Fragt man den Kunsthistoriker und Leipziger Universitätsprofessor Frank Zöllner, was er von den Anstrengungen der Stadt zur Provenienzforschung hält, findet er keine netten Worte: „Die Museen stehen ja bekanntermaßen unter den Zielvorgaben des Stadtmarketings. Da hat Provenienzforschung keinen Stellenwert. Da geht es um Besucherzahlen und Medienecho.“

Die Museen selbst finden, verständlicherweise, nicht so harte Worte, kritisieren jedoch auch die Kurzweiligkeit der Provenienzforschungsstellen. Bei der Provenienzforschung werden Museumsbestände untersucht, um die Herkunft und den Weg von Kunstobjekten zu erschließen. Dabei wird ein starker Fokus auf die Erschließung von kolonialem oder nationalsozialistischem Raubgut gelegt. „Das ist ein zeitaufwendiger Prozess und somit eine langfristige Aufgabe, die nicht dauerhaft auf zu knapp befristete und drittmittelfinanzierte Stellen ausgelagert werden darf“, so der Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. Das Problem bei den ein- bis maximal dreijährigen Stellen: Die Untersuchungen müssen bis zur nächsten Förderung auf Eis gelegt werden. Währenddessen wechseln die Ansprechpartner/-innen in anderen Museen, Expert/-innen gehen in den Ruhestand, ehemalige Eigentümer/-innen versterben, die Familiengeschichten geraten zunehmend in Vergessenheit. So muss der persönliche Vernetzungsprozess in anschließenden Projekten wieder von vorn erfolgen.

„Die Kritik an der Finanzierung der angeblich zu kurzen Förderung von Forscher- und Forscherinnenstellen kann so pauschal nicht nachvollzogen werden“, heißt es dazu seitens des Kulturdezernates. Dabei verweist man auf die erfolgreiche Verlängerung von zwei Provenienzforschungsprojekten am Museum der bildenden Künste.

„Die Frage ist, ob es reicht, dass schrittweise und durch die auch zeitlichen Beschränkungen der Förderprogramme geforscht wird. Oder gebietet es die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieses Anliegens nicht, Strukturen zu schaffen, die insgesamt die Sammlungen in den Blick nehmen zur vollständigen Erfassung und Forschung?“, fragt GRASSI-Direktorin Léontine. Wie sie wünschen sich auch die anderen städtischen Museen eine dauerhafte Stelle für Provenienzforschung.

Und die erste soll es nun geben: Am Museum für bildende Künste (MdbK) wird derzeit eine „wissenschaftliche Mitarbeiterin oder ein wissenschaftlicher Mitarbeiter Provenienzforschung“ gesucht. Ausschreibungsschluss ist der 30. September 2021. Zwar wurde gerade das MdbK vom Arbeitskreis Provenienzforschung für seine Intransparenz kritisiert; dennoch ist die Einrichtung dieser dauerhaften Stelle ein Schritt in die richtige Richtung.

Damit kommt die Stadt der Museumskonzeption 2030 etwas näher. Diese setzt einen verbindlichen Rahmen für die vier städtischen Museen. Auf Platz eins der acht Schwerpunkte für das Stadtgeschichtliche Museum, das Naturkundemuseum, das Museum der bildenden Künste und das GRASSI Museum steht das Thema Provenienzforschung. Nach vielen Jahren der Drittmittelfinanzierung wird das bisher scheinbar nur plakativ als wichtig dargestellte Thema Provenienzforschung im Haushaltsplan verankert.

Zu weiteren Vorschlägen der Museen und verschiedener Akteur/-innen positioniert man sich im Kulturdezernat jedoch nur zögerlich. Die Ideen umfassen beispielsweise halbe Stellen oder eine Stelle für alle Museen, die mit jedem Doppelhaushalt wechselt. „Die geschilderten Vorschläge zur Einrichtung von Forschungsstellen sehe ich grundsätzlich positiv und wünschenswert. Der Haushalt 2021/2022 ist jedoch bereits durch den Stadtrat verabschiedet. Für den Haushalt 2023 und/oder einen Doppelhaushalt 2023/2024 kann derzeit keine belastbare Prognose abgeben werden“, so Pressereferent Tobias Kobe.

„Nach Jahren des Wartens“ erschien erstmals am 3. September 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 94 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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