Etwa hundert Menschen demonstrierten am heutigen Mittwochabend, 27. Mai, zunächst auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz und zogen anschließend über die Karl-Liebknecht-Straße zur Leipziger Dienststelle der Landesdirektion Sachsen in der Braustraße. Unter den Teilnehmer/-innen befanden sich etwa 20 Bewohner/-innen des Geflüchteten-Lagers in Dölzig. Sie übergaben der Landesdirektion ihre Anträge auf Entlassung aus der Erstaufnahmeeinrichtung und den Transfer in eine dezentrale Unterbringung. Gleichzeitig wurden Eilanträge an das Verwaltungsgericht Leipzig versendet.

Immer wieder in den letzten Wochen waren die vorherrschenden Umstände in der Geflüchteten-Unterkunft in Dölzig Thema vielfältiger Berichterstattung. Seit Beginn der Corona-Pandemie steht Dölzig in der Kritik. Bewohner/-innen berichteten von mangelnder Hygiene in den Sanitäranlagen sowie der Unterbringung vieler Personen auf engem Raum, sodass die Einhaltung des Mindestabstands nicht möglich sei.

In einem offenen Brief des Infobus Leipzig an Politiker/-innen, Ämter und Behörden in Sachsen, den insgesamt 18 Organisationen aus Leipzig und Umgebung unterzeichneten, wurde bereits Anfang April auf die Zustände hingewiesen. Zuvor hatten die Bewohner/-innen selbst an die Malteser und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geschrieben und von den vorherrschenden Bedingungen berichtet.

In dem Brief des Infobus‘ heißt es: „Die Hygiene-Standards sind schwer umzusetzen, da lediglich geteilte Sanitäranlagen vorhanden sind, deren Reinigung und Ausstattung mit Toilettenpapier, Seife und Desinfektionsmittel unzureichend ist, wenn nicht sogar ganz ausbleibt.“ Dadurch würde im Falle einer Infektion eine schnelle Ausbreitung in Kauf genommen. In einem Video, aufgenommen von la-presse.org beschreibt einer der Geflüchteten die Lage: „Wir sind wie Hühner im Käfig.“

Auch die Bewohner aus Dölzig, die auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz versammelt waren, beschrieben derartige Zustände. „Wir leben zu viert oder zu fünft in Zimmern, die nicht größer als 15 Quadratmeter sind. […] Ein Arzt ist verantwortlich für 450 Menschen.“ Für einige der Geflüchteten währt diese Situation bereits über eineinhalb Jahre. Bei der Aufnahme in die Unterkunft allerdings war die Rede davon gewesen, dass ein Aufenthalt für höchstens sechs Monate vorgesehen sei. „Wir wollen einfach wie Menschen leben“, forderten die Geflüchteten.

Die Lage sei nicht erst seit Ausbruch der Pandemie kritisch, erklärte auch Mark vom Sächsischen Flüchtlingsrat (SFR). Nicht oft käme es dazu, dass sich Bewohner/-innen einer Unterkunft mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit wendeten. „Die Forderung, Sammelunterkünfte abzuschaffen und geflüchtete Menschen dezentral in den Kommunen unterzubringen, ist nicht erst durch die Corona-Krise entstanden. Sie ist wohl so alt wie Sammelunterkünfte selbst. Massenunterkünfte behindern nicht nur die Integration und führen zu psychischen Belastungen oder verschlimmern bereits vorhandene; Orte wie diese, an denen so viele Menschen auf so engem Raum zusammenleben müssen, bieten auch der Verbreitung von Krankheiten die perfekte Grundlage“, hieß es auch in dem Brief des Infobus Leipzig.

In den letzten Wochen hatte man Hoffnung geschöpft, nachdem die zuständigen Verwaltungsgerichte vier Verfahren zum Transfer in die Kommunen eröffnet und positiv bewertet hatten. Ein fünftes wurde abgelehnt und die Befürchtung, dass weitere folgen, ist nicht vom Tisch. Seit Mitte März erfolgte kein Transfer in die Kommunen mehr.

Am 11. Mai hatten Geflüchtete in der Einrichtung in Dölzig gegen die Sächsische Landesdirektion protestiert und den Transfer in die Kommune gefordert. Die Vertreter/-innen der Direktion hatten das Lager an diesem Tag besucht, der Protest erhob sich spontan. Ein Gespräch vor Ort sei den Bewohner/-innen allerdings versagt worden. Wie Juliane Nagel, Stadträtin im Leipziger Stadtrat und Abgeordnete im Sächsischen Landtag, erklärte, verschwanden die Vertreter/-innen durch den Hinterausgang.

Der Sächsische Flüchtlingsrat e.V. hatte bereits Anfang Mai zur Unterzeichnung einer Petition aufgerufen, die sich dafür stark macht, die Geflüchteten dezentral unterzubringen und die sächsischen Lager zu schließen. „Gesundheits- und Infektionsschutz muss für alle Menschen gelten“, macht der Verein klar und schlägt die „Verteilung aller Geflüchteter aus Sammelunterkünften in dezentrale Wohnungen – oder vorübergehend in leerstehende Hotels und Hostels“ vor.

Impressionen von der Demo am 27. Mai 2020

Video: L-IZ.de

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