Als Helmut Richter mit Gleichgesinnten 1982 die „Leipziger Blätter“ gründete, war das die Geburt eines Magazins, dessen Vorbilder damals alle im Westen lagen. Aber da sich das hochwertig gedruckte Magazin ganz und gar der Kultur und Geschichte der Stadt Leipzig widmete, wurde es zwar von staatlichen Stellen der DDR kritisch beäugt, aber dennoch geduldet.
Und es bereichert seitdem das Wissen der Leipziger über ihre eigene Stadt. Jedes Heft zeigt neue Facetten einer lebendigen Stadtkultur. Das neue Frühjahrsheft ist dabei keine Ausnahme.
Auch dieses zeigt, wie wichtig es ist, immer wieder in der ruhigen Art eines Magazins über all das zu berichten, was im täglichen Nachrichtengeschnatter für gewöhnlich keinen Platz findet. Blitzlichtartig oft, weil sich die Szene permanent verändert und erneuert, so schnell, dass Tageszeitungen schon lange nicht mehr hinterherkommen, ein adäquates Bild der Leipziger Kulturszene zu malen und den Bürgern der Stadt ein auch nur annähernd vollständiges Bild vom kulturellen Leben in der Stadt zu geben. Das ist tragisch, weil es nun einmal auch die (Förder-)Politik der Stadt bestimmt.
Nicht ganz grundlos ist diesmal die Sebastian Weber Dance Company mit einem geradezu schwebenden Foto auf dem Cover gelandet, denn das weit über die Grenzen Leipzigs hinaus bekannte Tanz-Ensemble hat inzwischen eine eindrucksvolle eigene Spielstätte in den Wahrener Pittlerwerken gefunden. Bei all der Leichtigkeit merkt man gar nicht erst, wie viel Schweiß, Geduld und Hartnäckigkeit darin steckt, eine solche Company dauerhaft in Leipzig zu etablieren.
Junge Autoren, geklaute Kunstwerke, beliebte Bänke
Und die „Leipziger Blätter“ erinnern eben immer wieder daran, dass Kunst und Kultur zwar schön sind zu genießen und vielen Leipzigern so manchen Abend verschönern oder gar retten. Aber man sieht oft nicht, welche Menge Arbeit im Dargebotenen steckt. Bei der in Leipzig entstehenden Literatur wird es noch deutlicher.
Katrin Löffler versucht so etwas wie einen Überblick über die jüngere, in Leipzig aktive Autorengeneration. Michael Ernst porträtiert im Heft das derzeit berühmteste Leipziger Autorenpaar – Martina Hefter und Jan Kuhlbrodt. Bert Hähne holt den einst meistgespielten deutschen Theaterautor aus der Versenkung – Hans Bachwitz hieß er.
Und dar ist nur das Kapitel zu Literatur und Buchstadt. Im Kapitel „Bildende Kunst“ geht es um die Geburt des Begriffs „Leipziger Schule“, den ein berühmter Frankfurter Kunstkritiker „erfand“, um einen kaum wahrgenommenen, aber produktiven Leipziger Künstler – Ulf Puder. Und Sabine Lessig spürt einstigen DDR-Auftragskunstwerken nach, die in den „Wende“-Wirren einfach verschwunden sind und in dunklen Kanälen zu neuen Kunden fanden.
Man merkt schon: So wird Leipziger Kulturleben spannend. Und die „Leipziger Blätter“ haben sich dem immer in der ganzen Breite gewidmet – so wie in „Stadtansichten“, wo ein Heimatforscher wie Harald Stein gewürdigt wird und Jutta Donat nach Bänken in Leipzig forscht, fehlenden und besonderen.
„Musik und Theater“ widmet sich dem großen in Leipzig zelebrierten Schostakowitsch-Jubiläum, den einstigen Operettenaufführungen im Deutschen Haus in Lindenau, aber eben auch Sebastian Webers Dance Company, während es unter „Architektur und Denkmalpflege“ unter anderem um den Schillerhain in Gohlis geht und um die aufregende Geschichte des Matthäikirchhofs.
Ein Fall, bei dem Mirko Oehlert dringend zu weiteren archäologischen Grabungen rät, bevor dort wieder gebaut wird. Denn noch sind die Überbleibsel der ursprünglichen Gründung von Leipzig nicht alle erschlossen. Noch könnte Spannendes im Untergrund liegen. Und liegt es wohl auch.
Die Scrooges sind über uns
Und in den Texten zur Leipziger Geschichte taucht noch einmal der leider früh verstorbene Michael Liebmann mit einem seiner letzten Beiträge auf: „Kohlehunger und abgebaggerte Landschaften“. Während sich Steffi Böttcher in einem Beitrag dem Vater von Erich Ebermayer widmet, dessen Jugenderinnerungen ja jüngst erst im Lehmstedt Verlag erschienen sind. Böttcher würdigt Erichs Vater Ludwig Ebermayer, Reichsgerichtsrat am Leipziger Reichsgericht und Honorarprofessor an der Uni Leipzig.
Und so wird auch dieses Heft eine Bereicherung für alle, die immer wieder neu für sich entdecken möchten, welchen Kulturreichtum dieses Leipzig birgt. In allen seinen Facetten, reich bebildert, sodass sich das Sammeln der Hefte lohnt. Wer sie alle sammelt, weiß, dass er damit einen kleinen Schatz besitzt: Eine vielstimmige und immer bunte Reise durch eine Stadt voller Kultur.
Was 1982, als der Schriftsteller Helmut Richter das Projekt startete, noch ein Wink mit dem Zaunpfahl war, den kulturellen Reichtum dieser Stadt nicht zu verspielen. Die Protagonisten haben gewechselt, vieles ist neu hinzugekommen, manches auch verschwunden. Aber für jeden, der das jeweils neueste Heft erwirbt, ist es wie ein Aufatmen, wenn er lesen kann, was es alles noch gibt. Und wie viele unentmutigte Menschen in Leipzig weiter versuchen, Kunst und Kultur zu machen, weil ohne sie eine Stadt einfach tot ist.
Was auch den politisch Verantwortlichen immer wieder gesagt werden muss, gerade denen, die immer aufs Geld schauen wie Ebenezer Scrooge vor dem Besuch der drei Geister der Weihnacht. Das nämlich gehört leider auch zur Wahrheit: Die Scrooges sind unter und über uns. Und sie halten eine lebendige Kultur für etwas, das man bei nächster Gelegenheit immer wieder einsparen kann. Denn der große Atem, den Kunst und Kultur in eine Stadt bringen, ist ihnen in ihrem strengen Kassenwart-Verständnis völlig fremd.
Auch gegen diese Haltung helfen die „Leipziger Blätter“. Sie erinnern daran, was eine Stadt tatsächlich so besonders und so lebendig macht. Und wie gefährdet Schönheit immer wieder durch Zeitgenossen ist, die bronzene Schwäne und Pelikane nur nach ihrem Buntmetallwert taxieren und denen die Freude der Passanten an den Tieren am Wegrand völlig fremd ist. Eine andere Spezies Scrooge, könnte man sagen. Es gibt etwas zu verteidigen. Auch davon erzählen die „Leipziger Blätter“.
Kulturstiftung Leipzig (Hrsg.) „Leipziger Blätter 86“, Passage-Verlag Leipzig 2025, 14,90 Euro.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:














Keine Kommentare bisher