Die evangelisch-lutherische Kirche diskutiert über die Frage, ob gleichgeschlechtliche Paare zusammen im Pfarrhaus wohnen dürfen. Es ist ein Streit, der schon seit Jahren schwelt. Eigentlich geht es aber nicht darum, sondern um die Frage, wie die Schriften des Alten und Neuen Testaments ausgelegt werden können. Die Frühjahrssynode in Sachsen, die am 20. April endete, konnte den gordischen Knoten nicht lösen. Der neue Landesbischof wird das Thema erben.

Weder in den Glaubensbekenntnissen noch in den Bekenntnisschriften noch in der Verfassung oder der Kirchgemeindeordnung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsen findet sich ein Wort zum Thema Homosexualität. Daher versteht der Markkleeberger Pfarrer Arndt Haubold auch nicht ganz, warum sich der Streit genau hier entzündet: “Im Vergleich dazu wird seit 30 Jahren in unserer Landeskirche eine uneinheitliche Abendmahlspraxis geübt (mit Kindern oder ohne Kinder), die sich ebenfalls nicht mit dem wörtlichen biblischen Zeugnis vereinbaren lässt, aber an dieser zentralen Glaubensfrage, die z. B. ökumenisch hochrelevant ist, hat sich keine Bekenntnisgemeinde unserer Landeskirche bisher engagiert.”

Das Gemeindenetzwerk sieht dagegen in der Frage des Umgangs mit gleichgeschlechtlichen Paaren die Konsequenz eines falschen Schriftverständnisses: “Die Haltung in dieser Frage ist eben gerade kein marginal auftretender Punkt, zu dem unterschiedliche Erkenntnisse eben möglich sein können, sondern eine Folge (Hervorhebung im Original) des zutiefst unterschiedlichen Schiftverständnisses. Dies ist auch bei anderen ethischen Fragen klar zu beobachten: Abtreibung, Sterbehilfe u. a., überall finden sich die beiden Gruppen (A und B) in ihren Haltungen fein säuberlich getrennt vor. Und ein klares, anerkanntes Korrektiv ist durch die Demontierung der Bibel nicht mehr vorhanden.”

Keine Anleitung für modernes Leben

Wird die Bibel demontiert, wenn ethische Fragen neu bedacht werden? Der Markkleeberger Pfarrer sieht schlicht zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Schrift: “Es gibt viele Bereiche des modernen Lebens, für die wir aus der Bibel keine wörtliche Anleitung entnehmen können – der gesamte Bereich der Technik etwa oder der modernen Kunst. Es ist aus meiner Sicht schon ein großer Irrtum, wenn wir die Bibel als naturwissenschaftliches Werk für die Frage der Weltentstehung benutzen. Fragen sexueller Praktiken sind kulturelle Fragen und unterliegen geschichtlichen Entwicklungen, sie sind keine ewig gültigen Glaubensfragen.”

Letztlich geht es also um die Frage, welche Teile der biblischen Botschaft bleibende Bedeutung für das Selbstverständnis der Kirche haben. Ob eine wörtliche Auslegung der Bibel hier weiterhilft, scheint fraglich. Pfarrer Haubold skizziert die Folgen konsequenter Buchstabentreue: “Wer wirklich mit dem wörtlichen Zeugnis der Bibel gegen die Akzeptanz von Homosexualität kämpft, der sollte konsequenterweise auch den Mut aufbringen und – wie es die Bibel tut – die Todesstrafe für Homosexuelle fordern – und gleich noch für Ehebrecher und Gottesleugner, denn so steht es in der Bibel geschrieben! Oder sollte das dann doch kulturellen Veränderungen unterliegen?”

Treue zur Schrift ist für das evangelische Selbstverständnis wichtig. Und doch wurde zu unterschiedlichen Zeiten die Frage, was schrifttreu ist, unterschiedlich beantwortet: “Das fängt bei der Frage „Evolution oder Schöpfung?“ an, geht weiter über die Frage der Frauenordination, hat früher einmal die Frage der Sezierung toter menschlicher Körper betroffen und hat sich an der Frage der Verbrennung von Leichen entzündet, hat Jahrhunderte lang im Verhältnis zwischen Juden und Christen für Feindschaft gesorgt, hat das kopernikanische Weltbild mit dem Scheiterhaufen bedroht und anderes mehr. Und immer hat dabei die vermeintliche Treue gegenüber der Bibel eine Rolle gespielt – eine aus meiner Sicht falsch verstandene Treue gegenüber einer einseitig verstandenen Bibel.”

Die Versuchung, den Anderen zu verurteilen

Christoph Adam vom Gemeindenetzwerk sieht die Herausforderung darin, dem Anderen genau zuzuhören: “Was meint der Andere mit seinen Worten? Warum gelangt er zu diesen Überzeugungen? Ich persönlich halte nichts vom übereilten und pauschalen Absprechen von (Recht)-Gläubigkeit. Ich bin mir außerdem bewusst, dass der große Rahmen der evangelischen Landeskirche (z. B. im Vergleich mit einer Ortsgemeinde) naturgemäß auch mit einer gewissen Vielfalt an Glaubensprägungen einhergehen muss. Einengung und Ausgrenzung von menschlicher Verschiedenartigkeit sind unserer Kirche nicht förderlich und werden auch dem biblischen Zeugnis nicht gerecht.”

Zentrum der christlichen Botschaft ist die Liebe: Lieben ist leicht, wenn man mit dem Anderen einer Meinung ist. Lieben ist schwer, wenn man gegensätzliche Standpunkte vertritt. Die verwandelnde Kraft der Liebe, die Jesus lehrt, besteht darin, auch dann zu lieben, wenn man den Anderen nicht (mehr) begreift. In der Kirchengeschichte gelang das nicht immer so gut. Es gibt die Versuchung, den Anderen zu verurteilen, weil man zu wissen glaubt, was der Andere mit welchem Stichwort meint. So kam es zu Spaltungen und gegenseitigen Exkommunikationen. Wenn der Dialog aber gelingt, kann die Kirche gerade darin Vorbild für eine Gesellschaft werden, die das demokratische Ringen um den richtigen Weg immer neu einüben muss.

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