Der Platz des Angeklagten am Leipziger Landgericht blieb am Mittwochmorgen leer – dabei geht es für den 37 Jahre alten Mark F. (Name geändert) um viel. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann eine sexuelle Beziehung zu einem damals minderjährigen Mädchen vor, in deren Rahmen er sie mehrfach vergewaltigt und schwer misshandelt haben soll. Der Vorladung zum Prozess blieb er nun zunächst fern, da er offenbar unter dem Einfluss von Neuroleptika stand und nicht wach zu bekommen war.

Triggerwarnung: In diesem Text werden körperliche und sexualisierte Gewalt sowie deren Folgen benannt. Dies kann belastend und (re)traumatisierend wirken.

Sina G. (Name geändert) ist jetzt fast 21 – doch sie war noch minderjährig, als ihr schier Unvorstellbares widerfahren sein soll. Laut Ermittlungen lernte das junge Mädchen, noch keine 16, den damals 32-jährigen Mark F. auf dem Leipziger Wave-Gotik-Treffen im Mai 2018 kennen. Beide seien ein sexuelles Verhältnis eingegangen, bei dem Mark F. dominierte, während die wesentlich jüngere Sina G. sich unterwürfig verhalten habe. Ein vom Angeklagten eigens entworfenes Strafpunktesystem habe es ihm ermöglicht, das Mädchen willkürlich und nach seinem Gusto für „Verfehlungen“ zu maßregeln.

Eine Ausstiegsmöglichkeit oder ein vereinbartes Sicherheitswort als Stoppsignal? Gab es laut Anklage nicht.

Gewalttaten sollen Ende 2018 stattgefunden haben

Nutzte Mark F. die Notsituation von Sina G. aus? Laut Ermittlungen sei die seinerzeit 16-Jährige von Ende November bis Anfang Dezember 2018 aus Angst vor einer Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu Mark F. geflüchtet. In dessen Wohnung im Leipziger Westen habe die Teenagerin isoliert und in vollkommener Abhängigkeit von Mark F. gelebt, der ihr den Kontakt zum Elternhaus verboten und sogar extra die Akkus aus ihrem Handy entfernt haben soll.

Zu einem unbekannten Zeitpunkt während dieses Aufenthaltes soll es dann auch zu einem brutalen Übergriff gekommen sein, bei dem Mark F. das wehrlose Mädchen, vorgeblich als Sanktionierung eines willkürlich von ihm erkannten Fehlverhaltens, ausgezogen, gefesselt, vergewaltigt und geschlagen habe, unter anderem mit einer Peitsche. Zuvor habe der junge Mann die Jugendliche durch Einflößen von Wein, Whisky und eines Energydrinks sowie verabreichtes Cannabis gefügig gemacht. Ihr eigener Wille und ihr erkennbar erlittener Schmerz seien ihm egal gewesen. Sina habe durch das Geschehen eine posttraumatische Belastungsstörung davongetragen.

Angeklagt ist zudem eine weitere Vergewaltigung im Dezember 2018, mit der Mark F. Sina G. für das Verpassen einer Band auf einem Konzert habe bestrafen wollen. Hier soll der Verdächtige trotz der Schreie des Mädchens nicht von ihr abgelassen und ihr wenig später sogar noch weitere Schläge auf frische Wunden verpasst haben.

Psychische Probleme: Verteidigung verneint Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten

Warum kam es erst jetzt, nach fast fünf Jahren, überhaupt zu einer Anklage? Laut Landgericht Leipzig habe Sina G. lange Zeit geschwiegen und sich erst 2020 erstmals offenbart. Auch die Ermittlungen nach der Anzeige in dem Fall seien kompliziert gewesen. 2022 wurde gegen den nicht vorbestraften Mark F. dann Anklage erhoben. Er blieb auf freiem Fuß.

Zum geplanten Prozessauftakt am Mittwoch vor dem Landgericht Leipzig waren dann auch alle erschienen – bis auf den Angeklagten selbst. Wie sein Verteidiger Stefan Costabel nach einem Telefonat einschätzte, sei der 37-Jährige unter dem Einfluss sogenannter Neuroleptika derzeit weder wach zu kriegen noch sei er generell in der Lage, einer Gerichtsverhandlung überhaupt zu folgen.

Der Sachverständige sah das prinzipiell anders: „Man könnte ihm durchaus zutrauen, hier teilzunehmen“, sagte der psychologische Psychotherapeut Benno Bartsch.

Richtig sei allerdings, dass bei Mark F. eine Agoraphobie vorliege. Die Angst etwa vor dem Verlassen des Hauses, öffentlichen Plätzen und Menschenansammlungen mache es dem Mann schwer, einfache Alltagsangelegenheiten wie Arztbesuch oder Einkauf zu erledigen. „Er hat deutliche Schwierigkeiten, am normalen Leben teilzunehmen.“

Polizeiliche Vorführung angeordnet

Rechtsanwalt Costabel, der schon vorab ankündigte, dass sein Mandant zu den Tatvorwürfen nichts sagen werde, lieferte sich dann einen kurzen Schlagabtausch mit der Strafkammer, wie weiter vorzugehen sei. Den Vorschlag des Verteidigers, den Beginn des Prozesses um einen Tag aufzuschieben, lehnte der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn nach kurzer Diskussion ab und ordnete stattdessen an, dass Mark F. polizeilich vorzuführen sei.

Dem Vernehmen der Verteidigung nach soll der Prozess dann auch, geht es nach ihrem Willen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Es sind noch mehrere Verhandlungstage angesetzt, um die schwerwiegenden Vorwürfe aufzuklären.

Update 7. August: Der Anwalt des Verdächtigen teilte gegenüber der LZ vor einigen Tagen mit, dass der Prozess ausgesetzt worden ist. Unter anderem sollen ein Glaubwürdigkeitsgutachten in Bezug auf die Belastungszeugin erstellt und weitere Zeugen befragt werden.

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