Vorweg sei hier gesagt: Ich möchte hier nicht über populistische Instrumente, wie z. B. Mietendeckel oder Vermögensabgaben, schreiben. Genauso möchte ich hier keine wissenschaftlich fundierte, volkswirtschaftliche Analyse des Finanzmarktes darlegen. Allerdings möchte ich auf folgenden Fragen „herumdenken“: Wann sind die Kipppunkte erreicht, wo die fehlende Vermögensgerechtigkeit und Generationengerechtigkeit unsere Gesellschaft destabilisiert und diese wieder zu zentralen politischen Fragen werden? Wann fängt die Klimakrise an, mit der sozialen Frage zu konkurrieren?

Solche Fragen sind keineswegs neu und wurden regelmäßig in Klassenkämpfen als Form der gesellschaftlichen Entwicklung mit und ohne Anwendung von Gewalt „diskutiert“. „Der Begriff Klassenkampf bezeichnet ökonomische, politische und ideologische Kämpfe zwischen gesellschaftlichen Klassen.

Demnach sind die Triebkräfte der bisherigen menschlichen Geschichte und speziell der Revolutionen Klassenkämpfe zwischen ausbeutenden und ausgebeuteten Klassen, deren Interessen als antagonistische interpretiert werden“ (Quelle: Wikipedia, Artikel „Klassenkampf“).

Hinsichtlich der immer größer werdenden finanziellen Ungleichheit in unserer Gesellschaft: Befinden wir uns wieder im Klassenkampf? JA! Der Blick auf die Vermögensverteilung in Deutschland zeigt das Ausmaß dieser Ungerechtigkeit. Hierfür möchte ich wieder zitieren:

Werden die erwachsenen Personen nach der Höhe ihres Nettovermögens geordnet und dann in zehn gleich große Gruppen (Dezile) eingeteilt, so zeigt sich für das Jahr 2017, dass das reichste Zehntel über 56,1 Prozent des gesamten Vermögens verfügte. Das oberste Prozent hielt rund 18 Prozent des gesamten Vermögens – so viel wie die ärmsten 75 Prozent der Bevölkerung zusammen. Die untere Hälfte der Bevölkerung ab 17 Jahren hatte im Jahr 2017 einen Anteil am Nettogesamtvermögen von lediglich 1,3 Prozent (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, Artikel „Vermögensverteilung“ von 14.10.2020).

Wenn ich allerdings die Diskussion in der Politik und Medien verfolge, stelle ich fest: Die Gesellschaft wird immer stärker gespalten und unsere Klassenkämpfe finden geradezu auf unzumutbar oberflächlichem Niveau statt: Ungeimpfte sind die wahren Spalter, alte weiße Männer sind die Quelle allen Übels, Boomer haben die Klimakrise verursacht, Weiße sind Kolonialisten, Ost gegen West, links gegen rechts … (diese Aussagen sind bewusst übertrieben gewählt).

Und was wir dabei doch übersehen: Damit kämpfen wir alle gegeneinander, obwohl wir doch fast alle gleich sind und mit ähnlichen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben. Denn ein Kampf wird aktuell kaum sichtbar geführt: der Kampf Arm gegen Reich.

Der Kampf Arm gegen Reich müsste uns täglich beschäftigen: Das niedrige Rentenniveau, die hohen Sozial- und Steuerabgaben, ein Bildungssystem, das den sozialen Aufstieg fast unmöglich macht und der Anlagennotstand, der das Sparen für die Altersvorsorge für Normalverdiener nur unter hoher Verschuldung (man denke an die hohen Immobilienpreise) oder Risiken (aktienfinanzierte Altersvorsorge) möglich macht.

Viele aus der Mittelschicht fragen sich: Fressen die hohen Abgaben und die Inflation (verursacht durch aktuelle Geldschwemme) meine Altersvorsorge, die ich mühsam angespart habe, auf? Und Teilzeit-Arbeitende, Alleinerziehende, Geringverdiener fragen sich: Werde ich bei Renteneintritt in die Altersarmut fallen?

Zeitung
Die letzte LZ des Jahres 2021, Nr. 97 Titelblatt. Foto: Screen LZ

Ausgehend vom Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung erwarte ich nicht, dass Vermögende zur Bewältigung der Coronakrise oder Klimakrise zur Kasse gebeten werden.

Mit Vermögen meine ich nicht die hart erarbeiteten hohen Einkommen der oberen Mittelschicht, sondern z. B. a) Kapitalgesellschaften, die gezielt Ihre Gewinne durch Praktiken wie firmeninterne Kredite in Steueroasen verschieben, oder b) Kapitalerträge aus Wertpapiergeschäften, die teilweise geringer besteuert werden als das hart erarbeitete Einkommen aus Arbeit sowie c) Banker und Finanzmanager, die täglich Milliardenbeträge umsetzen und nur eine lächerliche Finanztransaktionssteuer entrichten.

Es wird die Aufgabe derer sein, die nicht ausreichend Vermögen besitzen, um Abgaben geschickt vermeiden zu können – die Mittelschicht. Die Mittelschicht wird weiterhin die finanziellen Belastungen der öffentlichen Haushalte durch die Corona-Wirtschaftskrise finanzieren, wie sie auch schon die Finanzkrise 2009 („too big to fail“) finanziert hat und auch die Klimakrise durch erhöhte Abgaben (z. B. CO₂-Steuer) finanzieren wird. Bei der Klimakrise korrigiere ich mich: Es werden die Steuerzahler sein, die den Umbau der CO₂-intensiven Industrie, die jahrelang hohe Gewinne erzielt hat, finanzieren.

Insofern wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, die soziale Frage zu stellen. Übrigens gab es in jüngster Vergangenheit so eine Bewegung: Im Jahr 2011 hat die Protestaktion Occupy Wallstreet unter dem Motto „We are the 99 %“ die Vermögensungerechtigkeit in den USA angeprangert und eine Finanztransaktionssteuer gefordert. Seitdem gab es nur eine weitere große Bewegung: Fridays for Future, aus der die stärkere CO₂-Besteuerung aller Bürgerinnen und Bürger folgte.

Mehr aktuelle Träume auf L-IZ.de, in der Coronakrise 2021 und aus den letzten Jahren

„Wenn Leipziger/-innen träumen: Kleine Träumerei … Von den wahren Klassenkämpfen“ erschien erstmals am 17. Dezember 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 97 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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