Was sich am Samstag, den 7. Oktober gegen 21:30 Uhr, genau in einer, laut Polizei „Kindertagesstätte“, Wohnung in der Hahnemannstraße zutrug, wissen wohl die am besten, die dabei waren. Und die Schilderungen sind überaus konträr. Nachdem am Sonntag, 8. Oktober, die Leipziger Migrations-Konferenz mit einer Stellungnahme zum Polizeieinsatz in Altlindenau an die Öffentlichkeit getreten war, bei welchem ein Referent in Handschellen gelegt wurde, erfolgte nun am heutigen Tag die Reaktion der Polizeidirektion Leipzig. Statt auf die Fragen der L-IZ.de zu antworten, versandte man eine Pressemitteilung. Man vermutete einen Einbruch, sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt und Leipzigs Polizeipräsident schaltet sich ein. Dennoch bleiben Fragen offen.

Die Aussagen der zwei betroffenen Teilnehmer und Referenten der Migrations-Konferenz sind klar. Man sei zu Bett gegangen und plötzlich hätte die Polizei vor der Tür gestanden. Nicht zwei oder vier, sondern mindestens acht bis zehn, wie sich auf L-IZ-Nachfrage ergab, haben Zeugen gezählt. Nachdem man sich innerhalb der Wohnung, welche von einer Tagesmutter ab und zu zur Kinderbetreuung genutzt wird, wohl noch berappeln musste, hatte man von sich aus die Tür geöffnet – im Schlafanzug. Die Polizei selbst sah sich in einem Einsatz wegen eines mutmaßlichen Einbruchs und gibt nun an, gerufen worden zu sein. Weil ein Anwohner in den Räumen Licht gesehen und sie informiert habe.

Polizeisprecher Uwe Voigt zum weiteren Verlauf: „Beim Eintreffen der Beamten brannte in den Räumen der Kindertagesstätte kein Licht. Als sich die Beamten in das Haus begaben, bemerkten Sie Personenbewegungen in den Räumlichkeiten. Ein Polizist klopfte daraufhin mehrfach gegen die Tür und forderte die Personen lautstark, mit den Worten, „Polizei aufmachen“! auf, die Wohnungstür zu öffnen.“

Die Tür öffnete sich. Bis hier ein Vorgang, bei dem man wohl nach einer Prüfung der Identitäten angesichts der Schlafanzugträger locker wieder hätte auseinandergehen können. Doch es kam anders.

Sicht 1, die der Konferenzveranstalter und der Betroffenen

„Nachdem ein Referent die Tür geöffnet hatte, ging einer der Polizisten sofort gewaltsam auf ihn los, rief ‚Ausweis, Ausweis‘ und verdrehte ihm gleichzeitig schmerzhaft den Arm – und dies, obwohl beide Referenten ruhig reagierten und sich gesprächsbereit zeigten. Einem der Referenten wurden sogar Handschellen angelegt“, so die Konferenz-Veranstalter von der Initiative „Selbstbestimmt & solidarisch!“

Konferenz-Teilnehmer und Betroffener des Einsatzes, Richard Djif, zu dem, was aus seiner Sicht geschah: „Mich hat schockiert, dass die Polizisten sofort Gewalt angewendet haben, obwohl wir nur Schlafanzüge trugen und ganz offensichtlich nicht gefährlich waren. Ich fühle mich sehr unsicher in Deutschland, wenn rassistische Vorurteile bei der Polizei zu solchen Übergriffen führen.“

Referent Péguy Takou Ndie schildert sein Verhalten so: „Ich wollte einen Freund anrufen, damit er mit der Polizei spricht, warum wir hier untergebracht sind und dass alles seine Richtigkeit hat“, so Ndie, „aber ich wurde gar nicht erst angehört. Mir wurde einfach der Arm so sehr nach hinten gebogen, dass ich heute noch Schmerzen in der Schulter habe.“ Auf L-IZ.de-Nachfrage wird klar: Beide sprechen fließend deutsch, konnten sich also gegenüber den Beamten klar äußern.

Dass es dennoch zum massiven Vorgehen einer an Mannstärke weit überlegenen Polizeigruppe kam, sehen sie als einen Ausdruck von rassistischen Vorurteilen. (zur ganzen Pressemitteilung)

Sicht 2, die der Polizei

Man habe mehrfach klopfen müssen (normal bei schlafenden Personen) „und so lag der Verdacht nahe, dass es sich bei den Personen im Objekt um Unberechtigte handelte“, so Voigt. „Nach einigen Minuten wurde die Tür durch zwei Personen von innen geöffnet. Die Räume der Kindertagesstätte wurden betreten, und an die Personen erging die Aufforderung, sich auszuweisen. Eine Person wies sich sofort aus. Eine zweite Person wurde unverständlicherweise zunehmend verbal aggressiv und weigerte sich, sich auszuweisen, bzw. mitzuteilen, wo sich sein Ausweis befand.“

In der Folge sei er „auf die Beamten zugegangen und blieb trotz Aufforderung nicht zurück und wurde zunehmend handgreiflich. Aus diesem Grund wurde ihm kurzzeitig die Handfessel angelegt. Auch daraufhin war keine Kommunikation mit ihm möglich.“

Übersetzung: der Angesprochene habe sich nicht kooperativ, sondern aggressiv gezeigt und sei zu fesseln gewesen. Wie der offenbar nicht einbezogene Zustand der angetroffenen zwei Menschen im Schlafanzug und die Aussage beider zu dieser Ablaufdarstellung passen, bleibt offen. Auch, ob die Wohnung, welche zeitweilig auch zur Kinderbetreuung genutzt wird, eine Kindertagesstätte ist. Und ganz sicher bleibt auch die Frage, ob ein Notruf bei der Polizei eingegangen wäre, wenn sich im erleuchteten Parterre eben nicht Menschen aus Kamerun bewegt hätten.

Nun klärte sich das Missverständnis auf, die Übernachtung wurde durch ein Telefonat bestätigt und die Handfesseln wieder entfernt. „Zu keiner Zeit wurde von dieser Person geäußert, Schmerzen zu haben und medizinische Hilfe zu benötigen. Auch wurde in der Zwischenzeit der Ausweis dieser Person aufgefunden“, so Voigt zur Sicht der Polizei auf den Verlauf. (hier gehts zur gesamten Stellungnahme auf L-IZ.de)

Das sehen die beiden Betroffenen anders.

Rassismus ja oder nein?

Bereits vor Ort fällt erstmalig der Rassismusvorwurf – gegenüber der Polizei, die in ihrer Pressemitteilung vergisst zu erwähnen, ob der Anrufer bei ihnen „dunkelhäutige Menschen“ erwähnt hat. Uwe Voigt für die Polizei weiter zum Nachspiel des Einsatzes schon vor Ort: „Eine Bekannte der Tagesmutter kam zum Ort und die Polizei erläuterte Ihr den Ablauf der vorangegangenen Einsatzmaßnahme. Sichtlich erbost über das Aufgebot der Polizei, gab diese Frau zu verstehen, dass die Beamten doch nur hier seien, weil die Personen ‚dunkelhäutig‘ seien.“ Wie gesagt: ob der Tippgeber von „Ausländern“ oder nur vom Verdacht des Einbruchs sprach, lässt er offen, der Rassismusvorwurf gegen die Polizei sei hingegen zurückzuweisen.

Vielmehr verlangt die Polizei nun noch, Veranstalter sollten zukünftig ihre Konferenzen explizit auch bei der Polizei vorab anmelden. „Die hier erwähnte Konferenz ‚Selbstbestimmt und solidarisch! Konferenz zu Migration, Entwicklung und ökonomischen Krise‘, welche über drei Tage stattfand, war der Polizeidirektion Leipzig nicht bekannt. Üblicherweise werden die Polizeireviere über derartige Veranstaltungen in Kenntnis gesetzt. Außerdem ist es üblich, dass bei einer großen Zahl an Übernachtungsgästen, welche dezentral in verschiedensten Einrichtungen (z. B. Turnhallen/Kindergärten oder Schulen) übernachten, die Polizei in Kenntnis zu setzen, um derartige Unannehmlichkeiten zu vermeiden.“

Man liest, langsam wird es windschief. Es handelte sich um eine Wohnung, keine Schule, Turnhalle oder eine städtische Kita. Man darf gespannt sein, wie andere Veranstalter mit diesen Hinweisen umgehen sollen. Alle Wohnadressen melden, bei denen Gäste einquartiert werden? Nur wenn sie dunkelhäutig sind oder irgendwie fremd aussehen könnten?

Letzte Worte vom Polizeipräsidenten

Der Polizeipräsident Bernd Merbitz: „Ich verwahre mich entschieden dagegen, dass meine Polizei als ‚rassistisch‘ in diesem Zusammenhang dargestellt wird. Zu einer Demokratie gehört es, beide Seiten anzuhören. Eine Stigmatisierung der Polizei ist eine Unverschämtheit. Das ist Stimmungsmache. Warum hat man die Polizei über eine derartige Veranstaltung, welche ich für sehr bedeutsam halte, nicht informiert? Kann man es einem Bürger verübeln, welcher über Notruf die Polizei verständigt, wenn Personen zu ungewöhnlicher Zeit in einer Kindertagesstätte sind?“

Der Verdacht einer Straftat habe nahegelegen. „Was wäre, wenn die Polizei nicht reagiert hätte? Die Maßnahme wurde nach Klärung sofort abgebrochen. Deshalb sollten Polizisten Rassisten sein? Meine Polizei macht eine gute Arbeit. Überlegen Sie, was Sie mit einer solchen Aussage für Schaden angerichtet haben. Hätten Sie doch das Gespräch mit mir gesucht. Nein, erst einmal die Polizei verurteilen. So geht das nicht. Dafür habe ich kein Verständnis!“, so Merbitz.

Das mit dem (gegenseitigen) Verständnis wird wohl ebenfalls offenbleiben müssen. Es geht eben nicht um das Ob, sondern das Wie, wenn der Schutzmann klingelt.

Rassismus ja oder nein? (2): Betroffene prüfen juristische Schritte gegen die Polizei

Rassismus ja oder nein? (2): Betroffene prüfen juristische Schritte gegen die Polizei + Video

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 8 Kommentare

Liebe Ellen,
ich wohne selber in Leipzig. Das mit dem “vor Ort” bezog sich lediglich auf den Vorfall in der Kita.

Was die Kriminalitäts-Hochburg angeht, so verweise ich auf die Kriminalstatistik 2016:
“Leipzig ist in der bundesweiten Kriminalstatistik auf Platz 2 vorgerückt. Mit 15.811 Straftaten je 100.000 Einwohner liegt die Messestadt hinter Berlin (16.161 Taten).”
In dieser offiziellen Statistik sind ja bei weitem nicht alle Straftaten enthalten. Wie viele Dinge werden aus verschiedenen Gründen (Sprachbarriere, Angst, Zeitmangel, usw.) gar nicht erst angezeigt?
Wobei mir natürlich auch bewusst ist, dass dort aber auch Dinge enthalten sind, über deren Einordnung als Straftat man durchaus diskutieren kann.

Aber ich denke, wir werden wohl trotzdem auf keinen gemeinsamen Nenner kommen. Das gute ist ja, das jeder von uns seine eigene Sicht der Dinge haben und auch äußern darf. Das ist ja nun auch nicht gerade in allen Ländern der Welt die Norm.

Lieber André,
da hast du recht.
Wenn du Leipzig als Kriminalitäts-Hochburg siehst,
bist du weder vor Ort noch kannst hier etwas konstruktiv beitragen. Einer sieht’s halt so, der andere so..

Liebe Ellen,
da meine (und andere privat genutzte) Wohnung(en) auch nachts im Normalfall regulär in Benutzung sind, dürfte sich die Frage nach einer vorherigen Anmeldung da nicht stellen.

Aber eine (in welcher Form auch immer gestaltete) Kita ist ja nunmal nur tagsüber in Gebrauch (mir ist zumindest keine Nacht-Kita bekannt).
Wenn mir da abends verdächtige Bewegungen drin auffallen, würde ich wohl auch die Polizei informieren.

Und ich gebe dir vollkommen Recht, dass die Polizei dringend mehr Personal auch vor Ort braucht, gerade auch in Leipzig, als Kriminalitäts-Hochburg.

Ansonsten kann ich zu dem Fall nichts weiter beitragen, da ich ja, wie wohl der Rest von uns, nicht persönlich vor Ort war.

Die Gefahr besteht darin, dass hier eine weitere Tür geöffnet wird, um die Polizeigesetze zu verschärfen.

Anstatt die örtlichen Polizeireviere durch mehr Personal zu stärken (um mal schnell vor Ort nach dem Rechten zu schauen) wird aus Spargründen zentralisiert. Zugegebenermaßen (noch, bzw. SEK-Einheit bei Demo in Wurzen am 2.9.2017) schwarzmalend, steht dann wegen jeder Lärmbelästigung ein SEK vor der Tür. Und die gehen davon aus, wenn sie gerufen werden, dass sie sich, auch persönlich, in einer Bedrohungslage befinden, und agieren dementsprechend.

Die direkten Nachbarn kann man informieren, aber für ÜbernachtungsgästInnen Aushänge machen, damit die von Gegenüber nicht telefonieren müssen, naja..

Das eigentliche ist,dass die Polizei auch indirekt aussagt, selber Schuld, ihr hättet uns vor der Veranstaltung ja informieren können. Dann hätten wir..

Ja, was, Einsatzkräfte herangezogen, eine friedliche Konferenz mit überzogener Einsatztechnik abgesichert..? Nach Lagebeurteilung des sächsischen Innenministers..

Und damit bleibt die Aussage:
“Das mit dem (gegenseitigen) Verständnis wird wohl ebenfalls offen bleiben müssen. Es geht eben nicht um das Ob, sondern das Wie, wenn der Schutzmann klingelt.”

Vielleicht wärs klüger gewesen, die Nachbarn zu informieren, kar wundern die sich, wenn da auf einmal Nachts wer drin ist. Aber wie oben ja schon steht – das hätte man schnell klären können. Und natürlich wär das ganze bei weißen Übernachtungsgästen anders abgelaufen, wen wollen die denn veralbern? Dass nicht die komplette Polizei aus Rassisten besteht, ist schon klar (wenns wahrscheinlich auch mhr sind, als dem Präsi lieb sein dürfte). Aber Vorurteilsfrei war das auch nicht, und ist es bei dieser Hautfarbe selten bis nie. Jeder Polizist, der das leugnet, verspielt eine Menge Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Lieber Andrè,
vorherige Kenntnis einer ‘außerplanmäßige Nutzung’ einer Wohnung/Gewerberaum ?
Wie soll das gehen (Hausbuch?!) und willst du das wirklich, wenn du mal ÜbernachtungsgästInnen hast, selber der Polizei melden? *grübel*

Die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischen liegen.

Auf jeden Fall kann ich aber die Polizeiforderung nach Anmeldung zu einem gewissen Grad nachvollziehen.
Bei einer “Wohnung” (ist das in dem Fall nicht eher Gewerberaum?) in der sonst Kinder betreut werden und daher abends/nachts sonst keine Nutzung besteht, ist das durchaus ein Indiz für die aufmerksame Nachbarschaft, dass dort etwas unrechtes im Gange sein könnte. Für die Klärung des Sachverhaltes ist dann nunmal die Polizei zuständig, die sich bei vorheriger Kenntnis einer außerplanmäßigen Nutzung den Einsatz sparen kann und dann lieber richtige Verbrecher jagen kann.

Keine Informationen bei der Polizei.. ^^
Achja, das gute alte linksunten .. immer wieder schön zu lesen, wem das alles fehlt:
‘„Über Linksunten wüsste ich wahrscheinlich mehr“, scherzte Loepki.'(1*)

PS: Wird da jetzt eigentlich bei jedem telefonisch geäußerten Einbruchsverdacht das örtliche Polizeirevier so in Panik versetzt, dass die ‘Inspektion Zentrale Dienste’ aus Paunsdorf angefordert wird..
(bestimmt mind. 15 min – da wäre ein ‘normaler Einbrecher’ schon lange weg..)

Aber vielleicht war das ‘gut gewollte’ Anliegen der Polizei Leipzig ja, auf die Konferenz und ihre Hintergründe aufmerksam zu machen.. ^^

1*) Quelle: 29.8.2017
https://www.l-iz.de/leben/faelle-unfaelle/2017/08/Nach-Linksunten-Verbot-Spontandemo-loest-Polizeieinsatz-in-Connewitz-aus-189804

Schreiben Sie einen Kommentar