Ob am Ende jeder ausreichend Humor für den Umstand aufbringen konnte, dass gegen 16 Uhr einige besonders robuste „Querdenker“ eine kleine Polizeikette überwanden, um im Innenhof der Psychiatrie der Uni Leipzig zu landen, ändert erst einmal nichts am Fakt des Landfriedensbruchs selbst. Die zum vorigen Samstag noch einmal leicht von 300 auf rund 450 Teilnehmende gewachsenen Demonstrationswilligen waren zu diesem Zeitpunkt in der Philipp-Rosenthal-Straße in einen Polizeikessel gelaufen. Mit „spazieren“ war hier, zwischen Prager Straße und Nationalbibliothek, jedenfalls Schluss. Dabei hatte auch heute die Polizei anfangs wieder alle Hände gereicht, eine Versammlung vom Völkerschlachtdenkmal aus durchführen zu können. Nehmen wollte sie aber so recht keiner der Freiheitsläufer von Leipzig Stötteritz.

Geht es noch wirklich um Corona, die Maßnahmen und den Unmut darüber? Für manche unter den heute Anwesenden vielleicht. Doch längst brennen in der Gottschedstraße wieder die Lichter in allen Kneipen, Omikron zeigt leichtere Krankheitsverläufe, 75 Prozent der Deutschen sind geimpft und vor allem: Der Frühling kommt bald. Und mit ihm weitere Entlastungen, ganz gleich, welche politischen Pirouetten bis dahin die Debatte um die Impfpflicht gedreht hat.Kurz gesagt: Das Gröbste dürfte langsam vorbei sein, die Pandemie wird schwächer – erste Länder (mit höheren Impfquoten, wie Spanien) können zur „endemischen Einstufung“ des Virus übergehen, die Gefährlichkeit für Geimpfte scheint nun langsam kalkulierbar und milder.

Doch längst hat sich herauskristallisiert, dass jene, die sich da erneut um 15 Uhr zum gemeinsamen „Spaziergang“ trafen, den Akt der unangemeldeten Demonstration ohne Versammlungsleitung als Zweck, Trotz und Widerstandshandlung selbst sehen. Gegenüber und um sie herum meist junge Menschen mit schwarzer Kleidung, Masken und Protest gegen sie – die meist eher über 40, 50-jährigen Demoteilnehmer/-innen, Männer und Frauen, unter denen es wichtig ist, ungeimpft zu sein.

Stop and go

Als sich der Versammlungszug kurz nach 15 Uhr vom Wilhelm-Külz-Park aus in Bewegung setzen will, ist dieses Mal die Menge und Präsenz der Polizeibeamten eine andere als noch vor sieben Tagen. Da hatten rund 300 Demonstrant/-innen aus der Impfgegner-, „Querdenker“- und Sehrlautdenker-Fraktion noch eine längere Runde ohne Versammlungsleiter drehen können – dieses Mal nicht.

Bereits auf Höhe der Naunhoferstraße/Güntzstraße entlang der Prager ist das erste Mal Schluss an der Polizeikette, die Aufforderung, einen Versammlungsleiter zu benennen, dröhnte Richtung Parkgelände aus den Polizeiboxen. Stehen, warten, einzelnes Murren. Erst will man in den Park ausweichen, dann geht’s zurück zur Kreuzung. Aber die rechte 1989er-Stimmung will und kann einfach nicht aufkommen, die „Revolution“ muss warten: auf einen Versammlungsleiter.

Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass einige die Gruppe dirigieren – Zeichen geben, in Richtungen zeigen, stadteinwärts. Dann laufen die Menschen einfach los, auch, weil sie wissen, dass die Beamten – entgegen den Diktaturvorwürfen – so schnell keine Gewalt ausüben werden. Sehr zum Bedauern eines älteren Herren, der sich anschließend beklagt, dass er doch gerade dabei war, die Versammlung anzumelden.

„Die haben mich einfach wieder weggeschickt“, sagt der verhinderte Versammlungsleiter und meint damit die Polizei, die angesichts der bereits in die Philipp-Rosenthal-Straße einbiegenden Demonstration wohl keinen Sinn mehr sah, den mittlerweile 500 Meter von der Versammlung entfernten Herren als Vertreter derselben zu sehen. Ein weiteres Indiz dafür, dass er mit dem weiteren Verlauf so oder so nichts zu tun haben würde: Noch während er die Versammlung anzumelden versuchte, war die Menge stadteinwärts durch die Polizeikette „spaziert“.

Die Beamten sind seit diesem Zeitpunkt zudem damit befasst, umherrennende Gegendemonstranten von „Leipzig nimmt Platz“ im Griff zu behalten – die Gruppen werden bis zum Ende hin strikt getrennt bleiben.

Der Moment, der den Tag in die überregionalen Medien hebt

Unterdessen dreht der Demozug bereits in die Philipp-Rosenthal-Straße, in die Polizeiabsperrung und damit das Ende des „Spazierganges“ hinein. Das erneute Warten beginnt: auf eine Entscheidung der Polizei, die wieder auf eine Versammlungsleitung besteht. Bis es einer Gruppe von vielleicht 50 bis 60 reicht – gerade, als die Polizei erneut um Geduld bittet, da man sich mit einem weiteren anmeldewilligen Teilnehmer bespricht, brechen die ersten durch ein Tor, im Gerangel mit einigen Beamten auf das Psychiatriegelände.

Dahin, wo die letzten noch zwei Stunden später darauf warten werden, dass die Polizei ihre Ausweise sehen will. Denn während die letzten Teilnehmer der Versammlung und des etwa 200 Menschen starken Gegenprotestes die Philipp-Rosenthal-Straße in kleinen Gruppen längst wieder verlassen haben, ist man hier später am Abend immer noch zugange. Medien wie Spiegel und NTV berichten da bereits über den Versuch, aus dem polizeilichen Kessel auszubrechen, welche an einem sonst belanglosen Tag in Leipzig für zumindest etwas Aufmerksamkeit sorgte.

Bekannte Gesichter von Legida bis „Querdenker“

Während es an politischen Zielen oder Parolen von diesem 29. Januar 2022 so gar nichts zu berichten gibt, kamen zumindest bekannte Gesichter der verschwörungsgläubigen bis rechtsextremen Demonstrationskultur Leipzigs zum polizeilich betreuten Stelldichein an die Rosenthalstraße.

Nachdem bereits in der vergangenen Woche mit Volker Beiser der mehrmalige Anmelder von „Bürgerbewegung Leipzig“-Demonstrationen ein Ex-NPD-Kader in der ersten Reihe lief, waren dieses Mal der „Bewegung Leipzig“-Anmelder von der „Jubiläumsdemo“ am 6. November 2021 (Augustusplatz zusammen mit „Ärzte für Aufklärung“) vor Ort und der ehemalige „Legida“-Beteiligte, Unternehmer und Rechtsextremist Reinhard R. unter den Versammelten.

Letzterer soll jener Teilnehmer gewesen sein, der versucht hat, die zweite Versammlungsanmeldung mit dem Ordnungsamt und der Polizei zu vereinbaren, als es bereits zu spät war und die vorrangig aus Männern bestehende Gruppe auf das Psychiatriegelände der Uni Leipzig stürmte.

Bei einer geglückten Anmeldung hätte sich zumindest der Kreis zwischen den ausländerfeindlichen Aufmärschen von „Legida“ einst und den heutigen „Querdenker-Spaziergängen“ geschlossen, aber so bleibt wohl nur das Fazit: dumm gelaufen.

Am Ende mussten sich alle Personen auf dem Psychiatriegelände einer Personenkontrolle unterziehen, darunter auch Reinhard R.

Denn, wie die Polizei kurz nach dem Einsatz mitteilt: „Die Ermittlungen aufgrund des Eindringens in das Klinikgelände wurden wegen des Verdachts des Land- und Hausfriedensbruchs eingeleitet. Darüber hinaus werden unter anderem Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und der Sächsischen Corona-Notfall-Verordnung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Sachbeschädigung geführt.“

Obenauf kommt noch, dass die Polizeidirektion Leipzig im Laufe der letzten Woche gegenüber LZ bestätigte, auch wegen des illegalen Aufmarsches vom 22. Januar 2022 eine Strafanzeige zu verfolgen. Da sucht sie nun jemanden, der für den ganzen Aufstand die Verantwortung tragen könnte, nachdem sich an diesem Tag niemand zur Versammlungsanmeldung bereit erklären wollte.

Impressionen vom 29. Januar 2022

Video: LZ

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Es gibt 2 Kommentare

ist übrigens die Klinik und Poliklinik der Uni für Psychiatrie und Psychotherapie, Mit freundlichen Grüßen Thomas Wolf 🤗

Warum hat man die dort wieder rausgelassen, wenn sie schon freiwillig und offensichtlich (fast) gewaltsam in die Psychiatrie wollten, dort, wo sie hingehören um ihre Wahrnehmungsstörungen behandeln zu lassen?

Für die dort befindlichen Patienten wird das ein Schreckenstag gewesen sein. Was das mit Menschen macht, die psychisch krank sind, mag ich mir gar nicht ausmalen.

Obwohl, ein Geschmäckele hat die “Flucht” in die Psychiatrie schon…

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