Ein neuer Indieverlag für zeitgenössische afrikanische Gegenwartsliteratur soll frischen Wind in die deutsche Verlagslandschaft bringen. Der Akono Verlag wurde 2020 in Leipzig gegründet und will mit herausragender Belletristik und frischen Covern jenseits von gängigen Afrikabildern zeitgenössische afrikanische Erzählungen in Deutschland stärker verbreiten. Akono publiziert Romane, Kurzgeschichten und Lyrik. Wie das funktionieren soll, haben wir Verlagsgründerin Jona Elisa Krützfeld gefragt.

Das Verlagsprogramm 2021 startet mit der deutschen Übersetzung von Wayétu Moores „She Would Be King“ und Samuel Osazes Lyrikdebüt „Ein Esan-Mädchen tanzen sehen“.Das von der Kulturstiftung Sachsen geförderte Onlinemagazin des Verlages versammelt die Werke einer jungen Generation afrikanischer Künstler/-innen und zeigt ihre Perspektiven, Ästhetiken, Stile und Geschichten. Der Blog des jungen Verlages zelebriert die ästhetischen Ausdrucksformen globaler afrikanischer Kreativität in Literatur, Fotografie, Mode, Design, Musik und Film.

Zuletzt war unter anderem in einem Offenen Brief zum Preis der Leipziger Buchmesse Kritik laut geworden am deutschen Literaturbetrieb, dessen Strukturen Schwarze Schriftsteller/-innen und Schriftsteller/-innen of Colour ausschließen. Dem setzt Akono jetzt Lesenswertes entgegen. Die Gründerin von Akono, Jona Elisa Krützfeld, hat in Leipzig Kulturwissenschaften studiert und ist seit Jahren Mitglied von Leipzig Postkolonial.

Unsere Fragen an Jona Elisa Krützfeld

Warum Afrika? Gelten dieselben Wahrnehmungsprobleme nicht auch für Südasien, Ozeanien oder den Nahen Osten?

Auf diese Frage gibt es verschiedene Antworten, von denen ich Ihnen drei grob umreißen will. Wie Sie ja wissen, bin ich Mitglied von Leipzig Postkolonial und kann natürlich nicht verleugnen, dass mein Unterfangen auch von der Tatsache motiviert ist, dass Wahrnehmungsprobleme, wie Sie es schön ausdrücken, mit der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika zusammenhängen und mit den abwertenden Diskursen, die sich zur Legitimation der imperialen Ausbreitung und vor dem Hintergrund damaliger Annahmen über Fortschritt und Zivilisation entwickelt haben.

Sie kennen sich mit Postkolonialismus aus, deswegen muss ich nicht extra erörtern, was für koloniale Bilderwelten und Stereotype übrig geblieben sind. Es wäre jedoch allzu fad, hier zu generalisieren (aber irgendwie muss man ja Tendenzen beschreiben), denn es gab und gibt immer schon Räume, in denen gegen Exotisierung und Abwertung gekämpft wurde.

Die zweite, viel spannendere Antwort, und auch meine liebere Antwort, ist, dass es mit den eben genannten Gründen zu tun hat, dass „Afrika“ permanent unterschätzt wird. Hegel hat das Paradigma geprägt, dass Afrika außerhalb der Weltgeschichte und der Welt steht und tatsächlich hält sich hartnäckig der Gedanke, dass Afrika der Welt nichts zu bieten habe (außer Katastrophen oder Africa-Rising Hoffnungen und dann wieder Katastrophen).

Sich an eurozentrischen Fortschrittsmaßstäben zu orientieren, verdeckt natürlich auch oft den Blick auf die kulturellen Dinge, die passieren und oft eben nicht aufgeschrieben oder veröffentlicht oder übersetzt werden. Daher setze ich mich für Förderung von Literaturübersetzungen ein, denn ich bin weiß positionierte Kulturwissenschaftlerin und habe für so einen Job das richtige kulturelle und soziale Kapital zur Verfügung.

Wenn man sich in den letzten Jahren in Euro-Amerika so umguckt, kann man schon das Gefühl bekommen, dass das gesellschaftliche Modell westlicher Prägung in eine Sackgasse geraten ist, und es sich lohnen würde, mal wieder woanders nach Inspiration zu suchen. Felwine Sarr führt diese Gedanken in seinem Buch „Afrotopia“ sehr schön aus, da geht es neben wirtschaftstheoretischen Überlegungen auch um Verzauberung und spirituelle und moralische Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Das Profil des Akono Verlags. Grafik: Akono Verlag
Das Profil des Akono Verlags. Grafik: Akono Verlag

Wenn man nach dem Spezifischen der afrikanischen Kreativität fragt, dann könnte ich mit einem Verweis auf Achille Mbembes Afropolitanismus-Begriff antworten, der eine ästhetische, stilistische und poetische Art des Seins in der Welt beschreibt, die sich aus der afrikanischen Zirkulation und Zerstreuung speist, aus Interaktion, Vermischung und Grenzüberschreitung miteinander und dem Rest der Welt, aus der Überlagerung von Kulturen und Sprachen, aber auch von dem Zwang und der Fähigkeit, ständig neu zu erfinden, zu recyceln und Dinge einer Verwendung zuzuführen, für die sie ursprünglich nicht gedacht waren.

Das Besondere an Literatur aus afrikanischen Ländern ist die orale Tradition, von der sie abgeleitet ist, die sie auf eine ganz besondere Weise lebendig macht und die verschiedenen Realitäten, von denen sie informiert ist.

Wenn Sie nun fragen, warum Afrika und nicht Südasien oder Ozeanien oder der Nahe Osten, kann ich nur sagen, dass es in jedem Falle toll wäre, wenn aus allen diesen Gegenden der Welt mehr Bücher übersetzt würden. Es gibt einen wunderbaren Verein in Frankfurt, LitProm, der sich seit 40 Jahren der Förderung von Literatur aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der Arabischen Welt widmet.

Die dritte, sehr pragmatische Antwort ist, dass ich das Glück hatte, als Tochter einer Journalistin schon früh in meinem Leben und für längere Zeiträume in verschiedenen Ländern auf dem afrikansichen Kontinent zu reisen und auch jeweils für mehrere Monate in Südafrika, Simbabwe und Tansania gelebt habe und daher einfach Verbindungen zu Geschichten, Büchern, Menschen und Orten habe. Im Nahen Osten, Ozeanien oder in Südasien war ich sehr selten, daher habe ich dort keine literarische Expertise.

Gibt es in Afrika Affinitäten zu besonderen Ländern? Immerhin haben wir es da ja auch mit mehr als 50 Ländern zu tun.

Es gibt verschiedene Verlage, die in Deutschland schon sehr präsent sind, von denen die meisten in Nigeria oder Südafrika ihren Sitz haben. Generell macht einem das Internet, wenn man mehrere Sprachen beherrscht, recht leicht, gedruckte Werke oder online erschienene Gedichte und Kurzgeschichten aus den meisten der 54/55 Länder ausfindig zu machen.

Ich würde sagen, dass der Einfluss der anglophonen afrikanischen Literatur bisher in Deutschland stärker ist als der der frankophonen. Es gibt aber auch in Deutschland tolle Förderungen für Übersetzungen aus dem Französischen (z. B. hier). Akono hat keine „Spezialregionen“ und in vielen Fällen ist es ohnehin hinfällig, Schriftsteller/-innen nach Nationalitäten einzuordnen, da man dann schnell bei so etwas wie nigerianisch-ghanaisch-britisch-amerikanisch (Taiye Selasi) oder ähnlichem landet.

Können wir also aus bestimmten Ländern verstärkt neue Autor/-innen kennenlernen? Wo sind die interessantesten Orte, die uns da begegnen werden?

Nein, siehe Erläuterungen oben. Die interessantesten Orte, die uns begegnen werden, sind Großstädte, das Internet und die Vergangenheit.

Großstädte: Über 42 Prozent der afrikanischen Bevölkerung lebt in Städten, die Tendenz zur Urbanisierung steigt und wird schon sehr bald prozentual zur Gesamtbevölkerung über dem Urbanisierungsgrad Europas liegen. Großstädte kann man so oder so finden, wie Felwine Sarr sehr schön beschreibt ist es auf jeden Fall ein sinnliches und kognitives Erlebnis, durch eine afrikansiche Großstadt wie Lagos, Abidjan, Kairo oder Dakar zu laufen… „Vitalität, Kreativität und Energie tosen durch die Straßen, Chaos und Ordnung machen einander den Raum streitig; Das Leben, der Puls der Gesellschaft, die Intensität des sozialen Austausches“… das Leben in diesen Großstädten liefert natürlich enorm viel literarischen Stoff.

Internet: Visuell fokussierte Plattformen wie Instagram etwa sind die virtuellen Räume, in denen Afrikaner/-innen und die afrikanische Diaspora Ideen von Afrika darstellen, die sie sehen wollen, die aber selten gezeigt werden. Dort werden zeitgenössische afrikanische Existenzen und Identitäten gezeigt und bekräftigt, und diese entstehen oft aus dem Bedürfnis heraus, den Kontinent und seine Zugehörigkeiten aus der Perspektive von Ruhm und Triumph zu zeigen. Da außerdem die Buchinfrastruktur in vielen Gegenden finanziell nicht besonders gut ausgestattet ist, wird wie gesagt viel Geschriebenes auch online veröffentlicht.

Vergangenheit: Ich finde historische Fiktion besonders spannend, weil bei uns so wenig bekannt ist über die Geschichte afrikanischer Länder (vorkolonial / kolonial /postkolonial) Im Herbst erscheint bei Akono der Roman „She Would Be Kind“ von Wayétu Moore, der in den 1840er Jahren vor dem Hintergrund der Staatsgründung Liberias spielt. Diese war zunächst ein Projekt zur Repatriierung ehemaliger Sklav/-innen aus den Vereinigten Staaten durch die American Colonization Society (ACS).

In den Vereinigten Staaten wird die Geschichte der ACS noch heute oft als Erfolgsgeschichte im dunklen Kapitel der Sklaverei gesehen, doch Moore beleuchtet mit ihrem Roman auch die Nachwirkungen der Umsiedelung in Liberia, wo die Repatriierten ein Regierungssystem errichteten, das nach amerikanischem Vorbild auf Zwangsarbeit und Unterdrückung beruhte.

Dass sich dadurch im Laufe der Zeit eine politische Elite bildete, die die ursprüngliche Bevölkerung des Landes ausschloss, ist eines der zentralen Themen des Buches. Moore schafft es, die Gründungsproblematik Liberias als nuancierten und komplexen Konflikt darzustellen. Viele Leute werden bei Liberia wahrscheinlich vor allem an den Bürgerkrieg denken, aber es gibt noch so viele wenig bekannte Aspekte der Geschichte.

Wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit? Haben Sie Kontakte zu Agenturen, Verlagen oder Kulturministerien der Länder, deren Literatur wir nun kennenlernen werden? Oder basiert alles auf persönlichen Beziehungen und Bekanntschaften?

Ich habe Kontakte zu Agenturen, Verlagen, Schriftsteller/-innen, Festivalorganisator/-innen, Professor/-innen, Literaturinstituten, Kollektiven, Buchläden auf dem afrikanischen Kontinent, in Europa und den USA. Mit Kulturministerien hatte ich bisher keinen Kontakt. Natürlich basiert oft etwas zuerst auf einer persönlichen Beziehung, aber schönerweise werden die meisten Beziehungen mit Menschen, die Begeisterung für afrikanische Literaturen teilen, schnell persönlich.

Wann erscheinen die beiden ersten Titel? Oder sind sie schon auslieferbar?

Der Roman erscheint im Herbst, der Gedichtband im Spätsommer. Nächstes Jahr wird es dann wieder einen Roman, einen Gedichtband (kann ich beide noch nicht verraten) und eine Anthologie geben mit Kurzgeschichten über Liebe und Begehren.

Wie funktioniert das überhaupt mit den Übersetzungen? Brauchen Sie da Muttersprachler als Übersetzer? Gibt es die in Leipzig? Denn ich denke mal, dass ja die übersetzten Titel im Heimatland der Autor/-innen in den dort gängigen Sprachen erscheinen.

Es ist eigentlich gängig, dass man Muttersprachler/-in ist in der Sprache, in die man übersetzt. Das heißt die Übersetzenden müssen deutsch Muttersprachler/-innen sein und natürlich die Sprache, aus der sie übersetzen, sehr gut beherrschen. Ein Großteil der Werke, die Akono bisher auf dem Radar hat, ist auf Englisch (natürlich auch Variationen wie etwa Pidgin English) oder Französisch geschrieben.

Historisch gab es unter afrikanischen Schrifsteller/-innen den großen „Sprachenstreit“, der sich im Wesentlichen darum drehte, ob afrikanische Literatur in den Kolonialsprachen geschrieben werden solle oder in afrikanischen Sprachen. Exemplarisch dafür ist eine Debatte zwischen Chinua Achebe, der meist auf Englisch schrieb, und Ngūgī wa Thiong’o, der lieber auf Agĩkũyũ und für die Kikuyu schrieb. Der übersetzte sich selbst dann noch auf Englisch.

Sind besondere Promotion-Aktionen – wie etwa Online-Lesungen – geplant?

Ja, es sind Online Lesungen geplant, hoffentlich können ja auch post-pandemisch in nicht allzu ferner Zukunft wieder richtige Lesetouren stattfinden.

Und wie möchten Sie gegen die Übermacht der Großverlage ankommen, die ja in Deutschland das Sortiment in den Großbuchhandlungen dominieren? Haben Sie da schon ein paar Ideen?

Direktmarketing! Die anfängliche Strategie wird daraus bestehen, erst einmal etwas abseits des Zwischenbuchhandels zu agieren. Einen guten Teil des Zielpublikums kann man ja heute über die sozialen Medien erreichen (Stichwort Bookstagram). Der Vorteil eines Miniverlages ist, dass ich eine sehr globale Vision über alle Prozesse habe, zu allen Partner/-innen einen persönlichen Kontakt aufbaue und generell mit viel Überzeugung und Begeisterung für die Bücher, die ich vertreiben will, einstehen kann.

Und wie groß ist Ihre Verlagsmann/-frauschaft? Oder greifen Sie da eher auf ein Netzwerk von Mitstreiter/-innen zurück?

Im Verlag bin ich alleine, aber ich arbeite natürlich mit Übersetzer/-innen und Buchgestalter/-innen zusammen.

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