Wenn man die üblichen Ausstellungen zur DDR sieht, dann hat man meistens irgendwelche Paraden, Transparente, Tribünen und rußige Schornsteine vor sich. Dann scheint man ein Land vor sich zu haben, das den finstersten Schattenbildern Nordkoreas entspricht. Logisch, dass die meisten Menschen, die es wirklich erlebt haben, mit solcher Malerei nichts anfangen können. Was auch daran liegt, dass ganz andere Bilder und Gegenstände ihren Alltag prägten. Ziemlich moderne Dinger, wenn man es recht betrachtet.

Und recht betrachten kann man es ab heute in der Wechselausstellung „Alles nach Plan? Formgestaltung in der DDR“ im Zeitgeschichtlichen Forum. Eine Ausstellung, die nur möglich war, weil die Formgestaltung in der DDR tatsächlich ebenfalls ein Fall für die Regierung war. Im Westen beschäftigt sich keine Regierung mit dem Thema. Warum sollte sie auch? Ob die formschönen Produkte ihre Käufer finden, entscheidet ganz allein der Markt. Da mischt sich kein Planungsbüro ein.

Aber im Osten herrschte Planwirtschaft. Nicht nur bei der Steuerung der Betriebe und der Herstellung der benötigten Stückgüter. Von Anfang an erklärte sich die alleinherrschende Partei auch zum Sachwalter für das richtige, weil sozialistische Design der Produkte. Zumindest wollte man das gern. Und die ersten Ansätze, wie die Partei- und Staatsführung versuchte, selbst simples Alltagsgeschirr zum Träger sozialistischer Propaganda zu machen, kann man in der Ausstellung sehen. Gleich zu Anfang, dort, wo die Frage steht: Hatte die DDR nun ein eigenes, sozialistisches Design oder nicht?

Am Ende des Rundgangs wird man elf ehemalige DDR-Designer im Videointerview sehen, in dem sie sich Gedanken über ihre Arbeit machen. Und auch über die gestellte Frage. Die sie mit „Nein“ beantworten. Auch wenn das in den ganz oben zitierten DDR-Ausstellungen oft anders aussieht, wo man meist fette Orden, sozialistische Heiligenbilder, Kampftrophäen und anderen Propaganda-Schnickschnack sieht, der tatsächlich schrecklichster sozialistischer Design-Kitsch ist.

Alltags-Design - auch mal kreativ umgewandelt. Foto: Ralf Julke
Alltags-Design – auch mal kreativ umgewandelt. Foto: Ralf Julke

Aber der spielte im Alltag der DDR-Bewohner keine Rolle. Da fand man eher die durchaus unverwechselbaren Geräte von AKA Elektrik, die putzigen Plastikzahnbecher mit weißen Punkten drauf, man ärgerte sich über das robuste Mitropa-Geschirr, war aber froh wie Bolle, wenn man einen Stern-Recorder kaufen konnte oder einen Trabant ergaupeln konnte, der ja nun tatsächlich für ein besonderes und unverwechselbares Design steht.

Und eigentlich bestätigt es die Ausstellung: In der DDR ist tatsächlich ein sehr eigenständiges Design entstanden. Es schwankt in einem seltsamen Spektrum zwischen kindlich-rund, stabil und modern. Man denke nur an das freundliche Ampelmännchen. Der Staat mag finster gewesen sein, sein Alltagsdesign war es nicht. Was natürlich auch an den Formgestaltern des Landes lag, die sehr wohl versuchten, an die europäische Moderne anzuknüpfen. Und zwar konsequent. Aber auch überraschend, weil die SED-Führung (hübsch im Schatten ihrer großen Schwester in Moskau) die Moderne und auch die Bauhaus-Tradition eigentlich in Grund und Boden verdammt hat. Bildende Künstler erlebten die Schikanen und Bosheiten dazu in der Formalismus-Debatte Anfang der 1950er Jahre, in der die SED ihre Vorstellung von „sozialistischem Realismus“ in der Kunst durchsetzen wollte.

Was ihr nur bedingt gelang, auch wenn sie die Künstler des Landes in Angst und Schrecken versetzte. Immerhin war es auch ein Versuch, nun auch noch die Kunst zu kontrollieren und zu reglementieren. Bürokraten sagten jetzt bildenden Künstlern, was Kunst zu sein habe. Und auch in der industriellen Formgestaltung versuchten es die Parteibürokraten. Aber tatsächlich scheiterten sie schon früh. Denn Propaganda verkauft sich schlecht – selbst wenn sie als Auto, Teekanne oder Eierbecher daherkommt.

Das heißt: Während man durch die ersten drei Ausstellungsräume schreitet, sieht man, wie sich das Praktische und Alltagstaugliche gegen alle Bevormundung durchsetzt. Vor allem auch, weil es mit den ökonomischen Zwängen des Landes zu tun hatte: Die Produkte mussten praktisch sein, mussten den Käufern gefallen und mussten vor allem auf die verfügbaren Ressourcen Rücksicht nehmen. Die Not bestimmte den Stil. Aber es war keine nordkoreanische Not. Es war eine DDR-Not: Man versuchte ja bis in die 1970er Jahre hinein immer auch den Anschluss an die Weltspitze zu halten. Und man unterhielt in Leipzig seine Messen, auf denen man natürlich nichts ausstellen konnte, was schon beim Auspacken wie „unverkäuflich“ aussah.

 

Auch auf den Leipziger Messen musste das Design noch funktionieren. Foto: Ralf Julke
Auch auf den Leipziger Messen musste das Design noch funktionieren. Foto: Ralf Julke

Also versuchte man auch in der Formgestaltung den Anschluss zu halten an die Entwicklung im Westen. Und man legte Wert auf das Wort Formgestaltung. Denn – so Dr. Dorothea Kraus, die Projektleiterin der Ausstellung: Man wollte sich ganz bewusst absetzen von der Jagd nach Extravaganz, die in dem Wort Design steckt. Das Motto der Anfangszeiten, so Kraus, lautete nun einmal: „Das Beste für die Werktätigen“. Und diesen Anspruch teilten die Formgestalter der DDR auch, von denen sich die Bekanntesten in den 1950er Jahren inhaltlich natürlich auf Moderne und Bauhaus bezogen. Auch wenn das keiner öffentlich je so geäußert hätte.

Aber die Produkte, die man in der Ausstellung sieht, zeigen, wie sehr man die Maßstäbe des modernen Designs in Formensprache umgesetzt hat. Ob Radios, Kameras, Schreibmaschinen oder Spielzeug – die Produkte wirkten modern, aber auch robust. Denn in einer Sparwirtschaft muss man haushalten. Und man senkt natürlich den Bedarf, wenn man Produkte haltbarer macht. Manche so haltbar, dass sie auch nach Jahrzehnten noch funktionieren. Deswegen wirken viele DDR-Produkte auch so robust, fast kindlich, wie Spielzeug. Die Ansprüche an die Haltbarkeit haben sich auch in ein unverwechselbares Design umgemünzt.

Und das Schöne in der Ausstellung: Die Besucher können einen Blick in die Werkstatt tun. Sie erfahren nicht nur, wie der Staat versuchte, auch beim Thema Formgestaltung den Ton anzugeben, sondern auch, wie die Formgestalter in der DDR arbeiteten, wie aus einem freien Beruf im Lauf der Zeit ein richtiges Hochschulstudium mit eigener Hochschule wurde und wie die frisch ausgebildeten Formgestalter in die Betriebe delegiert wurden.

Wo ihnen dann oft seltsame Aufgaben übergeholfen wurden, spätestens ab den 1970er Jahren, als Honeckers Privatisierung der verbliebenen Privatbetriebe in einer Katastrophe endete. Denn bis dahin waren es vor allem kleine Mittelständler, die die Konsumgüter für die Bevölkerung herstellten. Und auf einmal gab es Lieferprobleme und manchmal gähnende Leere im Laden. Das war die Zeit, als die riesigen, künstlich zusammengefügten Kombinate beauftragt wurden, eiligst eine eigene Konsumgüterproduktion auf die Beine zu stellen. Da wurden dann Formgestalter gebraucht – und mussten zeigen, dass sie auch flexibel waren.

Vor allem, weil die DDR mit ihrem ewigen Devisenmangel nun auch noch mehr exportieren wollte. Also brauchte man auch noch mehr gut designte Produkte, die man auf Messen verkaufen konnte.

Also lernt man auch die Arbeitsbedingungen der Formgestalter in den Betrieben kennen. Und am Ende landet man dann in der Alltagswelt der DDR-Bürger und begegnet altbekannten Produkten, die das Leben der Ostdeutschen bis 1990 begleiteten. Viele haben diese Dinge ja bekanntlich schnell entsorgt und sich mit neuen Westwaren eingedeckt. Und sich hinterher geärgert, weil der schöne Schein im Alltag meist nicht lange hielt.

Man lernt also auch was darüber, warum DDR-Produkte so rundlich und neckisch aussahen. Man darf in alte Unterlagen und Design-Entwürfe schauen. Etwa die zur Entwicklung der nächsten Trabant-Generation, die beinah ein kleiner Golf geworden wäre. Und man erfährt, was die Ausstellungsmacher mit „Aufbruch und Ernüchterung“ beschreiben. Obwohl es eigentlich ein kleiner Sieg des Realismus war, als sich die moderne Formgebung gegen alle Bevormundung der Bonzen durchsetzte.

Was übrigens ab den 1970er Jahren akzeptiert wurde. Das war die Zeit, als man nicht nur geschichtlich wieder an Traditionen anknüpfte, die man vorher bis aufs Messer bekämpft hatte (Luther, Bismarck, Friedrich II.), sondern auch in der Kunst. Da wurde nun auf einmal die Moderne wieder akzeptabel und in Dessau und Weimar knüpfte man ganz bewusst wieder an die Bauhaus-Tradition an. Es wurde sogar ein eigenes Amt für Formgestaltung geschaffen, das emsig alle gelungenen Beispiele guter Formgestaltung sammelte. Das ist die Sammlung, die 1990 rund 160.000 Gegenstände, Fotos, Dokumente und Bücher umfasste, die dann ein paar Jahre durch diverse Instanzen wanderte und 2005 zur Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kam.

„Wir bedienen uns für unsere Ausstellungen immer wieder gern aus dieser Sammlung“, sagt Dr. Jürgen Reiche, Leiter des Zeitgeschichtlichen Forums, das nun diese eindrucksvolle Ausstellung zum Alltags-Design der DDR zeigt. Mit über 300 Exponaten aus der Sammlung, rund 20 Audio-/Video-Stationen und einigen Mitmachelementen. Und am Ende wird der Besucher auch noch eingeladen, sich Gedanken darüber zu machen, was für ihn gute Formgestaltung ist.

Man merkt schon: Gerade weil sich selbst die Formgestalter in der DDR dem verwaschenen Begriff Design verweigerten, entsteht eine schöne neue Ebene, darüber mal nachzudenken. Auch darüber, ob die doch irgendwie markante Ästhetik der DDR-Produkte eigentlich schön ist – oder nur praktisch. Oder gar nichts von beidem.

Die Ausstellung „Alles nach Plan? Formgestaltung in der DDR“ ist im Zeitgeschichtlichen Forum vom 22. Februar bis zum 14. Oktober zu besichtigen.

Um 19 Uhr wird heute die Ausstellung „Alles nach Plan? Formgestaltung in der DDR“ eröffnet

Um 19 Uhr wird heute die Ausstellung „Alles nach Plan? Formgestaltung in der DDR“ eröffnet

 

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