Mit Beginn des Herbstes kommen auch die Veranstaltungen bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in Gang. Dieser Herbst begann mit der „Woche der Freiheit“ und die erste Veranstaltung war eine Podiumsdiskussion zum Thema „… darf man das? – Über die Grenzen der Freiheit sowie verletzte Gefühle in Kabarett und Politik“.

Wer jetzt dachte: Das kenne ich doch, das gab es doch schon, der hatte selbstverständlich recht. Bereits im letzten Jahr gab es, im Leipziger Kupfersaal, eine Veranstaltung zu diesem Thema.

Bei der 2024er-Veranstaltung diskutierten Prof. Dr. Frank Zöller und Katrin Köppert unter dem Thema „Muss man das?“ über das Banner des indonesischen Künstlerkollektivs „ruangrupa“ auf der Documenta. Im zweiten Teil ging es mit Prof. Dr. Dirk Oschmann und Prof. Dr. Daniel Fulda, unter der Frage „Soll man das?“, hauptsächlich um die Frage „Ist Zuspitzung ein legitimes Stilmittel in der Literatur?“. Der Abend wurde damals durch den Auftritt des Duos „Weltkritik deluxe“ abgerundet, die fragten „Darf man so Satire machen?“.

Gleiches Thema, anders behandelt

An dieser Stelle muss gesagt werden, dass man eine 90-minütige Veranstaltung nicht in einem Artikel vollständig darstellen kann. Der Autor konzentriert sich auf einige, ihm wesentlich erscheinende, Punkte.

Die gesamte Veranstaltung können Sie sich hier anschauen.

Bereit in den Einführungs-Statements wurde klar, dass es in diesem Jahr um eine andere Seite des Themas gehen sollte. Phillipp Schaller, vielen als Autor und Ensemblemitglied der Herkuleskeule bekannt, fasste das zusammen:

„Wir haben uns ja im Gespräch vorher unterhalten, was interessiert uns eigentlich wirklich, worüber wollen wir sprechen und wir sind darauf gekommen, dass wir zwei Begriffe, nämlich Empfindlichkeit, warum sind wir alle so empfindlich geworden, alle sagen das irgendwie, alle haben den Eindruck: Mensch, die Menschen sind so empfindlich geworden, man kann sich nicht mehr die Meinung sagen. Niemand hält was aus und der zweite Begriff ist damit auch schon gesetzt, nämlich aushalten.“

Darum ging es dann auch wirklich und es gab interessante Aspekte.

Frank Richter, Politiker und Theologe, legte vor:

„Ich glaube, man darf in diesem Land fast alles sagen. Man muss keine Rücksicht nehmen auf die Gefühle anderer, obwohl man es besser tun sollte. Man kann als Bundeskanzler Unsinn reden und die Gefühle anderer verletzen. Es gibt keine Strafe dafür, wenn ich mal ganz schnell in die Aktualität reingehen darf. […]

Heute, darf ich eigentlich alles sagen, ich darf alles senden, ich darf alles per SMS, per Whatsapp, da gibt es also wenige Grenzen, es gibt Grenzen, auf die kommen wir vielleicht noch zu sprechen, aber ganz wenige Grenzen. Manchmal habe ich den Eindruck, das macht auch eine gewisse Verblödung aus. Weil jeder sozusagen alles rausposaunen kann, was ihm gerade so einfällt, ohne dass sofort widersprochen wird.“

Ostdeutsche Befindlichkeiten

Hier lieferte Phillipp Schaller eine interessante Betrachtung.

„Warum sind im Osten die Menschen auch oft so tendenziell empfindlich? Könnte es damit zusammenhängen, dass sie die Erfahrung gemacht haben, dass mit der berechtigten, unberechtigten, wie auch immer Kritik, immer eine Unterstellung verbunden ist? Das ist mir aufgefallen, als im Spiegel ein großer Artikel war.

Da ging es um die Landtagswahlen im Westen, wo die AfD ja an Stimmen gewonnen hat, und da wurde über Hagen und Duisburg gesprochen und über die dort vorhandenen Elendsviertel mit Schrottimmobilien, die teuer verkauft werden von Verbrechern an Sinti und Roma, an Bulgaren und Rumänen, die im Zuge des Freizügigkeit-Abkommens nach Deutschland kommen. Die einen 600 Euro Job antreten und Sozialleistungen bekommen, mit den damit für das Viertel verbundenen Problemen, die dazu führen, dass der AfD-Anteil dort steigt.

Mir fiel auf, dass dieser Artikel die Probleme beschreibt, analysiert, ohne ein einziges Wort: Die in Hagen haben, wohl die Demokratie noch nicht verstanden, es muss wohl dieses rechte Denken sein, es muss die Deformation sein von 40 Jahren Bundesrepublik.

Ohne ein Wort der Unterstellung, es wurde analysiert und das kann man teilen oder nicht, darüber kann man nachdenken, darüber kann man ins Gespräch kommen und mich hat das empört. Ich finde es richtig, dass es so gemacht wird, aber derselbe Artikel über Meißen oder Senftenberg wäre so nicht denkbar ohne diese Unterstellung.“

Darüber sollten auch wir als Journalisten nachdenken.

Vom Zuhören und diskutieren

Bereits in seinem Eingangsstatement hob Frank Richter die „Leipziger Disputation“ von 1519, zwischen Martin Luther, Johannes Eck und Andreas Bodenstein (Karlstadt), als Highlight der Diskussionskultur um die Reformationszeit hervor. In der Antwort auf eine Zuschauerfrage präzisierte er dann nochmals, was so besonders an diesen scholastischen Diskussionen war:

„Ich glaube ein paar Regeln kann ich schon sagen. Erstens, die Kontrahenten haben gleiche Redezeit. Das heißt, sie haben die gleiche Zeit ihre Thesen zu entfalten. Zweitens, der jeweilige Gegendisputant oder Mitdisputant ist verpflichtet, das, was er von der Vorrede, also von der Rede des anderen Disputanten verstanden hat, zu spiegeln.

Das heißt: Ich habe jetzt von Ihnen das und das gehört, ich habe das so und so verstanden. Sie wissen ja, gesagt ist noch nicht gehört, gehört ist noch nicht verstanden, verstanden ist noch nicht einverstanden, einverstanden ist noch nicht überzeugt. Das braucht ja Zeit, was ich sage, das braucht Zeit, dass es bei ihm ankommt. Und dann muss ich kontrollieren, ob es bei ihm richtig angekommen ist. Und er spiegelt mir das. Dann haben wir eine gemeinsame Basis.“

Hören wir noch zu?

Wie wichtig diese „Zuhören – Verstehen – Antworten“ ist, zeigte sich dann auch in der Diskussion mit den Zuhörenden.

Im Laufe des Gesprächs sagte Phillipp Schaller: „Gestern hat einer in der Vorstellung reingerufen, es war sehr mutig: ‚Faschisten bleiben Faschisten und mit Faschisten redet man nicht.‘ Und da hake ich ein und frage: Moment, das klingt so gut, mit Faschisten redet man nicht, warum redet man nicht mit Menschen, die die AfD wählen?“

Frank Richter erwidert: „Also Faschisten bleiben Faschisten, dieser Satz ist schlicht zu bestreiten. Keiner ist als Faschist geboren und keiner muss als Faschist sterben, entschuldige, aber das ist ja gerade die Quintessenz, wenn wir uns verständigen, dann tun wir das ja auch mit der Überzeugung, dass wir vielleicht doch den einen oder anderen ein Stückchen bewegen können, vielleicht im Blick auf die eigene Position.“

Etwas später sagt Frank Richter: „Die Tatsache, dass wir in Sachsen keinen Bildungsurlaub haben für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ist einer der Problempunkte, im Unterschied zu anderen Bundesländern. Politische Bildung, um die steht es nicht besonders gut. Aber da geht es nicht nur um die politische Bildung, da geht es um die Bildungsdimension, die im Vorfeld diesbezüglich relevant ist. Das ist die ethische Bildung, die musische Bildung, die kulturelle Bildung, also all das, was für eine offene, demokratische Gesellschaft eigentlich notwendig ist.“

Ein Diskutant hat die kritischen Anmerkungen: „Anmerkung Nummer eins. Bildungsurlaub ist in Sachsen. Also in meiner ganzen Berufsgruppe müssen in jedem Vertrag fünf Tage Bildungsurlaub dem Arbeitnehmer zugeordnet werden müssen. Zweitens, der Satz von Ihnen, Faschisten sind Faschisten und bleiben. Das ist aus meiner Sicht populistisch. Wenn wir den Satz so gelten lassen würden, dann würde das gegen das Prinzip jeglicher Resozialisierung stehen.“

„Der Satz von Ihnen“ – es ist fatal. Ja, beide haben diesen Satz gesagt, allerdings um nicht zuzustimmen. Hat der Diskutant zugehört und verstanden? Zum Bildungsurlaub sei gesagt, dass der Diskutant einer Berufsgruppe angehört, die fünf Tage „Weiterbildungs-Urlaub“ jährlich hat.

Fazit: Empfindlichkeiten und Aushalten können, das Thema der Podiumsdiskussion war wichtig und gut behandelt. Allerdings stellt sich für mich die grundlegende Frage nach dem gegenseitigen Verstehen – auch ohne gegenseitige Zustimmung – in unserer Diskussionskultur immer dringender.

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