Im Rahmen einer Razzia im Raum Jena (Thüringen) hat die Polizei einen 24-jährigen Mann festgenommen, der im Jahr 2021 einen NPD-Politiker im nordsächsischen Eilenburg angegriffen und verletzt haben soll. Der Beschuldigte ist unter Auflagen mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Die Durchsuchungsmaßnahmen fanden bereits am gestrigen Mittwoch statt, wie das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen heute mitteilte. Insgesamt drei Objekte wurden nach Angaben des LKA durchsucht, darunter laut mehreren Medienberichten die Wohnung des Tatverdächtigen und die seiner Eltern.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, welche die Ermittlungen leitet, wirft dem Beschuldigten gefährliche Körperverletzung und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor. Er soll „mit weiteren Personen aus dem linksextremistischen Spektrum“ im März 2021 „ein Mitglied des politischen Gegners überfallen und verletzt“ haben.

Bei der Tat handelt es sich nach LZ-Recherchen um den Überfall auf den Eilenburger Rechtsextremisten Paul Rzehaczek. In den frühen Morgenstunden des 11. März 2021 klingelten Unbekannte bei Rzehaczek, kurz danach überwältigten sie den 30-Jährigen in seiner Wohnung und schlugen auf ihn ein. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden mussten seine Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. Medienberichte über mehrere Knochenbrüche an beiden Sprunggelenken dementierte Rzehaczek wenige Tage später in einem Video in den Sozialen Netzwerken. Er habe keine Frakturen erlitten, so Rzehaczek weiter.

Geschädigter war jahrelang Bundeschef der Jungen Nationalisten

Zum Zeitpunkt des Überfalls war Rzehaczek NPD-Mitglied und Bundesvorsitzender der Jungen Nationalisten (JN), die Jugendorganisation der rechtsextremen NPD. Im Frühjahr 2022 wurde er nach zehn Jahren in diesem Amt von Sebastian Weigler abgelöst. Der sächsische Verfassungsschutz beschreibt Rzehaczek in seinem Jahresbericht 2021 als „langjährigen und sehr engagierte Szeneaktivisten, der auch außerhalb der JN über eine entsprechende Reputation verfügt“.

Nach dem brutalen Überfall auf Rzehaczek initiierten JN- und NPD-Kader mehrere Solidaritätsaktionen für ihren Kameraden, beispielsweise eine Kundgebung am 18. April 2021 in Dresden unter dem Motto „Linksterror stoppen – Antifa verbieten“. Nach dem Angriff war Rzehaczek weiter politisch aktiv, unter anderem als Redner auf den Montagsdemonstrationen der „Bürgerbewegung Leipzig“. Paul Rzehaczeks Vater saß für die NPD im Eilenburger Stadtrat und war bis 2015 Betreiber eines rechten Szene-Versands.

Mit der gestrigen Festnahme des 24-jährigen Tatverdächtigen kann die sogenannte Soko Linx des LKA Sachsen nach über zwei Jahren einen Ermittlungserfolg in diesem Fall vermelden. Noch am Mittwochnachmittag wurde der Beschuldigte einem Haftrichter vorgeführt, der ihn unter nicht näher bekannten Auflagen auf freien Fuß setzte.

Die Polizeikräfte nahmen bei den Durchsuchungen „Speichermedien, Mobiltelefone, Pyrotechnik, Pfefferspray und Funkgeräte“ mit, die derzeit begutachtet und ausgewertet werden.

Hausdurchsuchungen bei der „Letzten Generation“ am selben Tag

Was im Zuge dieser Meldungen zum Nachdenken anregt: Am gestrigen Mittwoch sorgten außerdem Hausdurchsuchungen bei der klimaaktivistischen Gruppe „Letzte Generation“ für bundesweite Schlagzeilen, angestrengt von der Polizei und Generalstaatsanwaltschaft München. Und zwar – wie bei der Razzia gegen den mutmaßlich linksradikalen Beschuldigten aus dem Raum Jena – mit Berufung auf den Paragrafen 129 des deutschen Strafgesetzbuches.

Der Paragraf gibt Ermittlungsbehörden weitreichende Befugnisse, beispielsweise dürfen sie Telefone überwachen. Dafür ist bereits ein Anfangsverdacht ausreichend.

Die bayerischen Behörden mussten kurz nachher allerdings grobe Fehler bei der Vorbereitung der Durchsuchungsmaßnahmen einräumen: Sie hatten im Rahmen der Razzia unter anderem die Website der „Letzten Generation“ beschlagnahmt und auf die Website des LKA Bayern umgeleitet. Dort war davon zu lesen, dass es sich bei der „Letzten Generation“ um eine „kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB“ handele.

Das stimmt nicht. Es ist nach wie vor rechtlich umstritten, ob die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung nach dem Strafgesetzbuch zu werten ist. Derzeit liegen lediglich Hinweise auf einen Anfangsverdacht vor, wie die Generalstaatsanwaltschaft München gestand. Somit darf sie gegen die „Letzte Generation“ mit den Befugnissen des § 129 StGB überwachen, die „Letzte Generation“ aber nicht als kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB bezeichnen oder gar behördliches Vorgehen mit dieser falschen Tatsachenbehauptung rechtfertigen.

Denn bisher hat kein Gericht bestätigt, dass die Gruppe die Kriterien für eine solche Einstufung erfülle. Die „Letzte Generation“ will sich gegen das Vorgehen der bayerischen Behören juristisch wehren.

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