LeserclubDass dieses eigenartige Tete-á-tete von fünf Burschen mit der Intelligenz zweier ausgetrockneter Apfelsinen überhaupt noch eine Rolle spielte, hat natürlich mit dem unermüdlichen Fleiß meiner Wenigkeit zu tun. Mit dem Beharrungsvermögen eines Ochsen, der am Montagmorgen so frisch wie ein abgerauchter Zigarettenstummel ins Büro gestürmt kam und natürlich nichts anderes tat, als gleich mal die Kaffeequetsche anzuschalten und einen gewissen Kommissar X. aus seinen blütenweißen Büroträumen zu klingeln.

Dem Kerl würde ich zwar nicht über den Weg trauen, wenn er mir im Anzug von der Stange auf der Straße begegnen würde und seine falschen Kronen blitzen ließe, um mir seine unverbrüchliche Freundschaft als Gesetzeshüter zu versichern. Aber saufen kann man gut mit ihm. Dann wird er Mensch und flüstert einem auch schon mal echte Liebesbekenntnisse ins Ohr.

Aber Sie wissen ja, wie das ist. Ein echter Bulle zeigt keine Gefühle. Und nett zu im Schweiße ihres Angesichts arbeitenden Zivilisten ist so einer erst recht nicht, wenn er überhaupt noch ein Fitzelchen Hoffnung behalten will, dass er in seinem Schreibtischjob als Kleine-Halunken-Jäger nicht bis ans Ende aller Tage versauern muss.

Wobei ich nicht weiß, ob er wirklich von mehr Lametta auf seiner gebügelten Uniformjacke träumte. Oder einfach keinen Bock darauf hatte, tote Ratten in seinem Spind zu finden. Deswegen redeten wir, wenn ich schon mal so früh in aller Herrgottsfrische anrief, auch ganz friedlich um den heißen Brrei herum – ich spielte böser, bissiger Bulle und er stellte sich doof und mürrisch, falls doch irgendwo so ein Jungchen in der hinteren Abteilung alles mitschnitt, um es später als Beweismittel zu verwenden.

Glauben Sie mir: Nicht nur im Baugewerbe wird mit Steinen geschmissen und mit Hämmern gedroht. Wo Männer sich zu schnuckeligen Firmen versammeln, um männliche Taten zu tun, gibt’s stinkende Socken, miesen Kaffee und einen Zickenkrieg, um den uns die Weiber beneiden würden, wenn sie wüssten, wie es unter Männern abgeht.

Deswegen blätterte ich X. auch nur das hin, was ich eh schon wusste – manches von L., manches von einem mir irgendwie suspekten Italiener, der hierzulande immer neue Pizza-Buden eröffnet, was mich nicht weiter verwundern würde, weil auch die Herren Sizilianer irgendwo ihre Steuern abschreiben müssen. Aber dass die Buden liefen wie geschmiert, das sah auch ein alter Kerl ohne Brille wie ich.

Da musste was faul sein.

Wer bestellt sich freiwillig solche dünnen Brotscheiben mit Gemüse drauf, wenn es drei Meter weiter eine richtige Bratwurstbude gab?

Kapier ich bis heute nicht.

Aber das Gespräch mit X. können Sie sich irgendwie so vorstellen:

„Fünf Bodybuildertypen, hab ich das richtig verstanden?“

„Jawollo. Und wenn du in dein Protokollbuch guckst, stehen da mindestens fünf Anrufe in der Zentrale drin, dass fünf fiese Finsterlinge in der X-Straße versuchen, einen Bandenkrieg loszutreten.“

„Drei.“

„Nein, fünf Umkleideschränke, alle fünf in feinem blauen Zwirn, weiße Hemden, Krawatte, Sonnenbrille.“

„Drei Anrufe. Bitte keine falsche …“

„Sorry. Drei Anrufe, fünf zwielichtige Kerle, die sich demonstrativ vor das Haus meines Kollegen …“

„Ist nicht belegbar.“

„Ach, und den Anruf von Fräulein Mascha habt ihr nicht registriert?“

„Wir verbreiten prinzipiell keine Vermutungen.“

„Natürlich nicht. Ihr bleibt in eurer hübschen Einsatzzentrale sitzen, bis einer anruft, dass sich die Sache dann doch glücklicherweise in Luft aufgelöst hat.“

„Das Einsatzfahrzeug war längst auf dem Weg. Ich verbitte mir …“

„Natürlich. Und dann hat ein altes Mütterchen das Einsatzfahrzeug gestoppt, bevor …“

„Weisung von oben.“

Und so ging das noch ein paar Minütchen weiter, was – für diesen wortkargen Schreibtischtäter – eine ziemlich lange Zeit war. Wenn er es mir nicht hätte sagen wollen, hätte er aufgelegt und mich zum Teufel gewünscht. Ohne den Zaunpfahl, den ich mir dann zwischen die Seiten meines Notizblocks klemmte. Denn wenn es eine Weisung von oben gab, konnte das nur unser allerliebster bärbeißiger Herr Polizeidirektor selber gewesen sein, ein Mann, dem man das Menschenbild des finstersten Mittelalters nachsagte, der einem aber auch mit einem heftigen Tritt in den Hintern beibringen konnte, dass man diesmal einer ernsthaften Befragung mit Instrumenten noch einmal ganz knapp entkommen war.

Wenn der aber seine einsatzfreudigen Jungs zurückbeorderte, dann wollte er, dass irgendetwas gar nicht erst zur Polizeimeldung wurde.

Dann hat er aber auch nicht nur seine Cowboys zurückgepfiffen.

„Kann es sein, dass er sogar extra zu euch in die Zentrale gestiefelt ist?“

„Sowas werde ich Ihnen ganz bestimmt nicht …“

„Und dass er einen ganz bestimmten Diensthabenden Oberoffizier X …“

„Kommissar bitte …“

„Angebrüllt hat wie ein ungehorsames Schäfchen …“

„Hier wird nicht …“

Eine kleine Übersicht über die Heldinnen, Recken und großen Tiere, die in dieser Geschichte immer wieder vorkommen

Natürlich wurde nicht. Dabei weiß jeder Schulbub, dass man ein richtiges Raubein sein muss, sonst wird man überhaupt kein Straßenwächter in diesem Land und darf auch nicht mit Blaulicht durchs Dorf brettern. Und sitzt auch nicht in der Zentrale, wenn sich ein dampfender Kochtopf von Polizeichef – „Aber flixflix!“ – die Nummer geben lässt von dem da …

„Keine Namen, um Gottes willen!“

„Seit wann bist du ein Lamm Gottes?“

„War nur eine Warnung. Ich bin es nicht, dem hinterher der Pelz versengt wird.“

„Schon gut. War er nun aufbrausend oder eher schon kurz vorm Ausbruch?“

„Über meinen Chef sage ich n…“

„Also doch. Und wen hat er dann angerufen?“

„Wen?“

„Den mysteriösen Herrn Bleichgesicht, dessen verfickten Namen ich nicht nennen soll …“

„Das habe ich jetzt nicht gehört. Ich habe noch …“

„Also höchstpersönlich, nicht wahr? Und ziemlich …“

„Das werde ich nicht kommentieren …“

„Musst du auch nicht. WEIL ICH MIR DAS SEHR GUT VORSTELLEN KANN.“

Klack. Behördliches Hörerauflegen. Aber damit war auch das geklärt. Unser allernettester Polizeichef hatte höchstpersönlich Herrn Saubermann angerufen, damit der seine fünf taubenblau gekleideten Galgenvögel abberief. Drei Minuten später muss bei denen der Knopf im Ohr gebimmelt haben, zumindest bei dem Klügsten in der Truppe, der dann – davon haben wir sogar Fotos, hübsch aus der Vogelperspektive – bedeutsam den Arm schwenkte, um die fünf Aktenschränke zur geparkten Limousine zu befehlen. Nicht ohne den fünf etwas schmächtigeren Jungs auf der anderen Seite der Straße durch seine blickdichte Sonnenbrille einen bedeutungsvollen Blick zuzuwerfen. So einen von der Marke: „Wenn ich euch mal allein im Wald begegne und ihr alle nur zu einzelt seid … dann …“

Womit ein paar Sachen klarer waren. Auch die Frage, wer die fünf Prachtburschen geschickt hatte. Und wer nicht.

Als ich das dann L. erzählte, war der natürlich noch viel weniger begeistert als ich. Denn damit war auch klar, dass ich Hornochse mich völlig zu Unrecht hatte einschüchtern lassen von diesen ganzen aufdringlichen Vons und Zus. Ich Verräter. Ich sehe schon Vergil über mich gebeugt, wie er mich aufmerksam betrachtet, wie ich da im neunten Höllenkreis gebraten und gesotten werde und wie er zu seinem Kumpel Dante sagt: „Verrat fängt augenscheinlich mit Doofheit an, kann das sein?“

„Oder mit Feigheit“, wird Dante sagen, aber ins Grübeln kommen, warum die Feiglinge keinen eigenen Höllenkreis bekommen haben. Aber wahrscheinlich zählt für eine ordentliche Höllenstrafe nur der bewusste Vorsatz. Wenn das mein Metier wäre, hätte ich die ganzen Nächte geschlafen wie ein Wickelkind.

Hab ich aber nicht.

„Fehlt noch was in diesem Sündenregister, Herr L.?“

„Oh ja, die Wollust.“

„Verwechselt du da nicht etwas?“

„Nein. Nicht wirklich. Ich finde es – mal so formuliert – sehr frivol, sich einen wütend durch die Dienstzentrale tobenden Polizeidirektor in vollem Wichs vorzustellen, wie er mit Schaum vorm Mund einen Mann am Telefon zusammenfaltet, vor dem die Lakaien sonst nur auf Knien huschen.“

„So habe ich das aber nicht geschildert.“

„Musst du auch nicht. Meinst du nicht, dass sie ihn dafür feuern werden?“

„Den Polizeichef? Glaub ich nicht. Wer einen von unseren Herren Schön und Tapfer anbrüllt mit ‚Selbstjustiz dulde ich nicht IN MEINER STADT!‘, der sitzt wohl recht fest im Sattel. Der hat was gegen diese Leute in der Hand. Und der hat was. Der ist zwar biestig, aber nicht dumm.“

„Und wer hat dann den Alten besucht an dem Tag?“

Die Frage erwischte mich dann doch eher auf der unbeschmierten Seite der Marmeladenschnitte. „Du meinst den alten, mürrischen Ich-war-mal-Schnüffler-Opa, der hier in der Reaktion war?“

„Genau den.“

„Und wer soll den besucht haben?“

„Zwei Burschen, die ich für meine Wenigkeit für Spürhunde halten würde. So, wie es der Alte erzählt hat. Aber viel hat er nicht erzählt.“

„Erzähl.“

„Erst kochst du einen besseren Kaffee. Das Zeug kann ja kein Schwein trinken.“

Die ganze Serie „Und was passiert jetzt?“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar