Die Leipziger kennen ein solches Projekt schon als Jahrtausendfeld, auch von der Schaubühne organisiert wurde die riesige Brache westlich des Karl-Heine-Kanals zur Jahrtausendwende in ein ertragreiches Getreidefeld verwandelt – als Zeichen dafür, dass sich mit Brachen in Leipzig mehr anfangen lässt, als sie einfach Jahrzehntelang brachliegen zu lassen. Ein vergleichbares Projekt in Berlin stand jetzt ganz im Zeichen des Friedens.

In den frühen Morgenstunden des 1. September kreiste ein Bauer um die Berliner Siegessäule. 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und 75 Jahre, nachdem an der Siegessäule lebenswichtiges Gemüse angebaut wurde, erinnert er als Wiedergänger an die Nachkriegszeit. Und daran, dass die Siegessäule als kriegerisches Siegesdenkmal weitestgehend unkommentiert im Herzen der Hauptstadt steht.

Die Schaubühne Lindenfels rekonstruierte mit dieser Aktion das historische Bild von 1946 im Rahmen ihres europaweiten Projektes ZUCKER.RAUSCH.GERMANIA. Ein inszeniertes Fotoshooting des Nachkriegsmotives als künstlerische Intervention.

Die Siegessäule ist inzwischen zum touristischen Anziehungspunkt, Wahrzeichen und zur Kulisse für Happenings der Deutschen geworden. Als prominentes und umstrittenes Symbol des Nationalismus und Mahnmal der blutigen Vergangenheit Europas steht sie im Zentrum der Aktion, bei der gleichzeitig ein Pferd aus Zucker um den Leipziger Marktplatz kreist. Weitere Interventionen in Brno und Strasbourg liefern dazu auch die europäische Perspektive.

150 Jahre nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges und der Gründung des Deutschen Reiches wollen die Initiator/-innen die Debatte über den Umgang mit umstrittenen Monumenten anregen. Man kann sie abreißen oder auch stehen lassen – und kommentieren. Eine künstlerische Intervention über Krieg, Nachkrieg, Versöhnung und Zukunft.

Nachkrieg in den Fokus zu nehmen, heißt die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen aufzuzeigen, die bis heute wirken: Traumata, Mangel, Zerstörung – auch von zivilgesellschaftlichen Strukturen, geht die Schaubühne auf das ein, was meist ignoriert wird, wenn Kriegsanfänge und -enden über den Bildschirm flimmern.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 2 Kommentare

#Stefan: Wir haben ein “Ende” draus gemacht. Manchmal lässt die Konzentration leider nach. Da hilft dann auch kein starker Kaffee mehr.

Ach Lizzy. Bist Du ein Opfer des sächsischen Schulsystems? Erbsenzählen ist dort leider kein Hauptfach.

>76 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges

Also vor 76 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, und dann auch nicht am 1. September, sondern am 2. September mit der Kapitulation Japans. Das ist sicher nicht die Pointe der Aktion des Bauern mit den Pferden am 1.9.2021, zumal der 2.9.1945 hierzukontinent nicht so wirklich als besonderes Datum bekannt sein dürfte.

Was man sagen könnte, ist, dass auf dem Foto der Bauer seine friedlichen Kreise 82 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs zieht.

Möglicherweise hat Lizzy sich dann auch mit dem Jahr des Gemüseanbaus getäuscht, aber das könnte sie ja mit einem Abakus aus Annaberg nachprüfen.

Schreiben Sie einen Kommentar