Nicht erst seit Corona wird auf die Missstände in den Pflegeberufen aufmerksam gemacht, die Pandemie aber hat das Thema erneut „populär“ gemacht. Traurig, dass es so sein muss, noch trauriger, dass sich nichts ändert. In den letzten Jahren wurde in Krankenhäusern und Pflegeheimen gespart, wo es nur ging. Die Quittung sind zu wenige, unterbezahlte und überlastete Beschäftigte. Am heutigen Internationalen Tag der Pflege, der in diesem Jahr unter dem Motto „Für eine Gesundheitsversorgung mit Zukunft“ stand, machten mehrere Aktionen und Veranstaltungen auf die Missstände aufmerksam. Zu Wort meldeten sich vor allem diejenigen, die direkt „an der Basis“ sitzen: die Pflegekräfte selbst.

Aktionstag vor dem Universitätsklinikum

Vor dem UKL hatten das Feministische Streikbündnis, Care Revolution, Medinetz, KritMed Leipzig und die Leipziger Poliklinik von 13 bis 16 Uhr zu mehreren Aktionen aufgerufen und Beschäftigte des Klinikums dazu eingeladen, ihre Erfahrungen vor Ort zu teilen.

„Die Ökonomisierung des Gesundheitssektors führt dazu, dass Profite vor Gesundheit gehen. [Sie] führt außerdem zu katastrophalen Zuständen in der Pflege: Der enorme Pflegenotstand treibt Beschäftigte im Krankenhaus zu Stress und Überarbeitung“, so das Netzwerk im Aufruf zur Veranstaltung.

Das bestätigten auch etliche Redner/-innen auf der anschließenden Versammlung.

Kundgebung auf Wilhelm-Leuschner-Platz

Vom Uniklinikum ging es weiter zum kleinen Wilhelm-Leuschner-Platz. Um 16.30 Uhr hatten dort der Stadtverband der Leipziger Linken, der SDS Leipzig und die Gewerkschaft ver.di zu einer Kundgebung eingeladen. Etwa 150 Menschen trotzten dem Regen, versammelten sich am Nachmittag in der Innenstadt und zeigten sich auch während eines zehnminütigen Technikausfalls von der geduldigen Seite.

Zu Wort kamen auch hier Menschen, die in der Pflege arbeiten und berichteten vom Arbeitsalltag in Kliniken und Einrichtungen.

„Vor allem seitdem Covid-19 wütet zeigt sich, wie unentbehrlich die Pflege für unsere Gesellschaft ist. Der Großteil von Pflegeberufen, wie die Alten- Kinder und Erwachsenenkrankenpflege und Assistenzberufe werden dabei systematisch unterbezahlt“, kritisierte eine Krankenschwester von der Poliklinik Leipzig. Diese setzt in Schönefeld auf den Ansatz einer gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsversorgung.

„Ich stehe hier als examinierte Krankenschwester und habe einige Jahre in genau diesem System in verschiedenen Krankenhäusern gearbeitet. Wenn wir von Personalmangel sprechen, bedeutet das ganz konkret, keine Zeit für die Bedürfnisse einzelner Menschen zur Verfügung zu haben und am Ende jeder Schicht, nachdem man aufs Neue körperlich und psychisch alles gegeben hat, sich zu fragen, wo denn nur die Zeit für ein Gespräch geblieben ist.“

So berichtete einer der Redner/-innen von Nachtschichten, in welchen er allein für 30 Patient/-innen verantwortlich sei. Sollte er Hilfe benötigen, käme die von der Nachbarstation, auf der somit kurzzeitig kein Pflegepersonal anwesend wäre. „Wenn mit mir dann irgendetwas passiert, findet mich der Frühdienst. Das ist dann so. Es kann immer etwas sein.“

Franka von KritMed bekräftigte: „Zu wenige Pflegekräfte wollen weiter unter diesen Umständen arbeiten. Und das zu Recht. Ein Beruf, der in unserer Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist, muss auch entsprechende Bedingungen und Anerkennung mit sich bringen. Dieser Zustand in den Krankenhäusern, Altenheimen und ambulanten Pflegeeinrichtungen besteht schon viel zu lange. Er ist der Politik zwar bekannt, wird aber ignoriert und spitzt sich weiter zu. Hier hilft kein solidarisches Klatschen mehr, es braucht politische Konsequenzen, die über einmalige Boni hinausgehen.“

Die deutliche Botschaft aller Sprechenden: Das Gesundheitssystem muss weggebracht werden vom Profitkurs und hin zur fairen Bezahlung, einem angemessenen Personalschlüssel und verbesserten Ausbildungs- und Aufstiegschancen.

Denn auch die Ausbildungsbedingungen seien, so eine gelernte Ergotherapeutin am Mikrofon, schwierig. Angefangen dabei, dass für den Ausbildungsberuf die nötige Wertschätzung fehle über fehlende Vergütung und Einsatz der Lernenden als Vollzeit-Pflegekräfte.

Gleichberechtigter Pflegeberuf?

Nicht „nur“ schlechte Bezahlung und Personalnot sind zentrale Probleme im Pflegebereich. In ihrem Redebeitrag wies eine Sprecherin des Feministischen Streikbündnisses darauf hin, dass in vielen Fällen Angehörige sich um pflegebedürftige Familienmitglieder kümmern; von ihnen sind mehr als zwei Drittel weiblich.

„Von den 4.1 Millionen Menschen, die in Deutschland Pflege benötigen, werden 80 Prozent zu Hause gepflegt. Der Großteil unter ihnen wird von Angehörigen gepflegt, teilweise mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste oder sogenannter 24h-Pflegekräfte. Pflegende Angehörige sind zu 70 Prozent weiblich, denn die Fähigkeit, sich um andere zu kümmern und zu sorgen, wird in unserer Gesellschaft FLINTA als natürlich zugeschrieben. Mit FLINTA meinen wir Frauen, Lesben, Inter-, Nichtbinäre, Trans- und Agender Personen.“

Wer es sich leisten könne, übertrage die Pflege von Angehörigen oft auch an ausländische Pflegekräfte. Viele von ihnen kommen aus Osteuropa oder dem globalen Süden. „Das ist billiger als Pflege in professionellen Einrichtungen. Diese Pfleger/-innen leben häufig im gleichen Haushalt und pflegen rund um die Uhr. Obwohl ihnen der Mindestlohn, regelmäßige Pausen sowie eine Begrenzung der Wochenarbeitszeit zusteht, verdienen sie oft deutlich weniger und arbeiten viel mehr. Da sie außerdem meist isoliert leben und arbeiten, haben sie keinen Zugang zu Beratungsstellen oder Gewerkschaften.“

Mehr als Beifall

Die Forderungen der Beschäftigten sind klar formuliert: Es braucht eine bedarfsorientierte Gesundheitsversorgung, bessere Arbeitsbedingungen für Pflege- und Sorgeberufe und Zugang zu medizinischen und gesundheitlichen Angeboten für alle; unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sozialem Status, sexueller Orientierung, Staatsangehörigkeit und Religion.

Ob sie erhört werden oder weiterhin lediglich Beifall ernten, ist vor allem eine politische Entscheidung – und auch in Hinblick auf den begonnenen Wahlkampf zur Bundestagswahl im September mit Interesse (und Hoffnung?) zu verfolgen.

Redebeiträge vom Tage der Pflege in Leipzig

Video: LZ

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar