Volksaufstand der Massen, eine nationalistische Bewegung, ein patriotischer und antiislamischer Weckruf über alle Klassenschranken hinweg. All das hat man bei Legida nun in den letzten fast 2 Jahren erträumt, propagiert und auch zuletzt wieder auf Facebook Beiträge über den bevorstehenden Weltuntergang und einen Märtyrer aus den eigenen Reihen gepostet. Auf dass mal wieder ein regelrechter Ruck durchs soziale Netzwerk gehen sollte. Nur irgendwie ist es an der Zeit, über Aufmerksamkeitsstrategien und die Wahrheit zu sprechen. Die nun mal auf dem Platz liegt.

Die rund 20 Hooligans, die sich an der Nachtbar „Metropolis“ tummelten und die Gegendemonstrationen waren jedenfalls spannender, als das unauffällige Häuflein von gut 100 älteren Legida-Teilnehmern vor dem Naturkundemuseum. Denn die Luft ist raus beim Abendlandretterverband, die deutschtümelnde Revolution ist abgesagt, man dreht sich im kleiner werdenden Kreis in Leipzig. Und folgt damit dem Trend in Dresden, wo es nach einem Zwischenhoch wieder nur rund 2.000 an diesem Montag waren. Und wo Pegida auch noch Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz wegen fehlender Zuverlässigkeit als Demoanmelder verloren zu haben scheint. Zumindest wenn es nach dem Ordnungsamt Dresden geht: Grund seien die “Raucherpause” am 3. Oktober an der Frauenkirche und Verstöße gegen Demonstrationsauflagen.

Während Bachmann nun dagegen vorgehen will, ist es eher der allgemeine Rückgang im Interesse, der eigentlich verwundern müsste. Gaben sich doch die GIDAs in Leipzig und Dresden zeitweise sozial orientiert und überaus global friedensliebend. Natürlich vor allem deshalb, damit keine Flüchtlinge mehr kommen müssen und man so arme Deutsche gegen arme Flüchtlinge ausspielen konnte. In Syrien und an vielen anderen Orten sterben immer noch die Menschen, die Rente wird und wird gerade im Osten nicht mehr und Hartz IV existiert nach wie vor. Und bei Legida gibt es seit mehreren Veranstaltungen keinen Livestream mehr – offenbar fehlt das Geld, wenn man in Leipzig mit Ausgrenzung und Agressionen punkten will.

Verkürzt: Die Welt ist in den letzten 2 Jahren nicht unbedingt besser geworden, die „links-grün-versifften Medien“ publizieren noch und Angela Merkel ist noch immer Bundeskanzlerin – bis zur nächsten Wahl wohl mindestens.

Aber – und das dürfte wohl den entscheidenden Unterschied machen – die Anzahl der neu ankommenden Flüchtlinge hat zuletzt durch ihren brüchigen Deal mit der Türkei spürbar abgenommen. Und mit ihnen die Pegida/Legida-Teilnehmer, die am 7. November zumindest in Leipzig auch irgendwie nicht mehr interessierten. Die überregionale Presse reagiert nicht mehr, wenn Legida das Demo-Stöckchen raushält, die Polizei spulte ihr Programm ab. Und „Leipzig nimmt Platz“ sowie „A monday without you“ brachten heute zusammen sicher das Vierfache der Schirmchenhalter vor dem Naturkundemuseum auf die Straße.

Symptomatisch für den Abend in Leipzig

Statt länger bei Legida vorbeizuschauen, trieben sich Kamerateams und Journalisten lieber bei den Gegendemos herum, sprachen mit Jürgen Kasek (Die Grünen) über die jüngsten Attacken gegen ihn oder beobachteten das Geschehen auf dem Richard-Wagner-Platz. Einige sahen somit auch, dass die Polizeikräfte mal wieder ohne Anlass (also Gewaltdrohungen, gar Ausschreitungen oder ähnlichem) alle Demonstrationsteilnehmer von “Leipzig nimmt Platz” abfilmten.

Der Verkehr auf dem Leipziger Ring kam erstmals deutlich nur noch teilweise zum Erliegen, die Bahnen fuhren weiter und die Jahnallee wurde ab Leibnizstraße letztlich nur rund eine Stunde gesperrt. Die inhaltlichen Themen auf dem Platz vor dem Naturkundemuseum egal – nichts, was man bei Legida nicht schon immer und immer wieder gehört hätte. Der Rest die Selbstvergewisserung, dass man noch da sei. Der Neuigkeitswert null.

Nimmt man also an, es hätten tatsächlich zentral eben jene sozialen Themen derart bewegt, dass es zum Start von Legida im Januar 2016 bis zu 5.000 Menschen in Leipzig auf die Straße trieb, sah man am 7. November 2016 eher das Gegenteil. Ein für das Gesamtgeschehen fast zu groß dimensionierter Wagenpark der Polizei und äußerst geringes patriotisches Interesse im Regen zu stehen.

Auf der anderen Seite

Bei den Gegendemonstranten rings um den Richard-Wagner-Platz herrscht mit und nach dem Gang über den Ring fast schon Demoroutine. Die heftigsten Kämpfe, Blockaden und Auseinandersetzungen mit der Polizei hat es alle bereits gegeben in den vergangenen Monaten. Ansprachen vor dem Primark und ein paar Schritte weiter am Ring via á vis zu Legida. Wären da nicht die rund 20 teils vermummten Hooligans gewesen, die sich vor dem Metropolis an der Großen Fleischergasse 4 aufgestellt hatten, fast hätte es ein auch verbal komplett friedlicher und hier und da informativer Abend werden können.

Beiträge von “A monday without you” zum Umgang mit dem NSU

& von Christian Wolff von “Leipzig nimmt Platz” – Beide in Auszügen

 

Ex-Pfarrer Christian Wolff spricht über Hass und soziale Gerechtigkeit
Ex-Pfarrer Christian Wolff spricht über Hass und soziale Gerechtigkeit

Die Schlagbereiten selbst wurden mehr oder minder freundlich von den Polizeibeamten zur Seite, in die Eingänge der “Metropolis”-Bar und den “Burger-Grill” gebeten, bevor sich dann beim Durchlauf der Demonstration von „Leipzig nimmt Platz“ auch klärte, weshalb sie an ihre scheinbare Heimatbar gekommen waren. Der gute alte Neonaziruf aus den 90ern erschallte: „Wir haben Euch was mitgebracht – Hass, Hass, Hass“ und ein einzelner Freizeit“sportler“ rief: „Wir kriegen Euch alle.“

Das Video zur Szene. “Hass, Hass, Hass”

 

Rufe, die neben den Antworten aus dem Demozug zumindest die Mitglieder der Partei DIE PARTEI mit dem Öffnen eines weiteren alkoholischen Getränks und unfreundliche Hinweise Richtung rechte Störenfriede beantworteten. Da sie mit dem Motto „Lieber besoffen als betroffen“ angetreten waren, gab es hier für die Lokalpolitiker keine Kompromisse im Angesicht der schwer Betroffenen.

Kurz darauf sorgten diese gewaltfreudigen 20 Herren noch einmal für ein wenig Aufregung, als einige von ihnen während der folgenden Ansprachen zum NSU auf dem Balkon des Gebäudes auftauchten. Was mehr oder minder deutlich machte, durch welchen Eingang sie dazu wohl gegangen waren. Der Burger-Laden gleich neben dem “Metropolis” dürfte es eher nicht gewesen sein.

Ein Redner von “Leipzig nimmt Platz” weist auf die Vermummung der 20 Hooligans hin

 

Und nun?

Die erträumte Mehrheit fand sich mit rund 450 Teilnehmern erneut bei den Gegenprotesten ein. Und vielleicht sind die Zeiten der ewigen Ringsperrungen und Legida-Laufereien ja irgendwann tatsächlich vorbei. Würde gegebenenfalls Zeit verschaffen, sich noch weit mehr, als es erneut „Leipzig nimmt Platz“ sowie „A Monday without you“ versuchten, dem Thema Integration und soziale Gerechtigkeit zuzuwenden.

Legida jedenfalls scheint in der eigenen Netzblase allmählich zu verschwinden, wo sie sicher auch morgen wieder eifrig Horrormeldungen ihrer Wahl und einen grandiosen Erfolg am 7. November 2016 verbreiten werden. Damit die etwas zu lesen bekommen, die mal wieder angeblich aus Faulheit zu Hause geblieben sind, statt Deutschland gegen den Untergang zu verteidigen. Fast könnte man Mitleid haben. Doch dann fallen einem wieder die vielen angezündeten Asylbewerberheime und die Übergriffe auf Migranten und Flüchtlinge ein. Und die 20 Gewaltbereiten aus der Fleischergasse.

Eine “Volksbewegung” marschiert – Legida am 7.11.2016

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