insbesondere lernen, (…)
3. eigene Meinungen zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen, diese zu vertreten und den Meinungen und Entscheidungen anderer Verständnis und Achtung entgegenzubringen, (…)
(…)
(10) In Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags pflegt die Schule eine gute Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Institutionen und gesellschaftlichen Partnern. (…)

Ich könnte noch aus einzelnen Lehrplänen zitieren, aber die Rechtslage ist eineindeutig. Wer die Aktion der Kolleginnen der Taro-Schule in Frage stellt, hat schlicht und einfach (kein Helvetismus) keine Ahnung!

Dem Kommentar von Uri wäre noch anzufügen, dass die Schule die sog. Mehrheitsentscheidung für die Demo, mit welcher schulischen Erwartungshaltung diese auch zustande kam, den Eltern vorgelegt hat und in Kombination mit der Schulpflicht diesen quasi ihre Erziehung- und Verantwortungsrecht genommen hat. So eine, heimtückisch mag man sogar sagen, Strategie lässt mich historisch erschaudern. Zumindest war das ganze fahrlässig ,erst Recht wenn man die entsprechenden Vorgaben und Erlässe des vorgesetzten Ministeriums kennt.

Ich verstehe auch nach einigem Überlegen nicht, lieber Autor, wieso Sie in Ihrer Berichterstattung über die Reaktion des Stadt- und Kreiselternrats KER noch nebenher auf den wackeren Mark Daniel von der LVZ draufhauen, der drei- oder viermal auf die Angelegenheit in der LVZ Bezug nahm. Denn der lehnt das Gebahren der Verantwortlichen in der Gerda-Taro-Schule ja gar nicht ab: https://www.lvz.de/lokales/leipzig/leipzig-ist-es-richtig-schueler-im-rahmen-des-unterrichts-zur-demo-zu-schicken-2MW2HLO3IBDHNFH53VH7WW2B2M.html

Ob es nun ein Skandal war/ist, oder nicht, lieber Autor, daß im Rahmen des “Klimastreik”-Tags 15.9.23 in einer 10. Klasse einen “Projekttag Nachhaltigkeit” durchgeführt wird, innerhalb dessen verpflichtend an einer politischen Demonstration von “Fridays-for-Future” (FFF) teilgenommen zu werden hat, ist ganz gleichgültig. Wenn man schulischerseits auf die Idee kommt, im Rahmen einer schulischen Pflichtveranstaltung u.a. auf eine politische Demonstration gehen zu wollen, hat man deren Wesen nicht verstanden. Etwas ganz anderes wäre es, etwa ein Parlament aufzusuchen und von der Besuchertribüne dem Geschehen zu folgen, um sich etwa mit der Legislative zu befassen. Eine Demonstration im Klassenverbund zu besuchen, damit, wie der KER schreibt “unsere Kinder selbstbewusste Persönlichkeiten, mündige Bürger und Unterstützer unserer demokratischen Grundordnung werden”, widerspricht aber erheblich dem Anliegen derselben, da die Beteiligung ein Bekenntnis ist, und zwar immer, und auch egal, ob es eine Mehrheitsmeinung in der Klasse oder, wie in den Raum gestellt ist, oder individuell eine ganz andere Gestaltung des “Projekttags Nachhaltigkeit” auswählbar gewesen ist. Man kann eine Demo und deren Kundgebung auch nicht wirklich als Zaungast aufsuchen, und die Tarnkappe als solche ist weiterhin nicht erfunden. Ein fiktiver Modus “betreutes Demonstrieren” ist grotesk, und in etwa hat der KER aber so eine Vorstellung, wenn es heißt “Die Schülerinnen und Schüler sollten die Demonstration kritisch begleiten und wollten anschließend auch kritisch über ihr Erleben und die gehörten Argumente sprechen.” Eine Demonstration kritisch begleiten? Wo bin ich? Man identifiziert sich durch ein Einreihen in die Menschenmenge mit dem Anliegen der Demonstration oder Kundgebung.

Und schon mal was von Gruppendynamik gehört? Das ist, wenn Kräfte in einer Gruppe derart wirken, daß sie jeden einzelnen nicht unbeeinflußt lassen. Das ist nichts Schlimmes, im Grunde sogar was Gutes, ein Großteil des Lernens im Klassenverbund beruht darauf, aber bei einer politischen Demonstration wollen wir bitte den Sprung über die Grenze, wo eine Gruppendynamik zum Gruppenzwang übergeht, alle nicht erleben.

Ob nun die Lehrperson (ein Helvetismus) in einer latenten Angst, daß Teile der Klasse trotz einer Bekundung, die FFF-Demo aufsuchen zu wollen, aber realiter spontan stattdessen etwa im Café Grundmann abzuhängen, den Satz “Die Teilnahme an der Veranstaltung sowie der Vor- und Nachbereitung sind aber verpflichtend.” getippt hat, ist egal. Er geht unter keinen Umständen.

Ach hätte doch die Schule den genannten Projekttag auf irgendeinen anderen Tag gelegt! Die “Schöler” (Feuerzangenbowle) hätten am Nachmittag des betreffenden Freitags vermutlich bedenkenlos individuell die FFF-Demo aufsuchen können, lustige Plakate malen und hochhalten können, und so weiter. Die Gerda-Taro-Schule, die damit übrigens, das fällt mir eben noch auf, ihrer Namensgeberin keine Ehre macht, hat – wenigstens für die betreffende Klasse – die irrige Ansicht entwickelt, daß man im Einklang mit der Stundentafel politisch demonstrieren kann. Daß nun auch der KER, von dessen Vorstandsmitgliedern nur einer aus dem Arbeitskreis Grundschulen persönlich bekannt ist, im §1 des Sächs. Schulgesetzes einen Passus gefunden zu haben glauben, das mißglückte Vorgehen rechtfertigt, läßt mich am Verstand im KER zweifeln.

Daß die Version des kursierenden Schreibens des Lehrers unkenntlich gemachte Passagen enthalten hat, und daß dahinter eine Art Intrige von wem auch immer stecken könnte, ändert nichts daran, daß politische Bildung in der Weise, wie in der Telemannstraße praktiziert, nicht geht. Und daß die LVZ sich schlagartig des Themas angenommen hat und vorerst nur mit dem Schulleiter Uwe Schmidt gesprochen hatte, der anscheinend vom konkreten Fall zuvor nichts wußte, ist wirklich ein Problem, vielleicht sogar das Hauptproblem? Nö, denn die LVZ hat tatsächlich mehrfach, sozusagen inkrementell berichtet, und am Schluß fand Mark Daniel, daß alles in Ordnung wäre – was halt nicht stimmt.

Zum Schluß: ich war am 1. Mai in Basel auf einer Demonstration der Gewerkschaften, der von der Polizei eine Falle gestellt worden war. Ich stand stundenlang vor einer Polizeikette, fast jeder Polizist hatte ein Gummigeschoßgewehr im Anschlag, und als plötzlich ein Mann direkt neben mir auftauchte, der anscheinend einen Polizisten persönlich erkannt hatte und den mit “Du Sauhund!” beschimpfte, hat der beschimpfte Polizist um ein Haar sein Gewehr durchgeladen und gefeuert – auf drei Meter Abstand. Ich konnte mit einem ruhigen Satz den Polizisten besänftigen. Politische Demonstrationen sind kein Zoobesuch.

Sich im Rahmen eines Demokratieprojektes die Demo von außen anzusehen und dann unter Moderation der Schule darüber zu diskutieren ist sicherlich zulässig. Was nicht geht in der Demo mitzutrottem und sich gezwungenermaßen den Meinungsblock zu eigen machen müssen. Alle Relativierungen von wegen praxisnaher Unterricht beim Mitmarschieren ist Indoktrination nichts anderes.

Sie finden, sehr geehrter User “Michael Freitag”, daß der Autor oben auf, wie Sie sich ausdrücken, “Info” aus ist? Da fällt mir der 15 Jahre alte Text “Geiz an Gedanken” https://www.jungewelt.de/artikel/109712.geiz-an-gedanken.html (später als “Mit Mayo rutscht die Info besser” erschienen) von Wiglaf Droste ein, in dem der Kernsatz lautet “Info ist der schabbelige Rest von Information”. Der Anfang des Textes geht so:

“Es gibt Abkürzungen, die so schmerzen wie eine Amputation am lebenden Wort ohne Narkose. Wenn aus einer Information eine ‘Info’ wird, bekommt man es mit Geiz zu tun, mit Geiz an Gedanken. Wer Sachverhalte zu kniepigen ‘Infos’ verknappt, muß diese zum Ausgleich dann tüchtig auswalzen und nennt das ‘Kommunikation’, denn wer nichts wird, wird Kommunika­tionswirt. Wenn er ausgelernt hat, kann er fließend kommunizieren, ohne dabei von der geringsten Sinnbeimengung gestört zu werden und sagt also: ‘Diese Info muß kommuniziert werden.’ Kommu, die kleine Nikation, ist schließlich die mediale Info, und das ist logo; logo kommt aber nicht von Logik, sondern von Logorrhöe.”

@Urs, das ist doch was für Sie. Mich würde interessieren, wie Sie Ihre Kommentare unter dem Artikel “Klimastreik droht Kapitalismus: Liveticker zu den Demonstrationen von „Fridays for Future“ in Leipzig” jetzt bewerten.

Wenn die Aufmerksamkeitsspanne nur für eine Überschrift reicht.
Es ist immer genug für irgendwas bei den Blaubraunen oder einem Job im sächsischen SMK.

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