Für FreikäuferLZ/Auszug aus Ausgabe 57Die ersten Eindrücke vom Flohmarkt-Geschehen sind negativ. Zwar ist die Markt-Einweiserin freundlich und weist mir meinen Platz zu, die Platzhirsche sind es allerdings nicht. „Langsam fahren, langsam fahren“, herrschen sie mich drei Oktaven zu hoch an, als ich mit meinen 20 km/h über den Schotterweg zu meinem Stand rolle. Ich weiß gar nicht, was die aufgeregte Frau hat, so schnell bin ich doch gar nicht, denke ich mir. Ein älterer Herr reißt mich allerdings deutlich aus meinen Relativierungsversuchen. „Ich habe gerade alles sauber gemacht“, ruft er zu meinem Auto rüber. Ach so. Jetzt sehe ich die Staubwolke hinter mir auch.

Hätte man mir aber auch mal vorher sagen können. Einen Staubfilm auf der Ware anderer hinterlassend, komme ich schließlich unter dem überdachten Stand an und lade aus. „Geh doch mit deinem Zeug mal auf einen Flohmarkt“, hatte mir mein Physiotherapeut geraten als er mir wieder am Nackenmuskelansatz am Granium herumknetete. Was für ein Glück, dass sich schon bald auf der Rennbahn Scheibenholz eine Gelegenheit bot. 28 Euro bezahlt man hier pro Tag für überdachte vier mal vier Meter. Die teile ich mir mit Freunden.

Das Auto ist randvoll mit Gelumpe

Porzellanpuppen, Schallplatten, CD- und DVD-Rohlinge, DDR-Biergläser, Tischdecken – zum Teil originalverpackt – einem Heizkissen, einem Mikroskopier-Set und der Mütze eines Gemischtwarenladens – einer echten blauen Mauritius wenn man mich fragt.

Der Biergarten-Tisch der Hausgemeinschaft dient als Ladentafel, eine Dose als Geldsammelort. Viertel neun ist alles aufgebaut, ab 10 Uhr öffnet der Markt. Langeweile kommt in der Zwischenzeit keine auf. Unter dem langen Dach sind gleich zehn verschiedene Trödler aktiv, die emsig um ihren Stand herumtippeln. Ein Mann hat offensichtlich die Fahrbibliothek der Stadt entführt und den Bestand unter das Dach gepackt. Hier gibt es den Eisenbahner-Kalender 1974 und ungefähr 135 lustige Taschenbücher. Als alles aufgebaut ist, setzt er sich in seinen Campingstuhl hinter dem Stand und frühstückt erstmal. Kauend erzählt er mir auf meine Begeisterung über so viele Bücher: „Ja, aber dann kommen die Leute und fragen nach dem Kommunistischen Manifest oder der Bibel. Das gibt es doch an jeder Ecke.“

Gegenüber meines Standes steht ein Kombi samt Anhänger aus dem es im Schimpfwort-Stakkato immer wieder neue Unterhaltung gibt. „Asoziales Pack“, „ faule Sau“, arbeitsscheu“. Noch bevor meine Standnachbarn und ich die Menschen von gegenüber gesehen haben, kennen wir sie schon ganz gut. Zur Begrüßung der neuen Nachbarn kommen die beiden rundlichen Händler auch gern zum Stand und schnarchen ein wenig, was die Konkurrenz so hat. Aber eigentlich wechseln sie nur den Ort, um sich gegenseitig zu beschimpfen.

„Den muss ich die ganze Zeit durchfüttern, ich bin hier Chefkoch und Psychatiker (sic!)“, sagt der eine. „Wir füttern doch sowieso schon die ganze Zeit die Bimbos durch“, entgegnet der andere. Satiriker Oliver Polack ist neulich bei der ARD rausgeflogen, aber dass er seine Sprüche nun auf Trödelmärkten rauslässt, ist schon armselig.

Mit unserem Nachbarn sind die Jungs per du. Er war es auch, der mir meinen ersten Verkauf ermöglichte. Muttis Spieluhr aus dem Jahre 1995 steht nun für vier Euro auf seinem Tisch und freut sich, wenn sie aufgezogen wird, um „La Le Lu“ zu spielen. Eigentlich wollte ich fünf Euro, aber ich lerne schnell, dass man sich auf dem Trödelmarkt meist von den eigenen Preisvorstellungen verabschieden muss. Am Ende des Markttages werde ich feststellen, dass ich keinen Artikel zu dem Preis verbimselt habe, den ich mir vorgestellt hatte. Liegt vielleicht auch daran, dass ich die Preisliste erst mache, als alles auf dem Tisch steht.

Im Gegensatz zu meinen Stand-Kollegen, die mit reichlich Babyklamotten und Büchern die weite Reise aus der Südvorstadt angetreten haben, habe ich meine Standgebühr schon vor Flohmarkt-Beginn amortisiert. Dem Keramik-Napoleon und einem Glas mit Rot-Weiß Erfurt-Wappen sei es gedankt. Schon in dem Moment als ich auslud, tänzelte ein Mann mit Rucksack um den Stand herum, ging mal weg, kam mal wieder, schnarchte sich durch das bis dato aufgebaute Sortiment, stieß sich fast die Nase an den Porzellanpuppen, flipperte durch die Schallplattensammlung, um dann am Ende das Glas zu kaufen. Wenig später war er weg. Offenbar ein Profi.

Bis die ersten echten Besucherströme gegen 10 Uhr auftauchen, tauschen sich die Großkopferten des Flohmarkts über die Nacht aus. Fast am Ende des Weges hat ein Wohnwagen geparkt, der Laden- und Wohnfläche in einem ist. Im Vorgarten stehen schon diverse Möbelstücke für den Gartenfreund mit Hang zum Kitsch zur Abholung bereit. Eine Frau im rosa Trainingsanzug steigt aus und wandert in Pantoletten über den Schotter Richtung Toiletten.

„Wie war die Nacht?“, „Na ja, der hat ganz schön geschnarcht“, sagt sie und zeigt Richtung Wohnwagen. Vermutlich meint sie ihre Begleitung. Das Fluidum erinnert mich an die RTL-Serie „Die Camper“. Willi Thomczyk hat es aber anscheinend nicht bis nach Leipzig geschafft.

Es geht endlich los

Als alle auf ihren Plätzen sind und noch mal die Waren entstaubt haben, rollt ein Porsche SUV über das Gelände und packt seine Waren aus. Zehn Minuten vor Markt-Beginn. Man sollte nicht meinen, das hier sei eine Veranstaltung ohne die oberen 10.000. Ehrensache, dass der Aufbau seit 20 Minuten vorbei sein soll. Man hat ja auch einen Ruf zu verlieren.

Und dann kommen die, die einen Euro bezahlen, um zu trödeln. Die Verkaufsflächen sind fast vollständig vermietet, von Nazi-Devotionalien über Alu-Töpfe bis hin zum Kinderbuch „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“ kann man alles kaufen, bestaunen oder einfach nur darüber den Kopf schütteln, was Menschen noch zu Geld machen wollten. Und trotzdem hat alles auch einen Nachhaltigkeits-Ansatz.

Läuft eher so lala: For free kein Problem. Foto: Marko Hofmann
Läuft eher so lala: For free kein Problem. Foto: Marko Hofmann

Ich könnte meine Porzellanpuppen, die originalverpackten Kindertaschentücher oder das veritable Heizkissen, das einst für 19,99 DM in den Familienbesitz übergegangen ist, einfach in die Tonne hauen, wie Rumpelstilzchen auf dem Müllplatz tanzen und mir die Hände reiben. Stattdessen bin ich von der Vorstellung getrieben, dass es Menschen auf dieser Erde gibt, die tatsächlich noch einmal Peter Schreier auf Schallplatte oder Modern Talking auf CD hören wollen. Ja, vielleicht gibt es ja sogar jemanden, der meine Gemischtwarenladen-Mütze haben möchte.

Doch es passiert wenig. So wenig, dass ich zum Gegenbesuch bei den Kollegen von gegenüber aufbreche. Dort hat man von Bier auf Kaffee gewechselt und freut sich, dass ich mir die sechs Fotoalben, die eigentlich Postkarten-Alben sind, ansehen möchte. „Nimm se ruhig mit rüber.“ Und so sitze ich eine Stunde da und studiere alte Postkarten ohne am Ende selbst eine zu kaufen. Ein Euro pro Stück ist nicht viel, aber es muss schon irgendwie Sinn ergeben.

Bei den Herren gegenüber ist einiges los. Auf ihrer Ladentafel liegen Matchbox-Autos, Modellautos und auch Militär-Devotionalien. Sogar eine Art Deutschlandreise als Brettspiel aus dem Jahre 1930 liegt auf dem Tisch. „Da ist sogar noch Ostpreußen mit drauf“, werde ich informiert. Seit 30 Jahren handelt der Chef mit Antiquitäten. Die beiden sind extra aus Thüringen für das Wochenende angereist und geben sich nun deutlich sachlicher als noch kurz vor Marktbeginn, als sie mit einem frisch erworbenen Gesellschaftsspiel über den Markt krakeelend schlenderten („Mutti, heute spielen wir Monopoly mit Ausziehen“).

Wer trödelt denn da?

Während ein Radio in der Nähe passenderweise Lieder aus den 60ern spielt, ist für mich genügend Zeit, den gemeinen Trödelmarkt-Besucher unter die Lupe zu nehmen. Wenig überraschend lässt er sich nicht so leicht fassen. Es gibt die älteren Damen, die leider viel zu oft nur über die Puppen staunen, statt sie zu kaufen. Es gibt junge Familien oder baldige Familien, die natürlich vor allem nebenan bei den Babyklamotten ein paar Penunzen lassen. Zwischendurch huschen zwei Frauen an unserem Stand vorbei, jubilieren über ihre neueste Errungenschaft: eine fünfsprossige Leiter.

„Die kann man auf den Balkon stellen und dann kann da etwas hochwachsen“, erklären sie mir. Man muss nur Phantasie haben. Es kommen aber vor allem viele Menschen mit eher ausgefallenem Mode-Stil. Zwischendurch scheint es zudem so als ob am Ende des Ganges noch eine Tattoo-Messe stattfindet. Selten habe ich gleichzeitig so viele Menschen mit Tätowierungen gesehen. Und auch der Käufer der ominösen Mütze ist zumindest sonderbar. Er trägt Schuhe, ein schwarzes Jacket und sonst nichts. Nur links unter der Nase hat er einen Bart. Die Mütze kauft er mir für satte zwei Euro ab.

Die sieben Stunden Marktgeschehen vergehen so schnell wie ein Fingerschnipsen, auch weil immer etwas los ist. Viele Menschen kommen an meinen Stand, aber die meisten schauen eben nur in unterschiedlichen Genauigkeits-Abstufungen die Waren an und ziehen wortlos weiter. Trotzdem gibt es jede Stunde ein wenig Geld für die Dose und natürlich frage ich mich auch, wie ich die Warenauslage verbessern kann. Bei einem Rundgang über den Markt sehe ich, dass die wenigsten Händler Waren auf den Boden gestellt haben.

Die meisten haben ihre Güter bei Engpässen lieber zweietagig auf dem Tisch arrangiert. Diese Möglichkeiten habe ich nicht und so fristen die Tischdecken und Schallplatten auf Höhe der Grasnarbe ein jämmerliches Dasein.

Schon fast zwei Stunden vor Marktende beginnt der Antiquitäten-Händler mit seinem „arbeitsscheuen“ Kompagnon einzupacken. „Wir waren jetzt zwei Tage da und haben 250 Euro gemacht. Viel ist es nicht, aber ein paar Groschen bleiben schon hängen“, meint der Chef. Sein Spannemann pflichtet ihm bei. „Was willste denn auch dorhemme hoggn?“ Zum Schluss schmeißen sie noch die Matratzen auf ihren Anhänger und zischen ab. Natürlich im Schritttempo.

Ich bin halb sechs wieder zu Hause – mit 50 Euro Gewinn in der Tupperdose. Der Kofferraum ist fast genauso voll wie am Morgen. Bei rund zehn Stunden Arbeit habe ich also fünf Euro verdient. Aber so einfach ist die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht. Zum Mammon kommen noch die Gespräche mit Kunden, der Austausch mit anderen Händlern, ja, das Erlebnis Flohmarkt und das schöne Wetter. „Was willste denn auch dorheeme hoggn?“ Das Substrat aus all dem erklärt, warum viele Händler Rentner sind.

Die Hälfte der restlichen Sachen stelle ich in den Keller, die andere abends auf die Straße. Ich bin neugierig, ob sich hier mehr Abnehmer finden. Die acht Porzellanpuppen sind 20 Uhr schon verschwunden, die Hälfte der 40 Gläser und die Tüte mit den 100 CD-Rohlingen ebenfalls. Am nächsten Morgen stehen nur noch zwei leere Kartons vor dem Haus.

NSU-Prozess, Halberg Guss, Flohmarkt, Weltkrieg und der lange Schatten der Treuhand

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Keine Kommentare bisher

Flohmarkt macht echt Spaß, lustig wirds da immer. Vor allem wenn man mit ner Freundin fährt, die am Abend vorher aus Diätgründen(!) Abführmittel genommen hat und nach dem dritten Wettlauf zum Toilettenwagen die Stimme der Toilettenfrau übern Platz schallt. “Lasst die junge Dame mal vor, die hats eilig”.:0)))))))
Danke fürs dran erinnern.^^

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