Sie war überall in den Medien: die Befragungsergebnisse der Entwicklungsorganisation Plan International. Die Schlagzeilen: „Jeder dritte junge Mann findet Gewalt gegen Frauen akzeptabel“. 33 Prozent der befragten Männer zwischen 18 und 35 Jahren hätten angegeben, es sei „akzeptabel“, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin mal „die Hand ausrutscht“. 34 Prozent seien gegenüber Frauen* sogar schon handgreiflich geworden.

Schnell gab es Kritik an der Aussagekraft der Befragung. Diese sei nicht unter den anerkannten wissenschaftlichen Standards durchgeführt worden. So ist über die Auswahl der Teilnehmer*innen nichts bekannt. Außerdem wurden diese, wie bei einem „Access-Panel“ üblich, für die Teilnahme bezahlt. Zwar ist die Umfrage laut Plan International repräsentativ, aber auch daran gibt es Zweifel.

Was sagen polizeiliche Statistiken und anerkannte Studien zum Thema „Gewalt gegen Frauen*“?

Häusliche Gewalt: Alle drei Tage stirbt eine Frau

Die Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) zu  „Partnerschaftsgewalt“ zeigen, dass auch 2021 die Fälle auf einem hohen Niveau bleiben. 143.604 Opfer von Gewalt in Partnerschaften (Ehen, eingetragene Lebenspartnerschaften, nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, ehemalige Partnerschaften) wurden polizeilich erfasst. Die überwiegende Zahl der Opfer – rund 80 Prozent – waren Frauen*. Die Täter sind zumeist Männer (79 Prozent).

Unter den über 140.000 Fällen sind insgesamt 369 Menschen Opfer von Tötungsdelikten geworden (301 Frauen und 68 Männer). 113 Frauen und 14 Männer kamen dabei ums Leben.

„Fast jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem derzeitigen oder ehemaligen Partner getötet. Diese Verbrechen werden oft als ‚Beziehungstaten‘ bezeichnet, aber diese Frauen müssen sterben, weil Männer ihre Macht, ihre Kontrolle über die Frauen behalten wollen“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus nach der Veröffentlichung der Zahlen Ende 2022.

Diese dürften in Wahrheit aber weit höher liegen. In der BKA-Auswertung sind nur die bei der Polizei gemeldeten Fälle enthalten. BKA-Präsident Münch kommentierte, dass von einem „erheblichen Dunkelfeld“ auszugehen sei.

9 von 10 Fällen im Dunkelfeld

Die aktuellsten deutschlandweiten Daten entstammen einer Studie von 2014. Dabei befragte die European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) europaweit rund 42.000 Frauen in Interviews zu ihren psychischen, physischen und sexualisierten Gewalterfahrungen innerhalb und außerhalb sozialer Beziehungen.

In Deutschland wurden 1.534 Frauen befragt. Insgesamt 3 % der Befragten, die zwischen 18 und 74 Jahren alt waren und in einer Partnerschaft lebten bzw. gelebt haben, gaben an, in den 12 Monaten vor dem Interview Erfahrungen mit physischer oder sexualisierter Gewalt durch eine/n (Ex-)Partner/in gemacht zu haben.

Diese Zahlen decken sich mit einer Dunkelfeldbefragung des LKA Niedersachsen von 2013. Zwar seien Frauen und Männer der Studie zufolge gleich häufig von Partnerschaftsgewalt betroffen. Doch Frauen haben deutlich häufiger schwere Formen körperlicher Gewalt erfahren. Insgesamt wandten sich nur 11 % der Opfer körperlicher und sexualisierter Gewalt an die Polizei. Demnach blieben 9 von 10 Fällen im Dunkelfeld.

25 Prozent der Frauen haben schon Partnerschaftsgewalt erlebt

Weitere Daten zur Gewaltbetroffenheit von Frauen lieferte zuvor die 2004 veröffentlichte repräsentative Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Rund 25 % der Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren gaben hier an, mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexualisierte Partnerschaftsgewalt erlebt zu haben.

Zudem sind mehrere Dunkelfeldstudien geplant, um die Datenlage zu verbessern. Zum einen soll es eine Befragung zur Gewaltbetroffenheit in Deutschland geben. Diese Dunkelfeldstudie wird vom BMFSFJ, BMI und BKA gemeinsam durchgeführt, die Ergebnisse sollen 2025 vorliegen.

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist rund um die Uhr erreichbar, anonym und in 18 Sprachen kostenfrei: 08000 116 016. Hilfe gibt es auch über die dazugehörige Internetseite www.hilfetelefon.de. Für Männer gibt es im Übrigen das Männerhilfetelefon: 0800 1239900.

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