Rund einen Monat nach „Tag X“ zeigten über hundert Personen aus der linken Szene am Samstag ihren Zusammenhalt und solidarisierten sich mit den Betroffenen des Polizeikessels und weiterer Repressionsmaßnahmen. Außerdem haben führende Köpfe der sächsischen Linkspartei erklärt, Wagenknecht im Falle einer Partei-Neugründung nicht folgen zu wollen und aufgrund der Unruhen in Frankreich hat Frankreichs Präsident seinen Staatsbesuch in Deutschland verschoben. Die LZ fasst zusammen, was am Wochenende des 1./2. Juli in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus wichtig war.

Ein Monat nach „Tag X“: Junge Menschen gehen gegen staatliche Repression auf die Straße

Einen Monat nach dem sogenannten „Tag X“ sind die Ereignisse rund um diesen 3. Juni bestimmendes Thema der politischen Auseinandersetzung in Leipzig: Am Samstagabend zogen rund 150 Personen – darunter vorrangig junge Menschen – durch die Südvorstadt, um gegen staatliche Willkür, Repression und Polizeigewalt zu demonstrieren.

Außerdem wollten die Demonstrierenden ein Zeichen der Solidarität mit denen setzen, die an „Tag X“ teils über zehn Stunden in einem nächtlichen Polizeikessel verharren mussten – zeitweise ohne Zugang zu Essen, Trinken oder Toiletten.

Rund um „Tag X“, habe der Staat erneut bewiesen, wie er mit unliebsamem Protest umgehe, hieß es im Demo-Aufruf. „Versammlungsverbote, dauerhafte Kontrollzonen, Angriffe auf genehmigte Versammlungen, vermummte Staatsanwälte, Zivis, 12 Stunden Kessel ohne Essen, ohne Trinken, ohne Toiletten, Minderjährige in der Gesa, um nur ein paar der Skandale aufzuzählen“, listeten die Initiator*innen der Kundgebung auf.

Die Abkürzung Gesa bedeutet im Polizeisprech „Gefangenensammelstelle“, gemeint ist der Polizeikessel am Alexis-Schumann-Platz am 3. Juni.

An der Demonstration nahmen unter anderem die Gruppen „Aktion Antifa Leipzig“, „Eltern gegen Polizeigewalt Leipzig“ und „Freiberg gegen Rechts“ teil. Juliane Nagel, Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linkspartei, war ebenfalls vor Ort.

Verweis auf Hausdurchsuchung bei „Pudding“

Die Initiator*innen der Demo erwähnten in ihrem Aufruf auch die Wohnungsdurchsuchung bei einem Mann in Grimma. Nachdem der Grimmaer Sozialarbeiter Tobias Burdukat, vielen bekannt als „Pudding“, auf Twitter Informationen über einen Leipziger Staatsanwalt verbreitet hatte, der an „Tag X“ vermummt im Getümmel fotografiert worden war, hatte die Polizei am 23. Juni seine Wohnung durchsucht.

Diese Maßnahme zeige, „wie willkürlich der Staat agiert“, so die Demo-Initiator*innen. „Anscheinend genügt es den Repressionsbehörden nun schon einen Tweet zu teilen, damit sie unsere tiefste Privatsphäre verletzen können.“ Man lasse sich nicht unterkriegen, endete der Demo-Aufruf.

Die rund 150 Personen zogen am Samstag unter Polizeibegleitung vom Wilhelm-Leuschner-Platz vorbei am Amtsgericht, wo in den vergangenen Tagen die Haftgründe mehrerer nach „Tag X“ in U-Haft genommener Personen geprüft wurden, und am Alexis-Schumann-Platz, wo am 3. Juni über Tausend von der Polizei eingekesselt wurden. Kurz nach 20 Uhr wurde der Aufzug am Connewitzer Herderpark für beendet erklärt.

Am 3. Juni hatten sich über 1.000 Menschen in der Leipziger Südvorstadt versammelt, um im Rahmen der einzig erlaubten linken Demonstration an diesem Wochenende unter anderem für die Versammlungsfreiheit zu demonstrieren.

Nachdem die Polizei mit Verweis auf das Vermummungsverbot den Demonstrationsteilnehmer*innen verboten hatte, loszulaufen, eskalierte die Situation vor Ort und endete damit, dass mehr als 1.000 Menschen, in der Mehrzahl mutmaßlich unschuldig, teils über zehn Stunden von der Polizei eingekesselt wurden.

Mögliche Partei-Neugründung: Sächsische Linke will Wagenknecht nicht folgen

Die Führungskräfte der sächsischen Linkspartei haben sich in einem Positionspapier geschlossen gegen ihre umstrittene Parteigenossin Sahra Wagenknecht gestellt. Führende Köpfe der sächsischen Linken, darunter alle 14 Abgeordneten der Landtagsfraktion, betonen in dem Schreiben, dass sie Mitglieder der Linkspartei bleiben würden, sollte Wagenknecht eine eigene Partei gründen.

Die Linke „ist und bleibt unser politisches Zuhause“, versicherten die 19 Unterzeichner*innen des Briefs. Zu den Unterzeichner*innen gehören neben der Landtagsfraktion auch die sächsischen Bundestagsabgeordneten der Linken (Sören Pellmann, Caren Lay, Clara Bünger und André Hahn) und die sächsische Europaabgeordnete der Linkspartei, Cornelia Ernst.

Dass die Meinungen von Parteimitgliedern in Einzelfragen zu den Beschlüssen der Partei auseinandergingen, sei legitim, heißt es weiter in dem Schreiben. Aber: „Mit Ressourcen und Kapazitäten der Partei gegen die eigene Partei zu arbeiten, ist nicht legitim!“ Mit der Linkspartei gebe es „eine politische Kraft, die für soziale Gerechtigkeit, Frieden und die konsequente Verteidigung der Demokratie“ stehe.

„Dafür, dass diese politische Kraft auch in Zukunft erfolgreich ist, werden wir weiterhin arbeiten“, so endet der Brief.

Der Leipziger Landtagsabgeordnete Marco Böhme hatte das Schreiben am Samstagvormittag veröffentlicht. Er betonte dabei, dass es sich bei dem Schreiben um „eine Selbstverständlichkeit“ handele. Es ist auf den 30. Juni datiert.

Wegen Unruhen in Frankreich: Macron kommt nicht nach Dresden

Mit Blick auf die Unruhen in Frankreich hatten Medien und deutsche Behörden bereits gegen Ende der Woche gemutmaßt, dass der geplante zweitägige Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Deutschland nicht stattfinden wird. Am Samstag dann die Absage: Der Staatsbesuch wird aufgrund der innenpolitischen Lage Frankreichs verschoben. Somit wird Macron auch nicht wie geplant am Dienstag, 4. Juli, in Dresden auftreten.

Es wäre der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Deutschland nach 23 Jahren gewesen, und zwar im 60. Jubiläumsjahr des Élysée-Vertrages: Eigentlich sollte Macron gemeinsam mit seiner Ehefrau Brigitte am heutigen Sonntag in Deutschland ankommen.

Die Stationen seines Besuchs in der Bundesrepublik sollten Ludwigsburg in Baden-Württemberg, Berlin und zum Schluss Dresden sein. Auf dem Dresdner Neumarkt war für Dienstagnachmittag ein Auftritt des französischen Staatsoberhaupts im Beisein seines deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier geplant.

Vor der Frauenkirche wollte Macron im Rahmen des europäischen Jugendfests „Fête de L’Europe“ eine öffentliche Rede zur Zukunft Europas halten, gerichtet an die Jugend.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird am Dienstag allein nach Dresden kommen, die „Fête de L’Europe“ wird trotz Macrons Absage stattfinden.

Kretschmer bedauert Absage – und zeigt Verständnis

Wie auch der Bundespräsident bedauert Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer die Absage Macrons. Gleichzeitig drückte er am Samstag sein Verständnis für Macrons Entscheidung aus. „Wir respektieren die Entscheidung von Emmanuel Macron“, twitterte Kretschmer am Samstag. „Es ist richtig und nachvollziehbar, der innere und soziale Frieden in Frankreich hat Priorität.“

Zuvor hatte Kretschmer noch kräftig die Werbetrommel für den diplomatischen Besuch gerührt. „Ich freue mich auf die Begegnung in Sachsen“, hatte Kretschmer am Freitag verlauten lassen und von einem „unvergesslichen Ereignis“ und einem „Zeichen deutsch-französischer Freundschaft“ gesprochen, das „wichtige Gedanken für uns und unsere Zukunft mit sich“ bringen werde.


Auslöser der aktuellen Ausschreitungen in Frankreich ist der Tod des 17-jährigen Nahel M. am Dienstag. Ein Polizist hatte den jungen Mann bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre aus nächster Nähe erschossen, ein Video dokumentiert die Tat. Gegen den Polizeibeamten laufen Ermittlungen wegen Totschlags.

Polizei ermittelt nach mutmaßlichen Schüssen in Eilenburg

Worüber die LZ außerdem berichtet hat: über den Rückbau der Glasfassaden am Haus des Buches in Leipzig

über den Leipziger Arbeitsmarkt im Juni

über die Kostenexplosion bei der Sanierung der Häuser im Leipziger Robert-Koch-Park

Was am Wochenende außerdem wichtig war: Nach mutmaßlichen Schüssen auf eine Bushaltestelle in Eilenburg ermittelt die Kriminalpolizei. Wie die Polizei mitteilte, hatte ein 15-jähriges Mädchen, das in einem verglasten Buswartehäuschen in der Halleschen Straße saß, am Freitagabend einen Schock erlitten, nachdem laute Knallgeräusche zu vernehmen waren. Dabei war eine Scheibe der Bushaltestelle zu Bruch gegangen. Im Nachgang durchsuchte die Polizei mehrere Wohnungen, wobei auch eine Luftdruckwaffe gefunden wurde. Ob der Fund in Zusammenhang mit der zerstörten Scheibe steht, muss noch geklärt werden. Die junge Frau musste aufgrund ihres Schocks ambulant behandelt werden.

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