Für FreikäuferGerüchte waberten durch die Stadt. Zweimal – im Frühjahr und im Sommer – wallten die Emotionen hoch: Was hat die Stadt mit dem Bachfest vor? Will sie es gar in irgendeinem anderen Musikfest verbraten? Die Ängste waren verständlich. Aber als Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke am Freitag, 3. November, zur Pressekonferenz einlud, war klar: Auf das Bachfest kann Leipzig gar nicht verzichten. Und doch soll sich etwas ändern.

Auslöser war die Diskussion um die Mendelssohn-Festtage 2016, als auch der Satz die Runde machte, sie würden nun zum letzten Mal stattfinden. Im Lauf der Jahre waren sie schon zu einem immer kleineren Format zusammengeschrumpft. Und dann war da noch das Gefühl, Leipzig würde aus der Zugkraft seiner großen Komponisten nicht genug machen.

Man hat zwar seit ein paar Jahren das Label „Musikstadt“ zum Vermarktungsschwerpunkt im Leipzig-Tourismus gemacht. Oper, Gewandhaus und Thomanerchor sind überregional und international bekannte Marken. Und trotzdem verlor sich im Leipzig-Marketing alles im Klein-Klein. Jeder machte sein Ding, am erfolgreichsten natürlich das Bachfest. Es strahlt international aus, ein Drittel seiner Gäste kommen aus aller Welt. Und mit 40.000 Besuchen zählt es zu den großen klassischen Musikfestivals in Deutschland.

Nur Baden-Baden und Bayreuth hätten mit 65.000 und 60.000 Festivalbesuchen mehr Zugkraft. Bonn mit Beethoven liegt mit 30.000 bis 40.000 auf ähnlichem Niveau wie Leipzig, erklärte Peter Gartiser, Geschäftsführer der Metrum Managementberatung aus München, am Feitag zur Pressekonferenz. Im Raum: sämtliche Größen und Verantwortlichen der Leipziger  Musikinstitutionen. Nicht zufällig: Sie hatten das Gutachten bestellt, das Gartiser am Freitag vorstellt.

Genauer: Bacharchiv, Gewandhaus und Mendelssohn-Haus hatten das Gutachten bestellt und auch 60.000 Euro dafür aufgebracht. Sie wollten selbst wissen, wie die Festival-Landschaft in Leipzig aussehen könnte, wenn sie ihre volle Zugkraft entfaltet. Und das tut sie noch lange nicht. Aber sie hat das Potenzial dazu, stellt Gartiser fest, dessen Agentur den Zuschlag erhielt, und der im Januar daranging, alle Daten und Fakten zu sammeln – über Ticketpreise und Drittmittel, Marketing und Auslastung.

Am Freitag entschuldigte er sich gar, dass er das Ganze durch die wirtschaftliche Brille betrachtete. Aber wenn es um die touristische Vermarktung der Musikstadt geht, geht es nicht ohne diese Brille. Wer seine Stadt nicht als Festival-Ort ins Gespräch bringt und Festivals auch wirtschaftlich erfolgreich macht, spielt keine Rolle im Wettbewerb um das spezielle klassische Publikum. Gartiser sieht Leipzig zwar vom musikalischen Potenzial auf Augenhöhe mit Wien und Prag. Aber was ein wirklicher Festival-Selbstläufer ist, das zeigt die österreichische Stadt Salzburg mit 220.000 Besuchen bei den Festspielen.

Mozart zieht.

Leipzig hat eher ein anderes Problem: Es hat zu viele hochkarätige Komponisten, die eigentlich alle ein eigenes Festival wert sind – neben Bach natürlich Mendelssohn, Wagner, die Schumanns, auch Mahler. Doch die kleineren Festwochen hatten immer das Problem: Ihnen fehlt das mittlerweile hochprofessionelle Management des Bachfestes und meist müssen sie sich irgendwie in den Spielplan des Gewandhauses hineinquetschen. Oder in den der Oper, wie die Wagner-Festtage, die sich mittlerweile zu einem Klein-Bayreuth entwickelt haben und sich eigentlich auch nicht quetschen müssen, denn sie finden wie selbstverständlich im Opernprogramm statt und die Wagner-Freunde honorieren es.

Aber die Frage lautete ja: Wie kann man mehr draus machen?

Das Bachfest-Foyer in der Petersstraße. Foto: Bachfest Leipzig, Sandra Schmidt
Das Bachfest-Foyer in der Petersstraße. Foto: Bachfest Leipzig, Sandra Schmidt

Denn eins konnte Gartiser schon früh konstatieren: Das Potenzial ist groß. Es gibt wenige Städte in Europa, die so viel musikalische Professionalität aufbieten können.

Drei verschiedene Szenarien habe man ausgearbeitet, wie Leipzig damit umgehen könnte, erklärt Gartiser. Die wurden allen Beteiligten vorgestellt und diskutiert. Und als Gartiser das Feedback eingesammelt hatte, stellte sich ein Vorzugsszenario heraus, dessen wichtigster Bestandteil natürlich das Bachfest ist: zum angestammten Termin im Jahreskalender um Pfingsten und mit dem angestammten Management. Daran sei nicht zu rütteln, sagt Gartiser. Aber: Man könne mehr draus machen. Nicht nur, indem man deutlich mehr Konzerte in die großen Kirchen St. Thomas und St. Nikolai verlegt und die Platzauslastung von 69 Prozent deutlich erhöht. Sondern auch – das wird dann an anderer Stelle deutlich – indem das Bachfest Teil eines die ganze „Musikstadt Leipzig“ umfassenden Marketings wird, für das dann die LTM den Hut aufhat.

Denn das erwies sich auch diesmal wieder als Knackpunkt: Das konzentrierte (Tourismus-)-Marketing für die „Musikstadt Leipzig“ fehlt. In dem das jährlich stattfindende Bachfest die tragende Säule ist, ergänzt – so der Vorschlag – um Festspiele, für die Gartiser die Arbeitstitel „Gewandhausfestspiele“ und „Opernfestspiele“ vorschlägt. Womit einerseits die beiden großen Leipziger Musikhäuser eingebunden sind, andererseits auch die Festreihen für Mendelssohn und Wagner aufgefangen werden, ohne dass sich eine Vielzahl kleiner Festivals in Leipzig kannibalisieren.

Denn auch das betont Gartiser: Der Markt der Klassik-Freunde ist begrenzt und sensibel. Und viele Städte streiten um dieses Publikum. Da ahnt man, warum Gartiser vorschlägt, nur zwei große Festivals im Leipziger Musikkalender zu verankern.

Gewandhaus- und Opernfestspiele sollen sich jährlich abwechseln. Und damit wechselt auch jedes Jahr ihr Schwerpunkt. Mendelssohn wird bei den Gewandhaus-Festspielen zur großen Klammer für ein Festival, das sich vorrangig der Musik der Romantik widmet, aber einzelne Festjahre auch gezielt Mahler und Schostakowitsch widmet. Womit klassisches Konzert-Publikum angesprochen wird.

Nach dem vorgeschlagenen Rhythmus wäre das erste Gewandhaus-Festspiel 2019 dran. „Das ist freilich sehr sportlich“, sagt Prof. Andreas Schulz, der Geschäftsführer des Gewandhauses. Normalerweise muss er hochkarätige Konzerte vier bis fünf Jahre im Voraus planen. Aber den Vorschlag findet er gut. Man werde wohl ganz klein anfangen und so langsam in den Festival-Zyklus hineinwachsen.

Etwas leichter ist es, den Opern-Festspiel-Zyklus auf die Bahn zu bringen, denn Ulf Schirmer, der Intendant der Oper Leipzig, hat Wagner-Inszenierungen seit 2013 wieder zum festen Repertoirebestandteil gemacht. Und die Wagner-Festtage gibt es ja schon. Sie wären die Grundlage für ein aller zwei Jahre stattfindendes Opern-Festival.

In dem vorgeschlagenen Vorzugs-Szenario, so Gartiser, würden sich alle Beteiligten wiederfinden können.

Was bleibt als Ergebnis: Das Bachfest steht als „einzigartiges spirituelles Festivalerlebnis“ unverrückbar in der Landschaft und müsste, so Gartiser, nur noch einige „Optimierungspotenziale“ erschließen, um die Zahl der Besuche um 10.000 zu steigern.

Gewandhaus- und Opern-Festival würden das Bachfest im jährlichen Wechsel ergänzen und ebenfalls mehr Festivalgäste anziehen.

Wobei der Zeitpunkt dieser Festivals noch nicht feststeht. Das müsste noch ausdiskutiert werden. Gartiser meint, sie sollten in zeitliche Nähe zum Bachfest stattfinden. Aber das hat ja schon einen traditionellen Festival-Partner – nämlich die Händel-Festtage in Halle. Da ist zumindest Vorsicht geboten.

Aber dass man die Festivals unter einer gemeinsamen Dachmarke – wie etwa „Musikstadt Leipzig“ – international und langfristig vermarktet, liegt eigentlich nahe. Hier kann man Ressourcen bündeln. Denn um Geld geht es natürlich auch, auch wenn das nicht Inhalt des Gutachtens war. Einerseits erhöhen sich die Chancen auf Drittmittel, wenn Festivals besser vermarktet werden und mehr Publikum anziehen (Gartiser hält bis zu 75.000 Festivalbesuche pro Jahr für möglich, womit Leipzig deutschlandweit die Nr.1 wäre, aber noch ein Stück weit hinter Salzburg zurückläge), andererseits liegt es am Leipziger Stadtrat zu entscheiden, ob er die Förderung für die Festivals erhöht und die LTM mit dem Marketing beauftragt.

Das sei alles noch offen, betont Skadi Jennicke.

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