Alle Jahre wieder gibt es in Leipzig nicht nur Buchmesse und Lesefest. Auch die Leipziger Stadtbibliothek meldet sich zu Wort und erinnert daran, dass Lesen ein Gemeinschaftserlebnis ist und eine Wissensgesellschaft gut daran tut, ihre Bürger mit Wissensmedien zu versorgen - nicht nur Büchern. Und der Neustart von 2012 macht sich auch in den Zahlen von 2015 bemerkbar.

2012 wurde das Haus der Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz nach aufwendiger Sanierung und modernem Umbau neu eröffnet. Das war schon seit über zehn Jahren überfällig. Und man vergisst ja sehr schnell, dass Leipzig über zehn Jahre lang ein umfassendes Konsolidierungsprogramm in seinem Haushalt fahren musste – Stellen mussten gestrichen werden, Investitionen kamen überhaupt nicht zustande. Und auch die Leipziger Stadtbibliothek fuhr auf Verschleiß. Der Ankaufsetat war so niedrig, dass an einen Erhalt der Breite an verfügbaren aktuellen Medien nicht einmal mehr zu denken war.

Nur zur Erinnerung: 2006 drohte das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege sogar mit einer Schließung des einst als Grassi-Museum gebauten Gebäudes, in dem die Stadtbibliothek seit 1991 zu Hause ist.

Man riskierte tatsächlich das Überleben und die Akzeptanz der von den Leipzigern eigentlich geschätzten Einrichtung. Und so beschloss der Stadtrat dann trotzdem ein Papier mit dem trockenen Titel „Bibliotheksentwicklungskonzept“ (BEK), das neben der Komplettsanierung des 1892 / 1895 erbauten Hauses für 15 Millionen Euro auch die Einführung eines Online-Registriersystems, eines Online-Informationsdienstes und einer Neustrukturierung des Netzes der Stadtteilbibliotheken enthielt.

Das ist nicht alles im ersten Gültigkeitszeitraum des BEK von 2012 bis 2015 umgesetzt worden. Immerhin steckte auch die Sanierung der Stadtteilbibliothek Plagwitz mit drin (die läuft derzeit und soll zum Jahresende beendet sein) und die Zusammenlegung der drei Grünauer Bibliotheken in einem neuen Grünauer Bildungszentrum – aber bei Letzterem ist man noch mitten in der Findungsphase.

Aber das, was ab 2012 für die Leipziger spürbar umgesetzt wurde, trägt Früchte.

Darüber berichteten am Freitag, 19. Februar, Susanne Metz, Direktorin der Leipziger Städtischen Bibliotheken, und Kulturbürgermeister Michael Faber. Und sie freuten sich über die Zahlen: Die Zahl der Entleihungen stieg von 4,7 Millionen auf 4,9 Millionen, die Zahl der Besuche in den Bibliotheken stieg leicht von 1,076 auf 1,097 Millionen. Online ging geradezu die Post ab, stiegen die Zahlen von 2,98 Millionen auf 3,74 Millionen. Zeichen dafür, dass nicht nur der Katalog und die Informationsangebote fleißig genutzt werden, sondern auch die Nachfrage nach eBooks deutlich gestiegen ist.

Eigentlich haben diverse Experten schon den Abgesang der Biblotheken und ihrer Buchbestände aus Papier verkündet. In einigen Stadtbibliotheken deutscher Großstädte scheint die Entwicklung tatsächlich da hinzugehen. „Aber Leipzig hat sich da völlig gegen den Trend entwickelt“, sagt Susanne Metz. „Die Leipziger bevorzugen augenscheinlich weiterhin das haptisch greifbare Buch.“

Dass es so ist, kann durchaus auch damit zu tun haben, dass es bei elektronischen Büchern einen harten Kampf um Lizenzen gibt. „Anders als bei richtigen Büchern besitzen wir die eBooks nicht, sondern können immer nur Lizenzen erwerben“, sagt die Amtsleiterin. Oft gelten diese Lizenzen nicht nur für einen bestimmten Zeitraum, sondern sind auch auf eine bestimmte Zahl von Ausleihen begrenzt. „Wenn die Frist abgelaufen ist, müssen wir die eBooks auch richtig aus unserem Bestand nehmen“, sagt Metz.

Mit so einem Gehabe werden es die Anbieter von eBooks natürlich nie schaffen, ihre Bücher zum Grundbestand städtischer Bibliotheken zu machen. Leipzigs Stadtbibliothek hat zwar im vergangenen Jahr deutlich mehr Geld ausgegeben, um Lizenzen für eBooks zu erwerben. Aber die Engpässe bleiben trotzdem. Auf manches eBook liegen schon Voranmeldungen für ein Jahr im Voraus vor.

Es gibt auch einige gedruckte Titel, bei denen es Anmeldelisten für ein halbes Jahr gibt. Aber das sind in der Regel stark nachgefragte Bestseller. Und die Bücher verschwinden nicht so schnell wieder aus dem Bestand, auch wenn die Bücher bei starker Ausleihe natürlich verschleißen.

Deswegen muss eine Stadtbibliothek ihren Bestand regelmäßig erneuern. Denn wenn die Bücher alt, zerlesen oder gar unaktuell sind, dann kommt natürlich auch kein Lesepublikum mehr.

„Deswegen sind wir froh, dass wir es geschafft haben, mittlerweile wieder zehn Prozent des Bestandes im Jahr erneuern zu können“, sagt Metz.

Das wurde erst möglich, weil der Stadtrat mit dem neuen Bibliothekskonzept auch den Ankaufetat endlich erhöht hat, von nicht einmal 500.000 Euro auf 858.700 Euro im Jahr 2014 und 2015 dann 908.700 Euro. Das reicht freilich nicht, die großen Löcher zu stopfen, die in der Zeit vor 2012 aufgerissen sind, als das Geld schlicht nie reichte, um eine Erneuerungsrate von 10 Prozent zu schaffen.

Rein rechnerisch, so Susanne Metz, braucht eine gut ausgestattete Stadtbibliothek in einer Großstadt im Schnitt 2 Medien pro Einwohner im Bestand, um die Ausleihe der gefragten Titel ohne Stocken gewährleisten zu können. Tatsächlich verzeichnete die Stadtibliothek 2015 nur noch 753.051 gelistete Medien – über 14.000 weniger als 2014. Hier macht sich nach wie vor die Ankaufzurückhaltung der vergangenen Jahre bemerkbar: Was seitdem verschlissen ist (materiell oder inhaltlich), muss ausgelistet werden.

„Und dazu kommt“, so Susanne Metz, „dass mit steigender Einwohnerzahl und damit steigenden Nutzerzahlen auch der Nutzungsdruck für die verbliebenen Medien wieder steigt.“

Sie sagt es gleichzeitig mit Bedauern und mit Freude. Denn dass das sanierte Haus von den Leipzigern so gut angenommen wird, freut sie natürlich. Eine Abteilung hat sich seit 2012 sogar eindeutig als zu klein geplant erwiesen: die Abteilung für Kinder- und Jugendbücher. „Die wird von den jungen Familien so intensiv angenommen, dass wir die Fläche jetzt verdoppeln mussten“, sagt Metz. Mit kleinem, aber professionellem Staunen für die Leipziger Eltern, die augenscheinlich viel Wert darauf legen, dass ihre Kinder frühzeitig mit richtigen Büchern in Kontakt kommen, die man auch in die Hand nehmen kann.

Keine guten Nachrichten fürs eBook. Aber gute Nachrichten fürs gute alte Buch aus Papier und Pappe.

Und an anderer Stelle wurde das Angebot ebenfalls erweitert: Die Stadtteilbibliothek Gohlis hat schon Anfang 2015 ihre täglichen Öffnungszeiten von 18 Uhr auf 19 Uhr verlängert, nimmt damit deutlich Rücksicht auf all jene Nutzer, die erst nach spätem Feierabend in die Bibliothek kommen können. Das Ergebnis: Die Besucherzahlen wurden um 16 Prozent gesteigert, die Entleihungen um 6 Prozent. Ähnliche Ergebnisse deuten sich auch in der großen Hauptbibliothek an, wo die Samstagsöffnungszeiten erweitert wurden. „Wenn ich mir was wünschen könnte“, so Metz, „würden wir bis 20 Uhr öffnen.“

Aber mit dem bis 2012 auf Kante gesparten Personal ist das nicht zu machen. Auch die jetzt erweiterten Öffnungszeiten wurden vor allem mit Umplanungen in den Arbeitszeiten der vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschafft. Das hat jetzt eine Grenze erreicht. Mehr geht nicht.

„In den nächsten Jahren geht es durchaus darum, den Personalbestand wieder zu erhöhen“, sagt deshalb Bürgermeister Faber.

Und wo ordnet sich Leipzig nun unter den großen Stadtbibliotheken ein?

„Eigentlich auf Augenhöhe mit anderen“, betont Faber. Eigentlich fällt nur München immer wieder als unerreichbares Vorbild. „Aber die haben auch einen ganz anderen Etat“, sagt Faber. „Damit können wir nicht mithalten.“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder