In Afghanistan die Menschen, welche als sogenannte „Ortskräfte“ die Bundeswehr unterstützten, in den kurdischen Siedlungsgebieten die Menschen, welche gegen den IS kämpften und dennoch von einem Nato-Partner nicht in Ruhe gelassen werden: Die Liste derjenigen, die die Deutschen im Stich lassen, wird gerade nicht kürzer und – so es am 26. September 2021 keine Abwahl der dominierenden CDU/CSU im Bund gibt – mehr als eine gewisse Welle bleibt meist nicht übrig.

Substantiell verändert hat sich in den letzten Jahren nichts: Das ganze Streben und Trachten konservativer Politik war darauf ausgerichtet, dass sich „2015 nicht wiederholt“. Soll sagen: bloß keine neue Zuwanderung, nicht einmal von durchaus qualifizierten Dolmetschern, medizinisch ausgebildeten Menschen, Journalistinnen.Während jene Afghanen, welche in den vergangenen 20 Jahren Hoffnung auf ein neues Land hatten, gerade lernen, wie radikal ablehnend die deutsche Regierung in Sachen Humanität agiert, lässt die gleiche deutsche Administration Recep Tayyip Erdoğan seit Jahren aus der gleichen Zuwanderungshysterie heraus gewähren, wenn er kurdische Städte in Syrien attackiert.

Vor dem Hintergrund dieses stetigen Wegduckens der „viertgrößten Wirtschaftsnation“ auch im Verhältnis zum Nato-Partner Türkei wirkten die Rufe nach der „internationalen Solidarität“ und „alle zusammen gegen den Faschismus“ sowie die Titulierung Erdogans als „Terrorist“ durch die rund 40 Demonstrationsteilnehmerinnen am 21. August fast ein wenig hilflos verhallend.

Die Forderung, dass zumindest jene „deutsche Panzer raus aus Kurdistan“ sollen, die man von Nato-Partner zu Nato-Partner verkaufte, wird sich ohne maßgebliche Änderung der deutschen Außenpolitik jedenfalls kaum erfüllen.

Denn Anlass der kurzfristig anberaumten Demonstration vom Rabet über die Eisenbahnstraße zum Augustusplatz bis zum kleinen Will-Brandt-Platz am Hauptbahnhof war immerhin ein neuerlicher Angriff der Türkei.

Das Rojava Solibündnis Leipzig dazu: „Am Montag sorgte der erste Luftschlag für zwei Tote, die Bombardierung eines Krankenhauses am Dienstag ermordete 8 weitere Menschen. Das Gebiet Şengal ist das Hauptsiedlungsgebiet der Êzîd/-innen, eine Gemeinschaft, die 2014 den 73. Genozid erfahren haben. Der Jahrestag ist gerade erst gewesen: der 3. August. Doch dieser Genozid kann nicht als beendet betrachtet werden bis Frieden herrscht.“

Besonders perfide macht die Attacke vom 17. August 2021, dass nach übereinstimmenden Berichten mehrerer Medien die Begründung für das Krankenhausbombardement erneut die PKK und angebliche Verbindungen zwischen den Jesiden und der von der Türkei als Terrororganisation eingestuften Kurden-Partei sein soll. Wiederholt benutzte Erdogan diese Begründung, um außerhalb türkischen Staatsgebietes mit stiller Duldung der Nato Kurden ermorden zu lassen.

Ganz gleich, was man von der politischen Ausrichtung der als linksfundamentalistischen geltenden PKK hält (DLF-Beitrag), auch hier spiegelt sich die derzeitige deutsche Außenpolitik als das, was sie ist: unberechenbar für ehemalige Verbündete. Als der IS noch als die größte Bedrohung in dieser Region der Welt galt, kamen die kurdischen Gegner in Syrien auch Deutschland gerade recht.

So erfuhr man in dieser Zeit der Hinwendung auch, dass sich eine Art funktionierendes, autonomes kurdisches Staatswesen herausgebildet hatte, welches beispielsweise die Gleichberechtigung von Mann und Frau beinhaltet. Von einer aktuellen Unterstützung für die neuerlich angegriffenen Menschen hört man derzeit wenig.

In Leipzig begleitete an diesem sonnigen Samstag außer der LZ niemand den Demonstrationszug, aus welchem heraus junge Mädchen Informationsblätter an den voll besetzten Freisitzen der Innenstadt verteilten. An jene Menschen, von denen sie ahnen könnten, dass sie am 26. September 2021 eine Wahlentscheidung treffen, die auch sie etwas angeht.

Video-Impressionen vom 21. August 2021

Video: LZ

Die Redebeiträge vom 21. August 2021

(aus Angst vor Repressionen und Nachstellungen durch türkische Nationalisten auch in Deutschland nur als Audiobeiträge), LZ

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