LeserclubWer an diesem Nachmittag etwas aufmerksamer auf große schwarze Limousinen geachtet hätte, hätte das Fahrzeug mit seinen polierten Chromleisten sicher auch in der Nähe des Herrmannkais entdecken können, fast im Schritttempo schwebend, während drinnen zwei Herren aufmerksam die schmucküberladenen Fassaden beäugten und die flatternden Absperrbänder der Justiz.

Da und dort auch noch einen übereifrigen Gassigänger mit einem genervten Hund an der Leine, der eigentlich nur eine Runde ums Haus bestellt hatte und nun schon das vierte oder fünfte Mal an dem Haus mit den strengen griechischen Vasenträgerinnen vorbei musste, während Herrchen eifrig fotografierte und sich dann scheu umschaute, als täte er etwas Unanständiges.

Wenn Menschen wirklich unanständige Dinge tun, schauen sie sich nicht so auffällig um, dass es jeder merkt. Das wussten Oleg und Oleg aus ihren diversen Arbeitsverhältnissen nur zu gut. Und Herr L. eigentlich auch, auch wenn er eigentlich nichts Neues sah. Hier war er auch schon vor 20 Jahren entlang gestreunt, ziemlich ratlos, weil er einfach nicht wusste, wessen Anwalt der berühmte Herr M. alias das Mammut eigentlich war und warum er die Redaktion mit Abmahnungen und Geldforderungen überschüttete und eine Richtigstellung verlangte, die – würde sie nicht erscheinen – die Auftragsstornierungen zweier großer Immobilienfirmen nach sich ziehen würde.

Damals waren die Herren Juristen noch nicht so brachial darauf versessen, die misstrauisch beäugte Presse auch vor Gericht zerren zu wollen. Das war erst später gekommen, erinnert sich Herr L. beim sanften Geschaukeltwerden über ein Straßenpflaster, das auch schon einen Platz im Museum verdient hatte. Dabei war es damals irgendwie um einen fast unscheinbaren höheren Mitarbeiter aus der städtischen Verwaltung gegangen, dem es gelungen war, nicht nur eine verblüffend geschwinde Karriere im Rathaus zu machen, sondern nebenbei auch noch ein paar lukrative Posten in diversen lukrativen Firmen zu bekommen, die wie Pilze aus dem Boden schossen und in jüngst erst luxussanierte Gebäude an Adressen zogen, die über Nacht wieder so teuer geworden waren wie ein Jahrhundert zuvor.

„Sollen wir chalten chier und dicken Maxe machen?“, fragte Oleg.

„Ich kann auch rübergehn und klingeln und bisschen streng gucken“, schlug der andere Oleg vor.

„Das wird nichts bringen“, sagte L. „Der Vogel ist ausgeflogen.“

„Wocher willst du das wissen? Diese Typen kriechen unter Sofa, wenn Polente klingelt.“

„War nicht die Polente. War der Staatsanwalt.“

„Ist das was anderes?“

„Müsstest du eigentlich wissen. Ist in Russland genauso. Mit Polizisten kannst du reden, mit Anzugträgern nicht.“

„Kann ich aber anrufe gute Freunde.“

„Dann mach mal.“

„Gute Freunde in Petersburg.“

„Sag ich doch.“

„Wir könnten auch von chintenrum, weißt du?“

„Ich weiß. Aber guck nur nach rechts.“

„Mhm“, sagte Oleg und schaute nach rechts. Und von rechts schaute ihm ein bulliger Kerl aus einem geparkten schwarzen Auto entgegen. Natürlich mit Sonnenbrille auf der Nase.

„Und nun nach links.“

Und auch da schaute ihnen ein bulliger Bursche mit Sonnenbrille aus einem schwarzen Auto entgegen.

„Sind aber teure Schlitten“, sagte der andere Oleg.

„Sind eben ein reiches Land.“

„Sehen aber nicht wie Bullen aus.“

„Sind auch die anderen.“

„Män in Bläck?“

„Genau die. Ich würde jetzt lieber etwas schneller fahren.“

Und der „Tschaika“ schnurzte noch an zwei schwarzen Limousinen mit strengen Burschen im Coupé vorbei. Nur kurz gab L. dem Drang nach, auszusteigen und die Burschen in ihren Limousinen zu fragen, was sie hier machten, ob sie auch einen Knopf-im-Ohr-Träger dabei hatten, der ihm dann amtlich geben würde, dass die eingesetzte Behörde während eines laufenden Vorgangs auch an die vorlauten Herren von der Presse keine Auskünfte geben würde, er müsse sich – bitteschön – an die Pressestelle wenden. Ob er das nicht wisse?

Die Mühe sparte er sich lieber, hielt lieber demonstrativ seinen Notizblock hoch, in den er Kringel malte, während sie an Limousine drei und vier vorbeiglitten. Bei Limousine fünf sah er nur noch, wie eiligst die geschwärzten Scheiben hochgekurbelt wurden, weil Oleg sein Handy rausgeholt hatte und fotografierte.

„Warn aber fix verschwunden“, murrte er.

„Sind eben scheue Jungs. Weißt du doch.“

„Und nun?“

„Nun brauchen wir ein ruhiges Plätzchen, wo wir endlich mal die verflixten Blätter entfizzen.“

„Das Zeugs, das ich dir weggenommen habe?“

„Genau das.“

„Bist mir etwa böse?“

„Niemals, mein Zuckerschnutchen. Weißt du was?“, fragte L., als er sich zu seinem Schrank von Freund nach vorn beugte, „ich hab so das komische Gefühl, dass ich tatsächlich noch zwei richtig starke Jungs brauchen werde, wenn wir so weit sind.“

„Und wann bistu so weit?“

„Das kann ich dir nicht sagen. Das hängt davon ab, was alles auf dem Papierchen steht.“

„Papier ist immer schmutzig. Wollen wir nicht lieber ein bisschen Fisch und paar kleine Wodka? – Autsch. Was war das?“

Ein greller Blitz hatte den Fahrerraum durchzuckt. Breitbeinig stand – na ja, wer denn sonst – der Blasse an der Straßenecke und setze gleich wieder an, das Auto abzulichten, das sich so verdächtig langsam durch den Herrmannkai geschoben hatte. So sind die Kollegen: Immer auf Draht und überall dort, wo sie glauben, den Mächtigen die Beute vor der Nase wegschnappen zu können.

L. suchte zwar einen Knopf. Aber der „Tschaika“ hatte natürlich noch keine Automatik. Also kurbelte er das Seitenfenster genüsslich herunter und winkte dem Blassen zu, der vor lauter Knipsen und Blitzen gar nicht merkte, wen er da noch mit aufs Bild bekam. Herr L. winkte auch noch fröhlich mit der Mütze, bevor Oleg Gas gab und die stolze Staatskarosse in den Verkehr der Hauptstraße schießen ließ.

„Kenn ich irgendwie, die Type“, sagte Oleg.

„Wohnt der im Solarium?“, fragte der andere.

„Soll ich dem eine“, fragte Oleg wieder.

„Lieber nicht“, sagte L. „Der ist nachtragend.“

„Na dann nicht. Chast du kein Blaulicht, Oleg?“

„Vergessen“, gab Oleg kleinlaut zurück. Denn mit dem kleinen Abstecher an den Herrmannkai waren sie im üblichen Abendverkehr gelandet zwischen lauter missgelaunten hupenden und drängelnden Männern und Frauen in großen Limousinen, die sich jeden Tag aufs Neue darüber wunderten, was diese ganzen drängelnden und missgelaunten Leute in ihren Protzschlitten gerade um diese Zeit auf der Straße suchten.

„Chast du wirklich Blaulicht vergessen?“

„Ist doch egal. Gegenfahrbahn ist völlig frei.“

„Das wirst du niiiiiiiiic …“, fing L. noch an.

Aber Sie wissen ja, wie das ist: Wenn man im Fond sitzt, hört keiner auf einen. Auch nicht, wenn man seine Lieblingsstraßenbahn entgegenkommen sieht, schön eingerahmt von zwei Burschen, die auch in so einer Situation niemals ihre Sonnenbrille absetzen würden.

„Was meinst du, rechts vorbei oder links?“

„Keine Ahnung. War nur so ein Einfall von mir.“

Und dann gab es ganz viele Geräusche auf einmal. Und jenen berühmten Moment, in dem für gewöhnlich die Werbung eingeblendet wird. Werbung gibt’s hier keine. Aber einen hübschen, sauberen Schnitt. So.

Alle Teile der Serie zum Nachlesen.

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Keine Kommentare bisher

Nicht doch. Ihr könnt doch nicht gerade an der Stelle aufhören, das ist doch Folter.^^

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