Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, haben sie architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Viele Kirchen wurden oder werden anders als ursprünglich genutzt, so auch in Halle an der Saale. Die Kirche St. Stephanus – auch Stephanuskirche genannt – ist eine ehemalige evangelische Kirche im Stadtteil Giebichenstein in Halle (Saale) unter Denkmalschutz.

Der Gemeindebezirk gehörte ursprünglich zur Laurentiuskirche. Mit der rasant steigenden Einwohnerzahl der Stadt Halle während der Industrialisierung wuchsen Wunsch und Bedarf einer weiteren Kirche.

Der Bau-Beschluss wurde im Oktober 1882 gefasst – doch es dauerte, bis aus der Absicht Wirklichkeit wurde: Grundsteinlegung war am 28. Juni 1891, Einweihung am 7. Dezember 1893. Das Baugrundstück schenkte Halles Bankier L. Lehmann.

Errichtet wurde die Kirche nach Plänen des Architekten und preußischen Baubeamten Otto Kilburger, der die Kirche in Nietleben sowie weitere, bis heute erhaltene und eindrucksvolle Bauwerke in Halle entworfen hatte.
St. Stephanus ist eine Hallenkirche mit Kirchturm und Querschiff im Stil der Neugotik aus gelben Backsteinen. Sie hat ein dreischiffiges Langhaus mit Querschiff und dem im Westen gelegenen Turm mit dem Hauptportal.

Zu beiden Seiten des Turmes gibt es Treppenhäuser, die zu den Emporen führen. Das Gebäude ist gut 45 Meter lang und zirka 28 Meter breit. Der Turm erreicht eine Höhe von 61 Metern. Das Gotteshaus ist ein Wahrzeichen des Stadtteils.

Stephanuskirche Halle-Giebichenstein (2017). Foto: Catatine, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:HAL-Stephanuskirche.JPG
Stephanuskirche Halle-Giebichenstein (2017). Foto: Catatine, CC BY-SA 4.0

Der Klinkerbau hat Strebepfeiler sowie Spitzbogenfenster mit Maßwerk. Der Kirchturm ist geschossweise zurückspringend gestaltet, das Portal spitzbogig. Das Glockengeschoss hat große Spitzbogenfenster, der Turmhelm ist spitz über Giebeln mit Ecktürmchen. Der Innenraum hat raumgreifende Emporen.

Die Firma Gustav Kuntzsch aus Wernigerode schuf den Altaraufsatz, die Kanzel mit Schalldeckel und den Orgelprospekt für die von Orgelbau-Anstalt Wilhelm Rühlmann, Zörbig, 1893 gebaute Orgel. Das Instrument hatte 39 Register auf drei Manualen und Pedal.

Das Gotteshaus blieb in den Kriegen unversehrt, aus den Jahrzehnten ihrer Nutzung ist nichts Besonderes überliefert. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war es regelmäßig der Ort für das Kirchgemeindeleben und alle evangelischen Jahreshöhepunkte.

Weshalb es im Jahr 1967 zur Entwidmung kam, ist aus den per Internet erreichbaren Quellen nicht zu erkennen.
Von den zahlreichen Ausstattungsstücken wurden bei der Profanierung der Kirche die Abendmahlsgeräte an die Laurentiuskirche, das Kruzifix an das Gemeindezentrum der Petruskirche in Wörmlitz und die Orgel an die Pauluskirche gegeben.

Die vier Glocken, gegossen von Gustav Collier, erhielt die St.-Wenzel-Kirche in Radewell. Die Orgel erklingt in der Pauluskirche in Halle. Deren Kirchgemeinde sammelt Spenden für eine neue Orgel, die Zukunft der Rühlmann-Orgel ist nicht bekannt.

Die Kirche wurde von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) ab 1968 aufgrund eines Nutzungsvertrags als Büchermagazin genutzt. Es wurden Stahlträger eingezogen und vierstöckige Bücherregal-Konstruktionen eingebaut. Sie nehmen bis heute fast das gesamte Langschiff und den auf der Ostseite gelegenen Chor ein.

Südlich des Chores schließt sich die Sakristei an, nördlich die Taufkapelle. Im Emporengeschoss ist im Turmbereich die Orgelkammer ohne Orgel. Die Empore erstreckt sich über die Seitenschiffe bis vor ins Querschiff, wobei dort nur noch die tragenden Bögen vorhanden sind. Die hölzernen Podeste und der Boden wurden entnommen. Über den Turm geht es in den Dachstuhl mit Blick auf das Gewölbe über dem Haupt- und Querschiff.

Bis 2014, also insgesamt 46 Jahre, nutzte die MLU sie als Zweigstelle der Universitätsbibliothek, rund 700.000 Bücher waren dort untergebracht. Bei Reparaturarbeiten im März 2000 geriet der Turmhelm in Brand und stürzte auf das Dach des Langhauses. Die Uhrenstube und der Turmhelm sind gegenwärtig nicht erreichbar. Seit August 2014 steht die Kirche leer.

Das Bauwerk ist teilunterkellert. Die zugehörigen Freiflächen sind mit Ziergehölzen und Bäumen bepflanzt, das Grundstück umfasst 1.982 Quadratmeter.

Das Land Sachsen-Anhalt will das stadtteilprägende Kirchengebäude verkaufen. Es hat eine Auktion gestartet, die am 20. Februar 2023 endet: Das Mindestgebot für Bauwerk und Grundstück beträgt 335.000 Euro.

Koordinaten: 51° 29′ 44,6″ N, 11° 57′ 50,7″ O

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/St._Stephanus_(Halle)
https://blsa.sachsen-anhalt.de

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar