In seinem Arbeitspapier für die Otto-Brenner-Stiftung „30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung“ ging Lutz Mükke auch auf das unterschiedliche Vertrauen ein, das Ost- wie Westdeutsche den Medien entgegenbringen. Die fehlende Identifikation der Ostdeutschen mit ihrer Repräsentanz in den Massenmedien sei ein Grund dafür, dass das Vertrauen im Osten geringer sei.

Er schreibt in seinem Arbeitspapier für die Otto-Brenner-Stiftung: „Die diskriminierenden Defizite an Repräsentation und Partizipation sind konstituierender Teil der Selbstverortung als „ostdeutsch“. Hierin begründet sich auch das deutlich geringere Vertrauen, das Ostdeutsche auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in Massenmedien setzen. So kam eine Forsa-Umfrage 2018 zu dem Ergebnis, dass nur 27 Prozent der Ostdeutschen der Presse vertrauen, im Westen seien es 43 Prozent (Süddeutsche Zeitung, 2. Januar 2018).“Es ist übrigens eine von mittlerweile wohl hunderten Studien, die über Befragungen versuchen herauszufinden, wie die Deutschen denn nun über Medien denken. Auch die Otto-Brenner-Stiftung selbst hat so eine Studie veröffentlicht, in der – scheinbar – das geringere Vertrauen der Ostdeutschen in „die Medien“ sichtbar wurde, in diesem Fall eng gekoppelt mit den Erkenntnissen zu autoritären Einstellungen, wie sie die Leipziger Autoritarismus-Studien belegen.

Wobei man hier auch die legendäre Frage nach dem Huhn und dem Ei stellen kann. Und natürlich der Frage, inwiefern klassische Medien selbst das Misstrauen schüren. Etwas, was in einer längeren Untersuchungsreihe der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sehr schön deutlich wird. Denn die schrillen Töne in der Zuwanderungsdebatte 2015 haben das Vertrauen in die Medien deutschlandweit sinken lassen.

Danach gab es einige nachdenklichere Töne und auch mehr Beiträge zur Einordnung von Frames und Fakenews. Einige Medien gaben sich durchaus etwas selbstkritischer. Im Ergebnis stieg das Vertrauen wieder.

Aber das war nicht wirklich eine Entwarnung. Die „Zeit“ brachte es in Auswertung des Ergebnisses von 2019 so auf den Punkt: „Die Zahlen der Studie belegen den Mainzer Forscherinnen und Forschern zufolge auch eine zunehmende Entfremdung zwischen Menschen und Medien. 27 Prozent der Befragten waren der Auffassung, dass die Medien den Kontakt zu den Menschen verloren haben. Ein Jahr vorher waren es lediglich 18 Prozent gewesen. Von 36 auf 43 Prozent stieg die Zustimmung für die Aussage, dass Medien gesellschaftliche Zusammenhänge anders darstellen, als es die Bürger im eigenen Umfeld wahrnehmen.“

Vertrauensschwund nur im Osten?

Womit wir beim Grundproblem sind. Denn hier wird sichtbar, dass es nicht nur die Ostdeutschen sind, die sich in den Massenmedien nicht mehr wiederfinden oder falsch dargestellt sehen. An der Mainzer Studie wird auch sichtbar, dass die Befragten sehr wohl unterscheiden zwischen den einzelnen Medien. Mit 67 bzw. 66 Prozent ist das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bzw. die (regionale) Tageszeitung überdurchschnittlich hoch, während man bei den Werten für Privatfernsehen (26 Prozent) und Boulevardmedien (7 Prozent) eher nicht von Vertrauen reden kann.

Auch die Mainzer Studie bestätigte den Zusammenhang zwischen pauschaler Medienkritik und geringer Zufriedenheit mit der Demokratie.

Und das ist ein Thema für die so gern zitierte „vierte Macht“. Die eigentlich korrigieren soll, die Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen soll und auch die Entscheidungsprozesse in der Demokratie transparent und kritisch aufzeigen müsste. Denn anders als es einige Kampagnenmacher in einschlägigen Medienhäusern auffassen, sind Medien nicht diejenigen, die Politik machen sollten. Auch Massenmedien nicht.

Das war im Kern eigentlich gemeint, als Hajo Friedrichs im „Spiegel“-Interview 1995 sagte: „Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“

Das ist das legendäre Zitat, das seitdem gern von auch selbst ernannten Medienkritikern den Journalisten um die Ohren gehauen wird. Manchmal zu Recht, meistens zu Unrecht.

Betroffen sein darf ein Journalist. Aber ihm geht es – egal, ob bei großen Katastrophen oder erhitzten Debatten – genauso wie Rettungskräften im Einsatz (die ja von einigen Zeitgenossen inzwischen auch tätlich angegriffen werden): Sie müssen versuchen, professionelle Ruhe zu waren und möglichst unbeeindruckt berichten, was passiert, was sie sehen und erfragen können.

Was ja beim „Spiegel“ in den Hausspruch „Sagen, was ist.“ geronnen ist und bei Focus in das hingehämmerte „Fakten, Fakten, Fakten“.

Als müssten die großen Nachrichtenmagazine ihre Mitarbeiter/-innen jeden Trag daran erinnern, dass sie bitteschön rauszugehen haben und über die Dinge, die wichtig sind, möglichst umfassend und genau berichten. Was übrigens nicht nur eine Tugend für Nachrichtenmagazine ist. Das ist eigentlich der Knochenjob für jede Regionalzeitung.

Verpasste Chance 1990

Aber da Lutz Mükke die deutsch-deutsche Misere in seinem Arbeitspapier untersucht hat, bleiben wir einfach mal dabei. Denn die Frage steht: Was ist da falschgelaufen seit 1990?

Und zwar im doppelten Sinn. Nicht nur, weil ziemlich eindeutig westdeutsche Leitmedien und damit westdeutsche Redakteure seitdem bestimmen, wie der Blick auf den Osten aussieht. Was zwangsläufig dazu führt, dass die ostdeutschen Mediennutzer permanent einer Fremdsicht begegnen, die nicht ihrer eigenen täglichen Erfahrung entspricht, sondern sie regelrecht exotisch macht, quasi zu einem kolonialisierten Landstrich, in dem sich die Einwohner irgendwie seltsam benehmen. Der befremdete Blick macht die Ostdeutschen zu Fremden.

Aber da schwingt noch etwas mit. Denn was passiert selbst mit ostdeutschen Redaktionen, wenn sie jetzt von neuen Machern aus dem Westen erklärt bekommen, wie die Sache zu sehen sei? Wenn also gleich mal ein ganzes Interpretationskorsett mitgebracht wird, in dem letztlich 40 Jahre Vor-Urteile stecken, aber nicht die Ur-Neugier, ohne die ein wirklich spannender Journalismus nicht zu machen ist. Was auch Unbefangenheit voraussetzt. Aber während die Befangenheiten der Ostdeutschen seit 1990 rauf und runter diskutiert wurden, waren die Befangenheiten der westdeutschen Medienmacher nie ein Thema. Gab es sie nicht? Gibt es sie nicht?

Die Mainzer Studie zeigt eigentlich deutlich, dass es sie gibt. Und dass die Zuschauer/-innen und Leser/-innen das merken. Spätestens dann, wenn sie das Gefühl bekommen, dass von ihnen entweder falsch die Rede ist oder gar nicht. Wenn die Einsortierung und die Gleichgewichte nicht mehr stimmen. Was übrigens einer der Hauptgründe dafür ist, dass sich die großen westdeutschen „Qualitätsmedien“ im Osten nicht verkaufen.

Warum sollte man ein Produkt kaufen, in dem man nicht vorkommt oder bestenfalls als Karikatur? In dem die eigenen Probleme marginalisiert sind und dafür die Probleme etablierter Leute breitgewalzt werden, die in den richtigen Positionen sind und die finanzielle Macht und den Einfluss haben, ihre Sicht auf die Welt durchzudrücken. Bis dahin, dass sich sogar das Gefühl verbreitet, dass es fundierte und allgemein gültige Ansichten seien.

Übrigens eine Haltung, die ab 1990 auch in ostdeutsche Regionalzeitungen eingezogen ist: Nur ja nicht anecken, nur nicht irgendwelchen mächtigen Scheinriesen auf die Füße treten oder gar die regierende Partei verärgern. Oder gar zahlende Großkunden.

Sie merken schon: Da wird es emotional. Und eigentlich möchte ich nicht in der Haut der Leute stecken, die diese Einübung des neuen Willfahrens mitgemacht haben. Und jetzt verdattert aus der Wäsche gucken, weil das das Vertrauen ihrer Leser/-innen ramponiert hat. Welche sich zu Recht immer öfter fragten: Warum berichten die eigentlich nicht darüber? Ist das für die ein Tabu? Trauen die sich nicht mehr? Oder sind denen unsere Sorgen zu popelig? Sind wir denen nicht fein genug?

Ein Phänomen, das nicht erst mit dem Medienbashing der AfD begann. Das war schon vorher da.

Wie geht es Lieschen Müller eigentlich?

Und dabei ist der Regionaljournalismus die Basis aller anderen Journalismen. Er ist die meist von Öl und Werkzeug dominierte Werkstatt, in der jeden Tag gearbeitet werden muss und wo der Werkstattmeister gut daran tut, seine ölbekleckerten Mitarbeiter/-innen jeden Tag zu fragen: Kann man das auch anders sehen? Wen kann man noch fragen? Wer hat die Zahlen? Worüber ärgern sich die Leute wirklich? Was steckt eigentlich hinter dem Frust? Wie geht es der einst viel beschworenen Lieschen Müller tatsächlich? Heute? Hast du Lieschen Müller gefragt oder nur den Präsidenten? Wie sieht die Perspektive von unten aus? Oder von der Seite? Und was ist eigentlich da los, wo wir schon lange nicht mehr waren?

Letzteres eine sogar sehr wichtige Frage, die uns jeden Tag durch den Kopf geht, weil wir ja zuschauen konnten, wie sich die Räume der regionalen Berichterstattung rund um Leipzig immer mehr ausgedünnt haben. Da draußen, jenseits der Stadtgrenzen, ist kaum noch jemand unterwegs und spricht mit den Leuten, kümmert sich, wie das so schön heißt. Vertrauen entsteht oft einfach dadurch, dass man sich kümmert. Heißt: sich interessiert. Und nicht schon vorher weiß, was hinterher geschrieben stehen soll.

Gerade im Regionalen wird das Thema Vertrauen sehr schnell sehr komplex. Und man merkt beim Machen erst, dass man dazu sehr viel Zeit, Kraft, Geduld braucht. Und Leute.

Was das Hauptproblem der Gegenwart ist. Weshalb Lutz Mükkes Vorschläge leider alle falsch adressiert sind. Denn um einen kräftigen Lokaljournalismus zu machen, braucht man Journalist/-innen. Und zwar ziemlich viele. Die man am besten nicht mit einem Amazon-Gutschein abfüttert, sondern richtig bezahlt. Was die meisten Regionalzeitungen nicht mehr können.

Die meisten haben ihre Lokalredaktionen radikal ausgedünnt, oft ganze Redaktionen geschlossen oder outgesourct. Und der überregionale Mantelteil wird meist irgendwo zentral gefertigt, ganz so, als könnte man in jeder Region allen Leuten dasselbe erzählen über die Landes- und Bundespolitik. Als hörte das Wort Vertrauen an der Kreisgrenze auf. Danach gibt es nur noch Fastfood für alle.

Die Lösungen, die die großen Medienhäuser für ihre finanziellen Sorgen finden, sind meist noch viel fataler als das Problem selbst.

Und ganz offenkundig können sich die ostdeutschen Regionalzeitungen dagegen nicht wehren. Denn sie bestimmen nicht, welchen Weg sie aus dem Dilemma gehen möchten. Die Entscheidungen fallen in den westdeutschen Zentralen des Zeitungshauses, wie es so gemütlich heißt, auch wenn schon längst knallharte Controller das Sagen haben.

Da bleibt eigentlich kein Spielraum für die lokalen Redaktionen, vielleicht einmal etwas Neues auszuprobieren, mutiger zu werden und wieder eine ernst zu nehmende Plattform für die Sorgen und Kümmernisse der Menschen in ihrer Region zu werden. Was übrigens auch für all die Lokalzeitungen im Westen gilt, die gerade dieselbe Ochsentour durchmachen. Auch dort schwindet das Vertrauen der Leser, haben immer mehr Menschen das Gefühl, dass sie mit ihren Problemen in den Medien nicht mehr vorkommen. Also nicht wertgeschätzt werden. Und schon gar nicht gefragt werden.

Der Zweifel am Redaktionstisch

Da zerplatzt dann irgendwann das falsche Selbstbild so mancher Zeitung nach dem Motto „Wir sind die Stadt“.

Die aufmerksameren Redaktionen lassen den Zweifel mit am Redaktionstisch Platz nehmen, den Burschen, der jeden Tag beharrlich fragt: Verstehen wir unsere Stadt wirklich? Wissen wir wirklich, „was ist“? Müssen wir da jetzt mit dem großen Hammer draufkloppen oder wäre es besser, die Leser/-innen in unsere Zweifel mitzunehmen? In die ganze Widersprüchlichkeit dessen, was es zu berichten gilt?

Aber wer hat schon Zeit und Geld für den Zweifel, wenn der Controller Klicks und Verkäufe sehen will und nicht das geringste Interesse dafür hat, dass die schnelle Schlagzeile am Ende bedeuten kann, dass das eigentliche Gut des Vor-Ort-Berichtens demoliert wird: das Vertrauen, das große und das kleine.

Aber das war ja schon ab 1990 so. Und der Zeitpunkt, ostdeutsche Zeitungsredaktionen ihr eigenes Profil entwickeln zu lassen, wurde gründlich verpasst. Mit einem oft genug fatalen Ergebnis: dem Ausfall des journalistischen Korrektivs im lokalpolitischen Alltag. Das wäre eine eigene Untersuchung wert.

Denn wenn man nach Jahren des Ertragens solcher Zustände merkt, dass sich etwas ändern muss, krempelt man doch lieber die Ärmel hoch und gründet ein Medium, das sich wieder um die ganzen vernachlässigten Themen kümmert im ersten Schritt. Sie sichtbar macht und damit wertschätzt.

Nicht allwissend. Journalisten sind keine Götter. Und im Normalfall wissen sie, wenn sie morgens noch halb verschlafen ihren Kaffee aufbrühen, noch nicht, was sie am Abend herausbekommen haben werden. Stellvertretend für ihre Leser/-innen, die dann vielleicht einfach leise murmeln: „Oha, das wusste ich noch nicht.“

Jeden Tag Kaffee aufbrühen, munter werden, versuchen, wieder was rauszukriegen über das, was ist. Jeden Tag aufs Neue.

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